Klimaschutz
Studie: Saporischschja-Kernschmelze beträfe ganze Regio
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine lässt Experten bang auf das AKW Saporischschja blicken. Eine Kernschmelze hätte fatale Folgen.
Eine als Folge von Kriegshandlungen mögliche Kernschmelze des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja hätte wahrscheinlich massive Auswirkungen für größere Teile der Ukraine und könnte auch weitere osteuropäische Staaten tangieren. Dies erklärte der Leiter des Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der BOKU, Nikolaus Müllner, bei einer Pressekonferenz der NGO Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) in Wien.
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Sollte zumindest einer der sechs Reaktoren des 2022 von russischen Truppen besetzten Kernkraftwerks Saporischschja 20 Prozent seines radioaktiven Cäsium-137 in die Umgebung abgeben, müsste angesichts einer Verstrahlung von 1.480 Kilobecquerel pro Quadratmeter das Umland des Kraftwerks in einem größeren Radius wahrscheinlich zu einer Sperrzone erklärt werden, erklärte Müllner. "Diese Sperrzone würde sehr wahrscheinlich auf die Ukraine beschränkt sein. Aber es könnte mit einer Wahrscheinlichkeit zwischen ein und drei Promille auch Wetterlagen geben, die auch zu einer solchen Kontamination in anderen Ländern führen könnten", sagte der österreichische Physiker.
Verstrahlung von Wildtieren und Pilzen
Zehn Mal schwächere Verstrahlungen mit Cäsium-137, die jedoch Auswirkungen auf die Landwirtschaft hätten und zu einer Verstrahlung von Wildtieren und Pilzen führen würden, sind laut Müllners Modellberechnung jedoch in einer sehr viel größeren Region und auch außerhalb der Ukraine deutlich wahrscheinlicher.
"Russland wäre dann mit hoher Wahrscheinlichkeit betroffen, auch die Republik Moldau, mit drei Prozent Wahrscheinlichkeit auch ein kleiner Teil Polens, mit ein Prozent Wahrscheinlichkeit die Slowakei, Rumänien, Ungarn und die Tschechische Republik", erläuterte der Wissenschafter. In Österreich liege die wetterbedingte Wahrscheinlichkeit für eine derartige Verstrahlung bei 0,04 Prozent, sagte er.
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Als günstig bewertete der Experte indes den Umstand, dass sich fünf der Reaktoren in Saporischschja im Zustand der Kaltabschaltung befänden und ein Reaktor im Zustand einer heißen Abschaltung befänden. "Das bedeutet, dass man bis zu 15 oder 20 Tage Zeit hätte, zu intervenieren, so es ein Problem in einem Reaktor gibt", erläuterte er. Dennoch könne nicht ausgeschlossen werden, dass bei Kriegshandlungen vor Ort ein Krisenmanagement nicht möglich sein könnte und eine Kernschmelze deshalb nicht vermieden werden könnte.
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Beschädigung des AKW als Kollateralschaden möglich
Bei seinen Erwägungen mithilfe von Wetterdaten von 1999 bis 2009 ging der Physiker dabei aus, dass eine Beschädigung des Kernkraftwerks als Kollateralschaden von Kampfhandlungen eine wahrscheinlichere Variante wäre. Eine bewusste Zerstörung, etwa durch Raketenbeschuss, wurde als Szenario nicht berücksichtigt. Diese militärische Risikoeinschätzung sei vom ABC Abwehrzentrum des österreichischen Bundesheers vorgenommen wurde, begründete Müllner. "Sie gehen davon aus, dass die Zerstörung eines Kernkraftwerks für keine der Kriegsparteien von Nutzen ist", sagte er. Die Annahme eines Austritts von 20 Prozent des radioaktiven Cäsium-137 aus einem Reaktor entspreche einem konventionellen, größeren Unfall im Normalbetrieb.
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Die NGO Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), die die BOKU-Studie in Auftrag gegeben hat, übte indes deutliche Kritik an der internationalen Gemeinschaft. Gerade auch Staaten, die die friedliche Nutzung von Kernenergie stark unterstützen, hätten sich bisher nicht dazu durchgerungen, Attacken auf Kernkraftwerke in Kriegszeiten als generell inakzeptabel zu erklären, und dieser Umstand entbehre dabei nicht einer gewissen Ironie, sagte IPPNW-Programmdirektor Charles K. Johnson.
"Denn dieses Inaktivität bedroht die Zukunft der Kernenergie, weil eine weitere Nuklearkatastrophe die Bereitschaft aller Länder reduzieren wird, derart verletzbare Anlagen ohne ein klares internationales Übereinkommen zum Verbot von Attacken bei sich zu beherbergen", sagte Johnson, der für seine NGO zum Vorbereitungskomitee für die aktuelle Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrag nach Wien gekommen war.
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