Fussball
Tatar: "Burgstaller schießt heuer nur 10 bis 12 Tore"
Sky-Experte Alfred Tatar spricht vor dem Liga-Start in "Heute" über Salzburgs Götterdämmerung, Sturms Ikarus-Sorgen, Rapids Tor-Problem und mehr.
"Wir wollen eine ganz moderne Variante des Brechstangenfußballs ausarbeiten und sind sozusagen die Antithese von Barcelona", sagte Alfred Tatar einmal als Trainer der Vienna. "Ich liege nie falsch, ich habe eine sehr weiche Matratze zu Hause", behauptete er als Sky-Experte.
Mit seinen sarkastisch-tiefgründigen und kritischen Kommentaren gibt Tatar der Sky-Fußballberichterstattung eine besondere Note. Vor dem Start der 50. Bundesliga-Saison am Freitag mit dem Match LASK gegen Rapid (20.30 Uhr, live ORF1/Sky) bat "Heute" den "Fredi" um seine Einschätzung zur Lage der Liga. Er bestellte ein Campari-Orange und legte los.
"Heute": Reißt heuer Salzburgs Meisterserie?
Alfred Tatar: "Die Götterdämmerung findet heuer statt."
Unter Götterdämmerung steht im Duden "Anbruch eines neuen Zeitalters". Echt jetzt?
"Es ist in der Liga so bekannt wie Salzburg agiert, dass selbst schwächere Teams Rezepte in der Tasche haben. Der überragende Spieler Seiwald ist heuer in Salzburg nicht mehr dabei. Er war in jeder Spielsituation Herr über die Lage – das wird fehlen. Es wird mehr Ballverluste und damit auch gegnerische Konter geben. Das zweite Problem ist der Sturm: Es gibt Konate. Die Frage ist, ob er sich physisch über eine ganze Saison durchsetzen kann. Falls nicht, wird es schwierig. Auch einen neuen Tormann gibt es. Der Umbruch heuer ist schwerwiegend. Und mit dem Abgang von Christoph Freund ist die Götterdämmerung angebrochen. Wer das nicht sieht, ist blind."
Hinterlässt der Abgang von Freund das bisher größte Loch in Salzburg – trotz Haaland, Mane, Adeyemi oder Szoboszlai?
"Das würde ich so nicht behaupten. Christoph Freund hat ja auch bei Ralf Rangnick gelernt. Sein Nachfolger Bernhard Seonbuchner wird das gut machen, weil er bei Freund gesehen hat, wie es geht. Dieses Know-how geht nicht verloren. Neben dem Fachlichen gehört aber auch das Menschliche dazu in dieser Position. Da war Freund überragend. Die Frage wird sein, ob der Neue diese Fußstapfen ausfüllen kann."
„"Heuer ist die schwierigste Situation für Sturm seit Ilzer dort ist"“
Sturm war in der Vorsaison nahe dran. Ist der Titel jetzt der nächste Schritt?
"Nein. Auf hohem Niveau etwas zu stabilisieren, hat in Österreich zuletzt nur Salzburg geschafft. Ich denke bei Sturm an den Ikarus. Er kam der Sonne so nahe, dass die Flügel zu brennen anfingen und er abstürzte. Die Gefahr besteht in Graz. Heuer ist die schwierigste Situation für Sturm seit Ilzer dort ist. Die Erwartungshaltung ist zu recht hoch. Mit Emegha verlor man aber einen extrem wichtigen Spieler."
Sorgenfalten bei Salzburg und Sturm. Schlägt die Stunde des LASK?
"Der LASK ist heuer der interessanteste Klub. Die Frage ist, wie schnell der Umbruch von Kühbauer zu Sageder funktioniert. Klar ist: Ein Mittelding darf es nicht werden. Halb Kühbauer, halb Sageder – das geht sich nicht aus. Sageder steht für das Spiel von Oliver Glasner. Kühbauer hat eine Bomben-Saison hingelegt, ist aber nicht mehr der Trainer. Er hat richtigerweise erkannt, was er spielen muss, damit er erfolgreich ist. Er hat das klug gelenkt, hatte immer Kontrolle über das Spiel. Das wird bei Sageder anders sein."
„"Beim LASK wird es ein ständiges Arbeiten an der physischen Belastungsgrenze"“
Warum?
"Er lässt jagen, schiebt nach und öffnet damit die Räume. Die physische Belastung für die Spieler wird viel höher sein. Sageder braucht für sein Angriffspressing extrem fitte Spieler. Darum wurden die Neuzugänge geholt. Das ist schon okay. Aber es wird fordernd, weil du im Training üben musst, was du in den Spielen dann umsetzt. In Linz wird es ein ständiges Arbeiten an der körperlichen Belastungsgrenze."
Viele Baustellen, noch mehr Sorgen: Wer wird dann Meister?
"Ich sehe bei Salzburg, Sturm und dem LASK Fragezeichen. Alle drei können es schaffen. Es kann aber auch sein, dass Sturm abstürzt und nur Fünfter wird, der LASK Sechster, ich also gar keine Ahnung habe und Altach Zweiter wird. Was ich sagen will: Prophezeiungen brauchen eine Basis, auf der sie gebaut sind, damit sie seriös sind. Das habe ich versucht. Der Rest liegt nicht bei mir."
Das ist zu akzeptieren. Ihre Skizze zu Rapid bitte?
"Rapid ist ein eigenes Kapitel. Man hofft Jahr für Jahr, dass sie stark sind. Wenn schon nicht Salzburg, dann muss man wenigstens ein seriöser Herausforderer von Sturm und LASK sein. Die Top 6 als Ziel sind für mich eine taktische Ansage des Trainers, um Druck herauszunehmen. Aber Platz sechs sollte Rapid als Grundziel nicht zu Gesicht stehen."
Das sehen viele Fans ähnlich. Was erwartet die Rapid-Anhänger sportlich?
"Ich habe letzte Saison 22 Tore von Burgstaller prophezeit, 21 sind es geworden. Das wird heuer nicht der Fall sein. Ich rechne mit der Hälfte, also nur zehn bis zwölf – da wird der Guido auch schon zufrieden sein."
„"Jetzt stelle ich die Frage: Wer soll die Rapid-Tore machen?"“
Warum?
"Immer kannst du nicht so einen Lauf haben. Burgstaller machte letzte Saison mehr Tore als der XG-Wert für die Expected Goals angab. Das war seiner Klasse geschuldet, das geht aber nicht jedes Jahr. Jetzt stelle ich die Frage: Wer soll die Rapid-Tore machen? Grüll oder Kühn sind keine Finalisierer, sondern Einfädler. Die Tore von Burgstaller sind aber die Lebensversicherung von Rapid, davon ist man abhängig."
Heißt?
"Rapid muss das übers Kollektiv auffangen. Da fehlt mir aber ein konkreter Sechser. Er ist der Mittelpunkt des Spiels, der Lenker und Leiter. Den hat Rapid nicht. Mit dem Präsidentenwechsel hofften viele auf frische Millionen, es scheint, dass die finanzielle Aufwertung aber nur marginal ist. Für einen starken Sechser ist das Geld nicht da. Auf dieser Position braucht es aber einen Top-Mann. Dafür sollte man in Hütteldorf Geld in die Hand nehmen."
Wie weit sind Sattlberger oder Seidl?
"Sattlberger ist vielversprechend, er wird aber nicht die Qualität von Sturms Gorenc Stankovic oder Salzburgs Gourna-Douath erreichen. Gute Leute, wie Seidl einer ist, wachsen auch mit der Qualität der Spieler neben sich. Siehe Prass, der bei Sturm Gorenc Stankovic an seiner Seite hat."
„"Die Austria ist weiter als Rapid, ihre Achillesferse ist die Verteidigung"“
Ist die Austria heuer stärker als Rapid?
"Die Austria ist weiter als Rapid. Sie hat mehr Möglichkeiten in Sachen Spielidee. Mit Tabakovic, Fitz oder Fischer ist das Toreschießen auf mehr Schultern verteilt. Das Problem liegt für mich wo anders: Die Achillesferse der Austria ist die Verteidigung. Ohne den Spielern zu nahe treten zu wollen, ist die Schnelligkeit in der Abwehr heute extrem wichtig. Die Austria brachte viele Resultate wegen defensiver Mängel nicht über die Bühne. Martins, Galvao oder auch Holland im Mittelfeld fehlt es an Schnelligkeit. Ich meine damit nicht nur die Geschwindigkeit, sondern auch die Wahrnehmung. Es werden Situationen nicht schnell genug erfasst."
Was blüht dem Aufsteiger Blau-Weiß Linz?
"Sie müssen ihr Spiel aus der 2. Liga mit dem hohen Pressing adaptieren. So wie sie erfolgreich waren, wird es nicht gehen. Scheiblehner wird das wissen. Blau-Weiß wird gegen gegen den Abstieg kämpfen, aber ich glaube erfolgreich. Nach unten ist das Feld dichter als oben in der Tabelle. Ich glaube, dass wir einen Pulk von sechs bis acht Teams haben werden, die wirklich mit dem Rotz raufen."
Wer steigt ab?
"Wenn ich jetzt einen Klub sage, lassen die ja schon den Korken knallen. Weil sie wissen: Uns erwischt es ganz sicher nicht."