Ukraine
NATO-Chef hat schlimme Putin-Prognose für Europa
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert nun bereits vier Monate – und es könnten noch viele viele mehr werden, fürchtet Jens Stoltenberg.
Die erbitterten Kämpfe an der rund 1.000 Kilometer langen Front von Charkiw im Norden über Sjewjerodonezk im Donbass bis hinunter nach Cherson im Süden toben ungehemmt weiter, eine friedliche Lösung des Konflikts ist in weite Ferne gerückt. Sowohl die Ukrainer als auch die Russen kämpfen nicht nur gegeneinander, sondern laut britischem Geheimdienst auch mit der schwindenden Moral, Desertationen und Fahnenflucht in den eigenen Reihen.
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Die russische Armee ist zudem offenbar nicht mehr in der Lage, in schnellen Schlägen viel Land zu gewinnen. Auch den Ukrainern fehlt es an Kraft für großräumige Gegenoffensiven – der Konflikt ist in eine Phase eingetreten, die das Schlimmste hervorbringt. Im militärischen Jargon spricht man von einem "Abnützungskrieg". Invasoren und Verteidiger reiben sich gegenseitig in hohem Maße ab, auf beiden Seiten stapeln sich nicht nur die zerschossenen Panzer immer höher – sondern auch die Leichen.
Russen bomben alles nieder
Trotzdem glaubt man im Kreml offenbar weiterhin, eine Entscheidung zu ihren Gunsten auf dem Gefechtsfeld zu erreichen. Unter dem Oberkommando von General Alexander Dwornikow hat Wladimir Putins Armee die Taktik geändert. Es gibt keine massiven motorisierten Vorstöße mehr in die Tiefe der Ukraine, stattdessen wird Meter um Meter langsam vorgerückt. Allerdings nicht bevor mit der eigenen massiven Artillerieüberlegenheit – die Ukrainer sprechen von einem Verhältnis von 15:1 – auch wirklich alles in Schutt und Asche gelegt wurde. Der Tod kommt aus Dutzenden Kilometern Entfernung. Viele Soldaten sterben, ohne den Feind je gesehen zu haben.
NATO-Chef: Putin darf nicht gewinnen
Und genau diese Situation könnte in der Ukraine noch für lange Zeit Realität bleiben. Das fürchtet NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg: "Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass es Jahre dauern könnte. Wir dürfen der Ukraine nicht die Unterstützung versagen – selbst wenn die Kosten hoch sind", warnte der Militärbündnis-Chef auch im Hinblick auf die hohen Energie- und Lebensmittelpreise in einem Interview mit der deutschen "Bild". Für die NATO gebe es keine andere Option, denn Putin seine militärischen Ziele erreichen zu lassen, würde die Welt noch teurer zu stehen kommen.
Johnson: "Zeit ist ein wichtiger Faktor"
Auch Briten-Premier Boris Johnson, der erst vergangene Woche den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski in Kiew getroffen hatte, fürchtet offenbar einen noch lange andauernden Konflikt. Er beschuldigte Kreml-Despot Putin, eine "Kampagne der Zermürbung" zu fahren und zu versuchen, die Ukraine mit "schierer Brutalität zermahlen" zu wollen.
"Ich fürchte, wir müssen uns auf einen langen Krieg einstellen", schrieb Johnson in der "Sunday Times". "Zeit ist ein wichtiger Faktor. Alles hängt davon ab, ob die Ukraine die Kräfte zur Verteidigung ihres Bodens schneller stärken kann, als Russland seine Angriffskräfte." Nur mit den Waffen des Westens könnte die Ukraine vielleicht auch die russisch-kontrollierten Gebiete zurückerobern.
Briten rüsten jetzt auch eigene Armee auf
Großbritannien stellt sich neben dem Fortsetzen der Waffenlieferungen auch auf die Möglichkeit eines Landkriegs in Europa, bei dem auch britische Soldaten an vorderster Front kämpfen und sterben, ein. Der neu eingesetzte Kommandant der Streitkräfte, General Patrick Sanders, hatte laut "BBC" in einer internen Nachricht davon gesprochen, dass die russische Invasion die Wichtigkeit einer starken Armee, "um das Vereinigte Königreich zu beschützen und um bereit zu sein, Kriege an Land zu kämpfen und zu gewinnen" unterstreichen würde. Man müsse der "russischen Aggression mit der Androhung von Waffengewalt" Einhalt gebieten.