Politik
Welche Corona-Verschärfungen kommen jetzt, Herr Kurz?
Sebastian Kurz im Interview: Der Kanzler spricht mit "Heute" über die Corona-Lage, neue Maßnahmen und verrät, ob es heuer Ski-Urlaub geben kann.
Später Freitagnachmittag im Kanzleramt: Sechs Stunden sind seit den Erklärungen des Bundeskanzlers zur Lage der Nation vergangen. Sebastian Kurz hat sie für einen regelrechten Interview-Marathon genützt und sieben Printverlagen sowie drei Fernsehstationen Fragen beantwortet. Kurz hat mittlerweile die staatstragende taubenblaue Krawatte vom Vormittag abgelegt, den obersten Hemdsknopf geöffnet – und für das Gespräch, so wirkt es zumindest, ein vorrangiges Ziel: Optimismus ausstrahlen. Ob die im Corona-Herbst angebracht ist? "Heute" hat nachgefragt.
"Heute": Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Erklärung sinngemäß gesagt, dass wir den Herbst und den Winter noch durchbeißen müssen und im Sommer 2021 dann zu unserer gewohnten Normalität zurückkehren werden. Worauf stützen Sie diesen Optimismus?
Sebastian Kurz: Ich habe gemeinsam mit meinem Team den Sommer genützt, um mit sehr vielen Forschern, Pharmaunternehmen und politischen Entscheidungsträgern auf der ganzen Welt zu telefonieren und da ergibt sich ein sehr klares Bild: Nämlich, dass die Forschungen an einem Impfstoff schneller laufen, als ursprünglich gedacht und daher eigentlich sehr viele damit rechnen, dass der nächste Sommer schon sehr normal stattfinden wird.
Heißt aber auch, dass zuvor coronamäßig noch enorm fordernde Monate auf uns zukommen?
Auch das ist eine Wahrheit, die man aussprechen muss: Der September, der Herbst, der Winter – das wird schon noch eine fordernde Zeit sein, denn wenn sich die Veranstaltungen, die Gespräche und die Kontakte von draußen wieder nach drinnen verlagern; wenn die Schulen wieder aufsperren, dann ist die Gefahr groß, dass die Ansteckungszahlen wieder steigen und wir darauf reagieren müssen.
Verstehe ich Sie richtig: Das Schlimmste ist also noch nicht ausgestanden?
Ich würde sagen, wir stehen vor einer fordernden Phase, aber es ist Licht am Ende des Tunnels.
Sie haben im März prognostiziert, dass "jeder bald jemanden kennen wird, der an Corona verstorben ist". Ist die neue Vorhersage mit dem Ende der Pandemie treffsicherer?
Ohne unsere konsequenten Maßnahmen wäre es wohl so gekommen. Ich bin wirklich froh, dass es damals nicht so gekommen ist, da wir in Österreich gut reagiert und dadurch Schlimmeres verhindert haben. Wenn man sich anschaut, wie die Situation in vielen anderen europäischen Ländern oder in amerikanischen Städten wie New York war, dann können wir nur froh sein, dass uns das nicht passiert ist.
Sie sind im Nachhinein sehr für diese Angstmache kritisiert worden; auch für den Satz mit den 100.000 Toten. War der ein Fehler?
Ich glaube, dass es damals wichtig war, der Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit klarzumachen, dass es da eine unsichtbare Gefahr mit diesem neuartigen Virus gibt, um uns die Situation zu ersparen, die in anderen Ländern stattgefunden hat. Viele Experten haben damals ein dramatisches Bild gezeichnet.
„"Vorbei wird es erst sein, wenn es eine Impfung oder ein wirksames Medikament gibt, dessen muss sich jeder bewusst sein."“
Aber dieses Mal kommt es, wie Sie sagen – und der Spuk ist im Sommer 2021 vorbei?
Es gibt nie eine absolute Gewissheit. Ich würde es aber als unverantwortlich sehen, den Wissensstand, den ich nach den vielen Expertengesprächen habe, nicht mit der Bevölkerung zu teilen. Und der sieht so aus, dass der nächste Sommer aller Voraussicht nach wieder ein guter und normaler werden wird.
So eine Ansage birgt aber auch die Gefahr, Menschen vielleicht enttäuschen zu müssen. Mein Kollege David Slomo etwa hat unlängst eine Story geschrieben, als sein Kroatien-Traum wegen der neuen Reisewarnung platzte.
Ich habe den Blogbeitrag gelesen und verstehe die Enttäuschung auch total. Es gibt ganz viele Menschen, die sich wünschen würden, dass jetzt schon alles normal wäre – es geht ja mir nicht anders. Ich hätte es auch gerne so, wie es war, und endlich ein Ende dieser ganzen Sache. Nur manches im Leben kann man sich nicht aussuchen; wir sind da als Österreicher auch nicht alleine, sondern das ist weltweit so. Alle Länder sind betroffen. Überall ist das System das gleiche: Je strenger die Maßnahmen sind, desto stärker sinken die Ansteckungszahlen, je stärker die Ansteckungszahlen sinken, desto mehr können die Maßnahmen wieder gelockert werden – und die Ansteckungszahlen steigen wieder. Das sind wellenartige Bewegungen, die wir in den nächsten Monaten erleben werden. Vorbei wird es erst sein, wenn es eine Impfung oder ein wirksames Medikament gibt, dessen muss sich jeder bewusst sein.
„"Welche Maßnahmen man setzen kann? Von der Pflicht, Masken zu tragen über Einschränkung von sozialen Kontakten bis hin zu Einschränkungen bei Veranstaltungen."“
Bereits kommende Woche soll es wegen des starken Corona-Anstiegs neue Verschärfungen geben. Wie werden die aussehen?
Die Maßnahmen, die man setzen kann, sind bekannt. Von der Pflicht, Masken zu tragen über Einschränkung von sozialen Kontakten bis hin zu Einschränkungen bei Veranstaltungen. Das ist das Potpourri an Maßnahmen, das es gibt. Hier gilt es treffsicher, die nötigen auszuwählen. Wenn die Ansteckungszahlen steigen, muss man gegensteuern. So ist das eben.
Als größte Sorge der Menschen gilt ein zweiter Lockdown.
Einen zweiten Lockdown wollen wir auf jeden Fall verhindern. Und das liegt an uns allen und wie wir uns verhalten.
War die sehr umfangreiche Reisefreiheit vorschnell?
Nein, wir sind eine Demokratie in Mitteleuropa. Wir haben keine Ausreiseverbote, wie andere Länder, wo der Bevölkerung untersagt wird, das Land zu verlassen – und das ist auch gut so. Wir haben die Menschen als Bundesregierung ermutigt, Urlaub in Österreich zu machen. Viele haben das gemacht. Einige sind ins Ausland gereist – das ist auch legitim. Ja, es kam wie erwartet, nämlich, dass das zu steigenden Ansteckungszahlen geführt hat. Diese Herausforderung müssen wir jetzt lösen, das ist aber nichts Unvorhergesehenes.
„"Wir werden alles dafür tun, damit der Winter-Tourismus stattfinden kann. Alles andere wäre wirtschaftlich fatal."“
Werden wir im Jahr eins nach Ischgl Ski fahren können?
Wir werden alles dafür tun, damit der Winter-Tourismus stattfinden kann. Nicht nur, weil er Teil der österreichischen Identität ist, sondern er ist auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, an dem zahlreiche Arbeitsplätze hängen. Ich bin positiv überrascht, wie gut der Sommer-Tourismus in Österreich geklappt hat. Es gab einzelne Cluster, wie in St. Wolfgang, die konnten aber sehr schnell unter Kontrolle gebracht werden. Jetzt geht es darum, ähnlich gut den Winter vorzubereiten.
Also keine generelle Absage, bis es in der Saison darauf die Impfung gibt?
Definitiv nicht, das wäre wirtschaftlich fatal. Wir brauchen den Wintertourismus. Außerdem hat der Sommer bewiesen, dass es auch möglich ist, wenn es Regeln gibt, die eingehalten werden. Diese werden in den kommenden Wochen erarbeitet.
Die Einführung der Corona-Ampel verlief zuletzt chaotisch. Vom Probebetrieb sickerte etwa durch, dass auch der derzeitige Corona-Hotspot Wien grün ausgewiesen wurde. Glauben Sie noch an das Projekt?
Der Gesundheitsminister hat dieses Projekt auf den Weg gebracht, derzeit ist es in einem Probebetrieb, er wird nächste Woche den Regelbetrieb präsentieren.
Wissen Sie schon, was bei welchen Ampelfarben passieren wird?
Nein.
Unlängst gab es nach einer grotesken Verordnung einen massiven Stau beim Karawanken-Tunnel. Dann wurden die gesammelten Einreiseformulare geschreddert. Wurde die Bevölkerung hier nicht veräppelt?
Das ist gar kein Ausdruck. Es ist absolut inakzeptabel, was da stattgefunden hat. Ein 15-stündiger Stau ist untragbar und eine Zumutung.
Hat hier nicht auch die Politik versagt mit ihren Verordnungen?
Ich halte nichts von gegenseitigen Schuldzuweisungen. Die Verantwortlichen haben bereits dazu Stellung genommen. Mir ist wichtig, dass so etwas nie wieder stattfindet, das haben auch die Verantwortlichen betont.
„"Es ist absolut inakzeptabel, was da beim Karawankentunnel stattgefunden hat."“
Auch auf das Ergebnis eines Corona-Tests warten Betroffene teilweise noch über 72 Stunden.
Da gibt es definitiv Luft nach oben. Ich hoffe, dass die Gesundheitsbehörden besser und schneller werden. Wenn jemand positiv ist, ist jede Stunde, die man dazu nützen kann, Kontaktpersonen ausfindig zu machen und zu isolieren, Goldes wert.
Wie viele Tests haben Sie hinter sich?
Ich habe aufgehört, mitzuzählen. Im Schnitt zumindest einen im Monat.
In etwas mehr als einer Woche startet auch die Schule wieder. Wie groß ist die Gefahr, dass bei Auftreten der ersten Fälle wieder über eine Million Schüler ins Home Schooling wechseln müssen?
Die Zielsetzung ist klar: Der Schulbetrieb soll so normal wie möglich stattfinden. Die Schulen werden öffnen. Wenn es Infektionsfälle gibt, sollte möglichst regional begrenzt darauf reagiert werden.
Was heißt das genau?
Zunächst bedeutet das einmal die Schließung einzelner Klassen. Erst, wenn es wirklich notwendig wird, sprich zum Schutz der Gesundheit, sollten ganze Schulen geschlossen werden.
Wie bilanzieren Sie das Home Schooling im Frühjahr?
Es war eine Riesen-Herausforderung für die Menschen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Unser Ziel ist daher, dass der Unterricht wieder regulär stattfinden kann.
Es hat gleichzeitig auch gezeigt, dass unser Bildungssystem null auf das Distance Learning vorbereitet war.
Wir werden daher neben einem Digitalisierungsschub nun auch die sogenannten Brennpunktschulen mit zusätzlichem Personal ausstatten. Besonders besorgniserregend war nämlich, dass sieben Prozent der Schüler im Lockdown gar nicht erreicht werden konnten. Das waren Schüler aus sozial schwachen Familien, in denen es wenig Unterstützung von den Eltern gibt. Das ist problematisch für den ganzen Bildungsverlauf dieser Schüler. Damit jedes Kind eine bestmögliche Bildungskarriere in unserem Land hinlegen kann, werden wir diese Brennpunktschulen stärken.
Wenn man Sie so reden hört, könnte man den Eindruck gewinnen, Sie hätten vielleicht das neue Buch von Frau Erkurt gelesen. Sie schreibt über die „Generation Haram“ in Schulen.
Ich kenne die Probleme und Herausforderungen, die sie beschreibt, sehr gut.
Die Wirtschaft ist 2020 wegen der Pandemie beträchtlich eingebrochen, die Anzahl der Menschen ohne Job ist nach wie vor beträchtlich. Habe ich Sie richtig verstanden, dass es weniger Arbeitslose gibt, wenn jetzt alle heimische Erdäpfel essen?
Natürlich, nicht nur bei den Erdäpfeln ist das so. Es gibt sehr viele Bereiche, in denen wir österreichische Produkte kaufen können, insbesondere bei landwirtschaftlichen Produkten. Das ist gut für die Umwelt, das schützt das Klima – und das schafft Arbeitsplätze in Österreich.
Haben Sie eine Größenordnung, wie viele das sind?
Wenn wir 20 Prozent mehr heimische Produkte konsumieren, dann reden wir von bis zu 50.000 zusätzlichen Jobs.
Gestatten Sie mir abschließend noch eine persönliche Frage: Sie sind diese Woche 34 Jahre alt geworden. Steht am Wochenende eine größere Feier am Programm?
Größere Feierlichkeiten nicht, wir machen das immer gleich und grillen im kleinen Kreis der Familie in Niederösterreich. Das Wetter wird nicht ganz ideal sein, aber wir werden das durchstehen.