Gesundheit
Affenpocken – So hoch ist die Gefahr für Mutationen
Noch nie zuvor gab es so viele Infektionsfälle außerhalb Afrikas. Der Münchner Pockenforscher Gerd Sutter erklärt wieso trotzdem keine Gefahr besteht.
Noch nie zuvor gab es so viele Infektionsfälle außerhalb Afrikas. Zurzeit zählt man mehr als 250 Fälle weltweit – Tendenz weiter steigend. Das schürt die Angst vor einer erneuten Pandemie. Diese Angst kann Gerd Sutter von der Ludwig-Maximilians-Universität München aber nehmen. Der Veterinärmediziner hat den Lehrstuhl für Virologie an der Tierärztlichen Fakultät inne. Er erforscht neue Impfstoffe sowie die globale Verbreitung bisher unbekannter Erreger – und gilt als einer der führenden Pockenvirologen Deutschlands.
"Die Gefahr einer größeren Epidemie in Europa schätze ich als gering ein. Den Prozess, dass das Affenpockenvirus durch Reisende aus Afrika nach Europa importiert wird, gibt es – schleichend – bereits seit Jahren", entkräftet der Fachmann die Gefahr einer befürchteten Pandemie. "Völlig neu ist dagegen, dass es jetzt eine gewisse Ausbreitung in Europa gibt – und das muss natürlich beobachtet werden."
Anderer Virus-Typ
Ein essentieller Vorteil gegenüber dem Coronavirus ist – so Sutter weiter – dass es sich damals um einen völlig neuen Erreger handelte, über den man so gut wie nichts wusste. "Über das Affenpockenvirus dagegen wissen wir bereits viel mehr, und das seit Jahren. Wir dass die Übertragung über direkten Kontakt stattfindet und dass eine Übertragung durch Tröpfchen oder Aerosole höchstens eine untergeordnete Rolle spielt."
Auch der Typ des Virus ist ein ganz anderer: Bei den Affenpocken handelt es sich um ein DNA-Virus, dessen genetische Stabilität sich stark von RNA-Viren wie Corona- oder Influenza-Viren unterscheidet. Ständig mutierende neue Varianten wie bei SARS-CoV-2 – damit ist bei den Affenpocken, mit in der Regel sehr stabilem Genom, nicht zu rechnen. Die höchstens subtilen genetischen Änderungen könnten uns sogar helfen, Übertragungswege des Virus durch Europa nachzuvollziehen.
Wie kann man sich schützen?
Übertragungen von Mensch zu Mensch finden über direkten Kontakt zu Infizierten statt. Die Hauptinfektiosität sitzt in den Hautläsionen, die sich erst nach den ersten generelleren Krankheitserscheinungen wie Kopfschmerzen, Muskelschmerzen und Fieber entwickeln. In der Flüssigkeit dieser Pusteln und den sich anschließend bildenden Krusten befindet sich extrem viel Virus. Die Patienten sind in der Regel nicht mehr infektiös, sobald diese Krusten abgefallen und die Pusteln abgeheilt sind.
Wie gut helfen bestehende Impfstoffe?
"Einen Teilschutz kann man hier sicher erwarten", hält der Mediziner fest. "Wir wissen aus Einzelbeobachtungen, dass selbst Jahrzehnte nach diesem Massenimpfungsprogramm noch eine 'Gedächtnisimmunantwort' vorhanden ist. Allerdings beruhten die Menschenpocken auf einem anderen Virus, das viel ansteckender und fulminanter in seiner Ausbreitung ist als das der Affenpocken."
Wieso häufen sich neue Virusinfektionen?
Mit SARS, Vogelgrippe, Schweinegrippe, MERS, Ebola, Zika, COVID und Affenpocken erleben wir eine Häufung und Beschleunigung neuer Krankheiten und insbesondere Zoonosen. "Wir beobachten das schon seit 20 Jahren, angefangen 1999 mit der plötzlichen Eroberung Nordamerikas durch das West-Nil-Fieber: Flugzeug, Moskito, Ankunft in New York – das reichte, damit es sich damals binnen weniger Jahre auf dem gesamten nordamerikanischen Kontinent ausbreiten konnte", bestätigt der Experte.
Laut Sutter spielen verschiedene Faktoren eine Rolle dafür: Zum einen das ständige neue Vordringen des Menschen in Gebiete, in denen er vorher nicht war. "Das Wirtssystem Mensch ist also plötzlich zugänglich für Viren, mit denen der Mensch vorher nie in Kontakt war."
Ebenso spielt die Ernährung eine Rolle: "Wir Virologen beobachten seit Jahren diese Märkte in China, wo erwiesenermaßen neue Influenza- und eben Coronaviren von Tier zu Mensch übertragen werden." Die in den vergangenen Jahrzehnten ansteigende Handels- und Reisetätigkeit in globalisiertem Maße erlaubt einem neuen Erreger, mit einem Flugreisenden binnen zwei Tagen von Malaysia nach Frankfurt zu gelangen. Die Schnelligkeit der Verbreitung hat dramatisch zugenommen. Last but not least: Der Klimawandel. "Infolge der Temperaturentwicklungen gibt es ein Vordringen von Virusvektoren wie Steckmücken oder Zecken in ganz neue Areale."