Gesundheit
Hier sitzt die Schizophrenie im Gehirn
Bisher war unklar, wo die Schizophrenie im Gehirn ihren Ausgang nimmt. Jetzt konnten Forscher das Areal identifizieren.
Bei der Lösung eines jahrzehntelangen Rätsels um ein bestimmtes Protein haben Wissenschaftler einen bestimmten Ort im Gehirn identifiziert, an dem Schizophrenie entstehen könnte. Obwohl viele Gene identifiziert wurden, die in irgendeiner Weise mit Schizophrenie in Verbindung stehen, hat es sich als äußerst schwierig erwiesen, den Teil des Gehirns zu bestimmen, der wahrscheinlich für die Störung verantwortlich ist – bis jetzt.
Ein Betroffener im "Heute"-Interview: "Hörte Stimmen und dachte, die Wohnung ist verwanzt"
Von Schizophrenie sind weltweit etwa 20 Millionen Menschen betroffen. Zu den Symptomen gehören Halluzinationen, Wahnvorstellungen, fehlender Gefühlsausdruck, Verlust des Gefühls der persönlichen Identität und Gedächtnisverlust. Das Verhalten von Betroffenen ändert sich dramatisch und wirkt auf Außenstehende oft bizarr oder beängstigend. Schizophrenie verläuft meist in Schüben. Das Durchschnittsalter bei Einsetzen der Erkrankung liegt bei Männern zwischen dem 20. und 25. Lebensjahr, Frauen erkranken etwas später.
Eine Schizophrenie wird mit Medikamenten und einer Psychotherapie behandelt. Problematisch ist, dass den Patienten in akuten schizophrenen Phasen die Krankheitseinsicht fehlt. Besteht die Gefahr, dass der Patient sich selbst oder andere gefährdet, kann eine Zwangseinweisung in eine Klinik notwendig werden.
Achtung: Menschen mit Schizophrenie haben keine gespaltene Persönlichkeit, wie vielfach angenommen wird. Sie tragen also nicht mehrere Persönlichkeiten in sich, die abwechselnd zum Vorschein kommen, wie das bei einer Multiplen Persönlichkeitsstörung der Fall ist.
Gen SAP97
Die Studie, die in "Nature Communications" veröffentlicht wurde, konzentriert sich auf ein Gen-Protein namens "Synapse-associated protein 97" oder SAP97, das in Nervenzellen (Neuronen) im Gehirn vorkommt. SAP97 gehört zu einer Gruppe von Proteinen, die für die Synapsenfunktion entscheidend sind und die die Reaktion auf den Neurotransmitter Glutamat beeinflussen.
Da in den traditionell untersuchten Hirnregionen keine SAP97-Aktivität festzustellen war, untersuchten die Wissenschaftler der University of Southern California eine andere Hirnregion, die bislang nur theoretisch mit Schizophrenie in Verbindung gebracht wurde: den Gyrus dentatus. Die normale Funktion von SAP97 - also was es normalerweise tut und wo es dies im Gehirn tut - ist seit vielen Jahren unklar. Die Unkenntnis darüber, wie oder wo das Protein arbeitet, hat auch den Schleier darüber gehalten, warum Mutationen in SAP97 zu Schizophrenie führen können.
Für die Studie untersuchten die Forscher Ratten mit geschädigtem SAP97 und suchten nach Veränderungen der Aktivität im Gyrus dentatus – und fanden sie. War das SAP97-Gen bei den Tieren defekt, war auch die Verarbeitung von Kontext-Informationen und Reizen gestört. "Das zeigt, dass eine Störung der SAP97-Funktion im Gyrus dentatus ausreicht, um Verhaltensdefizite auszulösen, wie sie auch bei Menschen mit Schizophrenie beobachtet werden", beschreiben die Forscher. Diese Mutation sind mit einem 40-fach höheren Risiko verbunden, an Schizophrenie zu erkranken.
Der Gyrus dentatus ist eine Unterstruktur im Hippocampus. Sie ist die Eingangsstation zum Gedächtniszentrum des Gehirns und fungiert als eine Art Torwächter für eingehende Reize und Informationen.
Der Hippocampus steuert das kontextuelle episodische Gedächtnis – die bewusste Erinnerung an Lebenserfahrungen, die beinhaltet, was passiert ist und wann und wo es passiert ist. Das kontextbezogene episodische Gedächtnis ist bei Menschen mit Schizophrenie häufig gestört und solche Veränderungen können zur Entwicklung anderer Symptome der Erkrankung beitragen.
Potentielle neue Therapiemöglichkeiten
Neuronen im Gyrus dentatus mit reduzierter SAP97-Funktion zeigten einen extrem starken Anstieg der glutamatergen Signalübertragung. Die Neuronen feuern dadurch ähnlich stark und häufig, als wenn ihre Synapsen mit großen Mengen des Neurotransmitters Glutamat geflutet worden wären. Dieser Anstieg lässt vermuten, dass das Protein normalerweise dazu beiträgt, die Signalübertragung zu dämpfen. Die starke Zunahme führte bei Nagetieren auch zu erheblichen Defiziten im kontextuellen episodischen Gedächtnis - einem Kennzeichen der Schizophrenie.
Sollte sich dieses Hirnareal als Ursprung der Schizophrenie bestätigen, dann könnte dies auch dazu beitragen, wirksamere Therapien gegen die Krankheit und ihre neurophysiologischen Ursachen zu entwickeln.