Peter R. Neumann

"Terror kommt zurück" – Experte gegen Messerverbot

Terrorismusforscher Peter R. Neumann sieht eine neue Welle des IS-Terrors über Europa schwappen. Ein Messerverbot hält er dennoch nicht für sinnvoll.

Roman Palman
"Terror kommt zurück" – Experte gegen Messerverbot
Peter R. Neumann gilt als bekanntester Experte der Terrorismusforschung im deutschsprachigen Raum.
Anna Weise / SZ-Photo / picturedesk.com

Erst der verhinderte Terror-Anschlag mit Macheten und Bomben in Wien, dann der Messer-Angriff in Solingen, wo drei Menschen getötet wurden. In beiden Fällen soll es eine Verbindung zur Terrororganisation Islamischer Staat geben.

Terrorismusexperte Peter R. Neumann spricht nicht zum ersten Mal vom möglichen "Beginn einer neuen Welle des Terrorismus", die über Europa rollt: "Diese Welle könnte Deutschland stärker treffen, als es in der Vergangenheit der Fall war", sagt er in einem am Sonntag veröffentlichten Interview mit T-Online.

Das Bekennerschreiben von Solingen lasse sich eindeutig dem Islamischen Staat zuordnen, sei über die richtigen Kanäle verteilt worden. Ob der verhaftete Asylwerber Isaa al H. sich auch tatsächlich zum IS bekannt hat, ist hingegen noch offen.

Ein von der Terror-Miliz veröffentlichtes Foto des angeblichen Attentäters zeigt diesen nur stark vermummt. In der Regel, so Neumann, würden einem Bekennerschreiben aber noch weitere Botschaften und persönliche Details zum ausführenden Dschihadisten folgen.

"Der Terror kommt zurück"

Klar ist jedenfalls: Schon seit Jahresbeginn ruft der IS zu genau solchen Taten auf. "Es geht um Anschläge, die mit einfachsten Mitteln erfolgen sollen, etwa mit Messern oder Autos. Genau so etwas haben wir auch in Solingen erlebt", so Neumann. Seit 2022 habe sich die Zahl dschihadistischer Anschläge in Europa, durchgeführte wie verhinderte, vervierfacht.

"Die Zunahme ist deutlich und dramatisch. Deshalb sage ich: Der Terror kommt zurück", warnt der Experte: Und weiter: "Man hatte geglaubt, der IS sei besiegt. Aber er hat sich wieder berappelt. Jetzt sehen wir: Die Einschläge kommen häufiger und näher. Der Dschihadismus ist wieder die größte Terrorgefahr Westeuropas."

"Riesiger Motivationsschub"

Es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, bis wieder etwas Schreckliches passiere. "Es hat sich etwas zusammengebraut", der Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 sei ein "riesiger Motivationsschub" für Dschihadisten gewesen: "Viele waren davor orientierungslos und deprimiert. Sie haben sich gefragt, wie es überhaupt weitergehen soll. Mit dem Krieg im Nahen Osten haben sie wieder ein Thema gefunden."

TikTok-Dschihadisten

Dazu komme der Trend zu "TikTok-Dschihadisten": Zwei Drittel der seit Oktober festgenommenen Tatverdächtigen in Westeuropa seien Teenager. Das sei vor zehn Jahren noch "völlig anders" gewesen. Neumann erklärt sich das mit dem zunehmenden Einfluss der Sozialen Medien: "Es braucht keine radikale Moschee mehr".

Zum einen, so Neumann weiter, müssten die großen Plattformen viel stärker in die Pflicht genommen werden. Facebook habe vor zehn Jahren auf politischen Druck reagiert, bei Telegram sei das wegen undurchsichtiger Konzernstrukturen schwerer. Dort könne man nur eigene Agenten in Gefährdergruppen einschleusen, um diese zu überwachen.

Archivbild: Peter R. Neumann nach der Vereitelung des Terroranschlags in Wien in der ZIB2, 8. August 2024.
Archivbild: Peter R. Neumann nach der Vereitelung des Terroranschlags in Wien in der ZIB2, 8. August 2024.
Screenshot ORF

Da sei der Staatsschutz aktuell aber noch schwachbrüstiger aufgestellt, mahnt der Terrorismusforscher. "Mein Gefühl ist: Sicherheitsbehörden tun sich im virtuellen Raum weiter schwer. Das Internet ist genauso wichtig wie die Überwachungen auf der Straße und in den radikalen Moscheen. Das ist noch nicht überall angekommen."

Messerverbot nicht sinnvoll

Der populärpolitischen Forderung nach einem Messerverbot steht er skeptisch gegenüber: "Niemand wird alle Messer verbieten können". Außerdem sei dem IS das Messer nicht heilig, es gehe nur darum, mit einfachsten Mitteln möglichst viele Ungläubige zu töten.

"Die Terroristen können ihre Anschläge durchführen, wie sie wollen. Sie könnten genauso gut mit Autos in die Menge fahren. Danach würde aber niemand auf die Idee kommen, Autos zu verbieten", argumentiert Neumann.

Mehrfache "Zeitenwende"

Auch politisch müsse sich etwas ändern, mahnt der Experte: "Nach Anschlägen formulieren Politiker steile Forderungen und wecken riesige Erwartungen, die schnell enttäuscht werden und das Vertrauen in die Politik letztlich weiter untergraben."

Ich glaube, das Land steht an einer Art Weggabelung.
Peter R. Neumann
Terrorismusforscher

Kleinteilige Ersatzdebatten über Messerverbote und Klingenlängen seien fehl am Platz, stattdessen sollten die Vertreter demokratischer Parteien die Köpfe zusammenstecken und eine gemeinsame Lösung finden. Laut Neumann braucht es nämlich nicht weniger als eine Art "Zeitenwende" in den Bereichen Terrorismusbekämpfung, Extremismusbekämpfung, Integration und Migration.

Mit Blick auf Deutschland warnt er: "Ich glaube, das Land steht an einer Art Weggabelung. Es geht um weit mehr als drei Landtagswahlen. Wenn demokratische Politik jetzt keine Handlungsfähigkeit beweist, gewinnen die Gegner der Demokratie."

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    privat, iStock

    Auf den Punkt gebracht

    • Terrorismusforscher Peter Neumann warnt vor einer neuen Welle des IS-Terrors in Europa
    • Trotzdem hält er ein Messerverbot für nicht sinnvoll und betont die Notwendigkeit einer umfassenden politischen und gesellschaftlichen Veränderung in der Terrorismusbekämpfung
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