Politik
3. Lockdown – Wenn DAS passiert, "muss man eingreifen"
Gemeinsam mit Experten gibt Gesundheitsminister Anschober am heutigen Donnerstag einen aktuellen Überblick zur Situation auf den Intensivstationen.
Nach Gesprächen mit Spitalsverantwortlichen und den VertreterInnen von Ärzten und Pflege aus dem intensivmedizinischen Bereich ist klar, dass die Lage auf den Intensivstationen nach wie vor eine extreme Ausnahmesituation ist. "Die Spitäler brauchen eine spürbare Entlastung!", forderte Rudolf Anschober (Grüne) am Donnerstag einmal mehr.
Zu dem anberaumten Pressegespräch anwesend waren auch die Experten Herwig Ostermann und Klaus Markstaller. Sie sprachen über die Kapazitäten im Gesundheitssystem und die aktuelle Situation auf den Intensivstationen.
Aus dem Linzer Kepler Universitätsklinikum live zugeschaltet waren die Pflegedirektorin Simone Pammer und der Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde Bernd Lamprecht. "Heute" berichtete an dieser Stelle LIVE:
„"Die große Katastrophe haben wir derzeit verhindert"“
"Wir hatten über lange Zeit hindurch einen recht akzeptablen Belag", doch im Oktober sei die Auslastung auf über 700 Betten "bedrohlich nach oben gegangen". Kein Gesundheitssystem halte eine solche Belastung auf Dauer aus, weshalb nicht lebensnotwendige Operationen hätten verschoben werden müssen.
Mittlerweile hat Österreich den Höhepunkt überschritten, derzeit seien knapp über 600 Intensiv-Betten von Covid-Patienten belegt. "Aber das geht nicht auf Dauer. Wir müssen runter mit den Zahlen der Neuinfektionen". Anschobers legt die Ziele der Regierung dar: Die Neuinfektionen müssen in Richtung der 1.000 gedrückt werden und der Reprodutionsfaktor zwischen 0,8 und 0,9 zu halten. Und: Die Covid-Auslastung der Intensivstationen müssten auf nur 300 Betten reduziert werden sowie die aufgeschobenen Operationen noch vor der für Jänner erwarteten Grippewelle nachgeholt werden.
"Mein Appell: Heute entscheiden wir mit unserem Handeln über die Situation in den Intensivabteilungen in drei oder vier Wochen. Es besteht nach wie vor das Risiko, dass diese Zahlen explodieren können", warnt Anschober. "Die große Katastrophe haben wir derzeit verhindert, aber es ist noch absolut nichts gewonnen. Wir müssen weiterarbeiten, dass es nicht zu einer Überlastung der Intensivstationen kommt."
Durchschnittsalter 55
Die absolute Katastrophe sei eine harte Triage-Situation und Bilder wie aus den italienischen Spitälern gewesen, so Markstaller weiter. Das habe man verhindern können. Derzeit seien aber noch die schwersten Fälle der zweiten Corona-Welle auf den Intensivstationen. "Wir sammeln gerade diese schweren Fälle im AKH Wien", so der Mediziner weiter.
Das Durchschnittsalter im AKH der Covid-19-Intensivpatienten ist derzeit 55 Jahre. Das Alter der Betreuten reicht von Ende 20 bis 70+. Diese schwerstkranken Patienten müssten mit einer Herz-Lungen-Maschine beatmet werden, weil sie nicht mehr in der Lage seien, selbstständig zu atmen.
Abschließend appelliert der Experte, wissend dass es sich um eine "unsoziale Maßnahme" handelt, dass jeder jetzt Abstand halten solle, um eine Tröpfcheninfektion zu verhindern.
"Die Bevölkerung muss endlich verstehen, dass ..."
Schaltung nach Oberösterreich: Lungenexperzte Lamprecht Linzer Kepler Universitätsklinikum übernimmt. Auch er warnt, jetzt vorsichtig zu sein: "Sonst würden wir in zwei bis drei Wochen eine Weihnachtsbescherung der besonderen Art erleben und das System zusammenbrechen." Jeder könne durch sein persönliches Verhalten einen Beitrag leisten, so der Mediziner.
Die Bevölkerung müsse endlich verstehen, dass durch diese "kleine Einschneidung im persönlichen Lebensbereich" die Ärzte und Pfleger massiv entlastet würden. Diese liefen teilweise bereits auf dem Zahnfleisch und könnten diese Belastung nicht noch für weitere Monate aushalten.
Pflegedirektorin Simone Pammer übernahm im Anschluss, ebenfalls per Live-Schaltung, das Wort. "Wir haben es hier mit sehr, sehr schwer Kranken zu tun. Unsere Mitarbeiter sind täglich 12 bis 13 Stunden mit voller Schutzmontur tätig." Das sei körperlich und psychisch stark belastend. Eine Kollegin sei am Kepler-Klinikum vergangene Woche durch Covid auf der Intensivstation verstorben. "Man kann sich nicht vorstellen, was das für unser Personal bedeutet".
"Eine dritte Welle verkraften wir nur ..."
Herwig Ostermann spricht im Anschluss über die aktuelle Prognosen zur Pandemie: Die Zahl der Neuinfektionen von 2.600 werde sich nach seinem Modell bis zum Ende des Prognosezeitraums am 17. Dezember voraussichtlich auf 1.700 absinken. Bis Weihnachten soll der Belag der Intensivstationen auf etwa 400 Personen absinken. Voraussetzung sei aber die Fortsetzung des derzeitigen Negativtrends.
Gleichzeitig warnt er, dass einige Länder wie die Schweiz und Slowakei nach der zweiten Welle bereits wieder einen leichten Anstieg verzeichnen würden.
"Eine weitere, dritte Welle verkraften wir nur sehr sehr bedingt. Eine dritte Phase würde bedeuten, dass die Patienten auf den ICUs auch mit den Patienten aus der zweiten Welle in Konkurrenz treten würden." Denn: Ein schwer erkrankter Corona-Patient verbringt im Schnitt 19 Tage auf einer Intensivstation.
"Es dürfen uns unsere sinkenden Zahlen nicht täuschen. Es sind vielleicht die wichtigsten vier Wochen dieser Pandemie", so Anschober im Anschluss. Ab Jänner könne es schrittweise besser werden, erklärte der Gesundheitsminister im Hinblick auf den Impf-Beginn. "Wir haben es jetzt in der Hand wie die nächsten zwei bis drei Wochen weitergehen." Zum Abschluss appelliert Anschober neuerlich, an den Massentests teilzunehmen.
Wie groß ist die Gefahr eines dritten Lockdowns?
Nach den Vorträgen der Experten folgt die Fragerunde. Die erste betraf die Möglichkeit eines dritten Lockdowns:
"Je mehr Menschen zu Massentests gehen, desto besser ist unser Einblick in das Infektionsgeschehen. Sollte sich da eine Bewegung nach oben ergeben, dann muss man eingreifen. Das ist auch in der Bundesregierung klar", konstatiert der Gesundheitsminister. Die gute Nachricht: "Derzeit gibt es keine Anzeichen dafür, aber es muss auch täglich kontrolliert werden, dass das so bleibt."
"Sollte sich der Trend umkehren, müssen wir sofort reagieren", fügte auch Lamprecht hinzu. Steigen die Zahlen nach den Feiertagen wieder, "müsste man mit drastischen Maßnahmen reagieren", um die Spitäler zu schützen.
Impfpflicht für Spitalsangestellte?
"Wir haben uns in der Regierung zur Freiwilligkeit bekannt. Es wird keine Anordnung des Bundes geben. Ich bin überzeugt davon, dass wir mit ehrlicher transparenter Information erreichen, dass sich sehr viele Menschen an den Impfungen beteiligen", so Anschober. Es wäre "absurd", jetzt diese Chance nicht zu nützen.
Beschränkungen zu Silvester: "Wir werden nächste Woche informieren, dass wir bestimmte Rahmenbedingungen über die Feiertage fixieren werden", so Anschober. Entscheidend sei das Bewusstsein des Einzelnen, dass Feiertage "nicht verfehlt" genutzt würden und danach der Infektionstrend wieder nach oben gehe. Auch Lamprecht appellierte an die Vernunft zu Weihnachten und Silvester: "Nicht alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, sollte auch ausgereizt werden."