Ukraine

Ukraine-Minister entschuldigt sich vor aller Welt

Ukraines Verteidigungsminister Olexij Resnikow gab erstmals einen Hinweis auf die Höhe der eigenen Verluste – jetzt muss er sich dafür entschuldigen.

Roman Palman
Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow steht wegen eines Interviews in der Kritik.
Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow steht wegen eines Interviews in der Kritik.
Hannes P Albert / dpa / picturedesk.com

Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 und die seither tobenden Kämpfe haben auf beiden Seiten verheerende Verluste gefordert. Die Zahl der Todesopfer unter Ukrainern und Russen ist zweifellos riesig, doch genau beziffern lässt sie sich nicht. 

Die offiziellen Statistiken, die von beiden Kriegsparteien über die Abschüsse des jeweils anderen ausgegeben werden, sind nicht für bare Münze zu nehmen. Zu wichtig ist der Einfluss der Zahlen jeweils auf die landeseigene Moral und Propaganda. Die eigenen Verluste werden nur sehr spärlich vermeldet.

Zuletzt wagte sich der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow aus der medialen Deckung. In einem Interview mit der spanischen Zeitung "La Razón" gab er einen Hinweis auf die Höhe der Verluste in den ukrainischen Reihen: "Wir haben Todesopfer, einfach weil wir im Krieg sind. Aber sie sind deutlich weniger als jene Russlands. Ich kann Ihnen keine genaue Zahl sagen, aber versichern, dass unsere Verluste geringer sind als die Zahl der Toten bei dem Erdbeben in der Türkei".

Für diesen Vergleich zur Beben-Katastrophe vom 6. Februar, welche nach türkischen Angaben mehr als 50.000 Menschenleben forderte, kassierte der 56-Jährige heftige Kritik. 

"Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen"

Nach einem riesigen Medienecho rudert er nun betreten zurück: "Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen in der Ukraine und der Türkei, die von meinen Äußerungen in einem Interview mit der spanischen Zeitung 'La Razón' beleidigt wurden", so Resnikow am Montagvormittag via Twitter. 

Die Ukraine sympathisiere mit dem türkischen Volk. "Wir verstehen, wie es ist, Tausende von unschuldigen Menschen zu begraben – Freunde und Nachbarn. Ich bin unseren türkischen Freunden für ihre unerschütterliche Unterstützung und feste Haltung gegenüber der Krim seit Beginn der russischen Invasion dankbar." Die genaue Zahl der getöteten ukrainischen Soldaten bleibt aber weiter ein Staatsgeheimnis.

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    Die Ukraine ist mittlerweile durchzogen von Schützengräben. 
    Die Ukraine ist mittlerweile durchzogen von Schützengräben.
    Roman Chop / AP / picturedesk.com

    Resnikows Aussage auf dem Prüfstand

    Doch wie ist es eigentlich um den Wahrheitsgehalt von Resnikows Aussage bestellt?

    Bis Anfang Dezember wurden nach Angaben seines eigenen Verteidigungsministeriums mehr als 13.000 ukrainische Soldaten getötet. Das ist nun rund fünf Monate her, das Sterben an der Front ist aber nicht weniger geworden. Aufgrund des Alters der Angabe und dem allgegenwärtigen Propaganda-Nebel ist diese Zahl wohl als am unteren Ende einzustufen.

    Das krasse Gegenteil liefert Wladimir Putins Regime. Nach offiziellen russischen Schätzungen will man bis September 2022 61.207 Verteidiger getötet und 49.368 verwundet haben. Auch das ist stark anzuzweifeln, da es in der Regel bei laufenden Kampfhandlungen deutlich mehr Verwundete als Gefallene gibt. Das Verhältnis der Kreml-Angaben entspricht hier nicht den landläufigen historischen Erfahrungen.

    Wie viele Tote sind es wirklich?

    Bleiben nur Schätzungen Dritter. Der Oberbefehlshaber der norwegischen Streitkräfte, General Eirik Johan Kristoffersen, beziffert die ukrainischen Verluste bis 22. Jänner diesen Jahres auf mehr als 100.000 – "Heute" berichtete.

    Achtung! Unter dem Begriff Verluste werden u.a. im Englischen ("losses") Getötete und Verletzte zusammengezählt. Das war auch Ursula von der Leyens Fehler, als sie bei einer Rede Ende November 2022 irrtümlich Verluste mit Getöteten gleichsetzte.

    Die kürzlich ans Licht gekommen, geleakten US-Geheimdokumente zur aktuellen Lage im Ukraine-Krieg sprechen von 15.500 bis 17.500 getöteten Ukrainern an der Front und 109.000 bis 113.500 Verwundeten bis Ende Februar 2023. Ob die Papiere authentisch sind, wird von vielen weiterhin angezweifelt – der mutmaßliche Urheber des Datenlecks wurde von US-Behörden unterdessen festgenommen. 

    Das sind aber immer noch nur die Zahlen von im Kampf getöteten Männern und Frauen. Die Opfer unter der Zivilbevölkerung gehen ebenfalls über die Zehntausende: Die ukrainische Polizei will bis Ende 2022 mindestens 16.502 Tote gezählt haben. Die heftige Prognose der ukrainischen Kriegsverbrecherjäger reicht sogar bis 100.000.

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      Wagner-Chef <a data-li-document-ref="100255572" href="https://www.heute.at/g/-100255572">Jewgeni Prigoschin</a> in einem Video, das ihn mit russischer Fahne auf dem Rathaus von Bachmut zeigen soll. Es wurde am 3. April 2023 veröffentlicht.
      Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin in einem Video, das ihn mit russischer Fahne auf dem Rathaus von Bachmut zeigen soll. Es wurde am 3. April 2023 veröffentlicht.
      Concord Press Service/Handout via REUTERS

      Und bei den Russen?

      Völliges Stillschweigen zu den eigenen militärischen Toten gibt es übrigens aus dem Kreml. Seit September werden keine Zahlen mehr veröffentlicht und was davor verlautbart wurde, ist eine glatte Lüge: Nach offiziellen russischen Angaben hatte man bis dahin keine 6.000 Tote in den eigenen Reihen gezählt.

      Das widerlegt nicht nur die Tatsache, dass die innenpolitisch äußerst unbeliebte Teilmobilmachung notwendig wurde, sondern auch Recherchen der unabhängigen russischen Nachrichtenplattform Mediazona in Kooperation mit BBC News Russland. Die Nachforschungen liefern die aktuell jüngsten Daten (14. April) zu den Todeszahlen des Aggressorstaates und basieren auf einer Zählung von öffentlich einsehbaren Nachrufen und Todesanzeigen.

      20.451 Tote bestätigt

      Das Team konnte so bereits den Tod von 20.451 namentlich genannten Russen überprüfen und bestätigen. Das ist als konservative Unterkante einzustufen, denn lange nicht jeder Tod eines Soldaten wird von Angehörigen oder Lokalbehörden auch im Internet oder Sozialen Netzwerken öffentlich gemacht. Die darauf basierende Schätzung kommt auf mehr als 41.000 Tote und 143.000 Verletzte.

      Das britische Verteidigungsministeriums spricht derweil von 40.000 bis 60.000 russischen Gefallenen vor dem 17. Februar 2023. In Summe, also inklusive Verwundeter, gebe es um die 200.000 russischen Verluste. Ähnliches wird auch aus den USA verlautbart.

      Während der Kreml zu tief stapelt, ist die Schätzung Kiews zwiespältig: Ukrainische Medien sprechen von 182.660 Verlusten bei den Russen, das tägliche Update des Generalstabs der Armee hingegen spricht allerdings von "liquidiertem Personal", was eine Getöteten-Zahl suggerieren würde – letzteres dürfte Anbetracht der Schätzung von selbst Ukraine-Verbündeten aus der Luft gegriffen sein.

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        ALEX WROBLEWSKI / AFP / picturedesk.com