Wladimir Putin und Donald Trump legen gerade die bisher gültige globale Weltordnung in Schutt und Asche. Europa reagiert auf diese neue Bedrohungslage mit einer beispiellosen Aufrüstung der über Jahrzehnte kaputtgesparten Militärs. Eine üble Notwendigkeit, um im globalen Machtpoker nicht unter die Räder zu kommen, mahnt Franz-Stefan Gady in einem Interview mit den "Salzburger Nachrichten".
"Die Militärbudgets und die militärischen Fähigkeiten in Europa waren bis vor Kurzem auf einem so niedrigen Stand, dass Russland militärisch gefährlich werden könnte – offensiv gefährlich werden könnte", sagt der Politikberater und Militärexperte. Die EU sei als "Friedensprojekt" nur möglich gewesen, weil man sich auf den Schutzschirm der USA verlassen konnte.
Er plädiert nun in seinem jüngsten Buch für die "Rückkehr des Krieges" in das Bewusstsein der politischen Entscheidungsträger: "Wir benötigen ein neues Verständnis von Sicherheitspolitik". Die Europäische Union müsse in diesen turbulenten Zeiten auf ein Gleichgewicht von Diplomatie und Dialog sowie militärischer Stärke setzen.
"Wir müssen einen Mittelweg finden. Also nicht allein auf Aufrüstung setzen, aber auch nicht nur auf Diplomatie und Dialog, weil das einen Aggressor nur ermutigen würde." Diese Lehren gelte es aus der Militarisierung der Gesellschaft und dem Wettrüsten vor dem Ersten Weltkrieg und der militärisch zahnlosen Appeasement Politik gegenüber Nazi-Deutschlands zu ziehen.
Gerade seit dem Ende des Kalten Kriegs hätten die europäische Staaten, vor allem aber Exportnationen wie Österreich und Deutschland, die Sicherheitspolitik durch eine außenpolitische und ökonomische Brille gesehen. "Das ist ein Fehler", stellt Gady klar.
Die europäischen Bemühungen, durch Dialog und wirtschaftliche Verflechtung Russland zu einem sicherheitspolitischen Partner zu machen, sind bekanntlich krachend gescheitert. Für den österreichischen Militäranalysten hatten diese nie Chancen auf Erfolg, Russland habe dies als "Teil der hybriden Kriegsführungsstrategie" gesehen: "Es ging unter anderem darum, deutsche und österreichische Politiker in staatlich geführte russische Unternehmen einzubinden." Diese Eliten sollten dann gewissermaßen als "trojanische Pferde" für Russland Einfluss in der Heimat und Brüssel nehmen.
Nur warum? "Das russische sicherheitspolitische Ziel ist seit ungefähr 300 Jahren unverändert. Es geht immer darum, ein vereintes, starkes Mitteleuropa zu verhindern. Derzeit geht es um die Zerschlagung oder Schwächung der Europäischen Union und der NATO. In dieser Hinsicht gab es nie einen offenen, ehrlichen Dialog mit dem russischen Präsidenten Putin", betont der 43-Jährige.
In seiner öffentlichen Kommunikation bezeichnet der Kreml weiterhin die "NATO-Osterweiterung" als Sicherheitsrisiko für Russland und als einen der Gründe für den Angriff auf die Ukraine. Tatsächlich ging die Initiative nicht von dem transatlantischen Verteidigungsbündnis aus, denn die ehemaligen Sowjetstaaten stellten selbst ihre Anträge auf Aufnahme.
Gerade in den 1990ern sei zwar auf westlicher Seite "einiges schiefgelaufen", doch sei das nur ein Teil der Geschichte, mahnt auch Gady. "Man darf nicht vergessen: Bevor man davon abrückte, eine neue europäische Sicherheitsarchitektur zu bauen, die tatsächlich Russland einschließt, gab es auch einen Krieg. Es war die Entscheidung des damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin, der sich Tschetschenien militärisch wieder einverleiben wollte. Das führte dazu, dass osteuropäische Staaten noch energischer an die NATO und die Amerikaner mit der Bitte um Aufnahme herangetreten sind. Sie hatten Angst vor einer neuerlichen russischen Aggression."
Jetzt sieht sich Europa erneut einem aggressiv expandierendem Russland gegenüber, gleichzeitig sorgt Donald Trump dafür, dass es für einen amerikanischen Schutzschirm keine Garantie mehr gebe. Falle dieser weg, "müssen wir uns in der EU sehr harten Fragen stellen". Eine echte Verteidigungsunion aufzubauen würde laut Gady weit höhere Summen als bisher veranschlagt verschlingen und mindestens ein Jahrzehnt dauern. Sein knallhartes Fazit: "Die EU wird sich in diesem System verändern müssen oder irrelevant werden."
Russland bleibe auf absehbare Zeit die primäre Bedrohung an der Ostflanke der Europäischen Union, viele Beobachter und Analysten rechnen damit dass es auch schon vor 2029 dazu kommen könnte, dass Putin die NATO-Reaktion militärisch "testet".
"Aber wir müssen auch davon wegkommen, nur über rein konventionelle militärische Bedrohungen zu sprechen. Auf einer hybriden Ebene sind wir bereits in einem Konflikt, wenn man an Desinformationskampagnen, Cyberangriffe, Sabotageaktionen, Mordanschläge und dergleichen mehr denkt. Auch die Migrationsströme sind Teil der hybriden Kriegsführung geworden. Wir befinden uns längst in einem Konflikt mit Russland."
Franz-Stefan Gady ist unabhängiger Verteidigungsanalyst und Militärberater. Er ist außerdem Senior Fellow am Institute for International Studies in London und Adjunct Senior Fellow am Center for New American Security in Washington. Er berät Regierungen und Streitkräfte in Europa und den USA zu Fragen der Strukturreform und der Zukunft der Kriegsführung. Seine Feldforschungen führte er in der Ukraine, Afghanistan und im Irak durch, wo er sich unter anderem bei den ukrainischen Streitkräften, der afghanischen Nationalarmee, den NATO- Streitkräften und kurdischen Milizen bewegte. Er ist außerdem Reserveoffizier des österreichischen Bundesheeres.
Quelle: BMEIA