Ukraine

So kämpft das eigene Volk gegen Machthaber Putin

Seit dem Ukraine-Krieg durch Moskau kommt es immer wieder zu Sabotageakten. Ein Einblick in den Kampf gegen Putins Regime hinter den eigenen Reihen.

Brennende Rekrutierungsbüros, gesprengte Zuggleise: Seit Februar 2022 kommt es in Russland immer wieder zu Sabotageakten gegen Wladimir Putin.
Brennende Rekrutierungsbüros, gesprengte Zuggleise: Seit Februar 2022 kommt es in Russland immer wieder zu Sabotageakten gegen Wladimir Putin.
IMAGO/ITAR-TASS

Während die Ukraine mit Drohnenangriffen auf Tankdepots in und um die Krim-Halbinsel ihre seit längerem angekündigte Gegenoffensive womöglich aufgleist, haben die Armee und auch der Rest der Regierung von Wladimir Putin auch im eigenen Land mit Problemen zu kämpfen.

Das aktuellste Beispiel ist ein Güterzug, der am Abend des 2. Mai 2023 in der Grenzregion Brjansk entgleiste. Dabei sind laut der russischen Eisenbahn RZD nebst der Lokomotive auch rund 20 Waggons von den Schienen abgekommen. Grund für die neueste in einer Reihe von Zugentgleisungen an der russisch-ukrainischen Grenze war ein "unbekannter Sprengkörper", wie der Gouverneur der Region schreibt.

Völlig entrückt: Seit Februar 2022 kommt es in Russland immer wieder zu Sabotageakten gegen Wladimir Putin.
Völlig entrückt: Seit Februar 2022 kommt es in Russland immer wieder zu Sabotageakten gegen Wladimir Putin.
IMAGO/ITAR-TASS

Russische Partisanen als Drahtzieher vermutet

Immer wieder kommen nach solchen Angriffen Gerüchte auf, dass es sich um einen Angriff der CIA oder einer ähnlichen westlichen Organisation gehandelt haben müsse. Laut dem britischen Filmemacher Jake Hanrahan, dem Gründer der Medienorganisation "Popular Front", stecken aber meist russische Partisanen hinter den Sabotage- und Störaktionen, etwa der Beschädigung eines Spionageflugzeugs auf einem Flugplatz in Belarus durch eine Drohne.

"Wie wäre es, wenn einige Russen die Nase von Putin so gestrichen voll haben, dass sie etwas gegen das Regime unternehmen?", kontert er das CIA-Argument.

Gespräch mit Partisanen unter höchster Geheimhaltung

Hanrahan hat im Dokumentarfilm "Russlands Anti-Putin Untergrund" (17 Minuten Laufzeit) russische Partisanen begleitet und interviewt. Der Film beginnt in einem verschneiten Wald in Osteuropa, unweit der russischen Grenze. Der Filmemacher hat Koordinaten von den Partisanen erhalten, vor Ort angekommen erhält er einen neuen Treffpunkt in der Nähe des ersten vereinbarten Ortes. Dann erscheinen zwei Männer mit Rotlicht-Taschenlampe und Sturmmaske aus der Dunkelheit, die zur Organisation BOAK gehören sollen.

Im Gespräch mit Hanrahan berichten die beiden Partisanen von Aktionen, bei denen sie direkt beteiligt gewesen seien. So hätten sie, teils mit Sprengsätzen oder durch das Entfernen von Schrauben und Muttern, Bahnstrecken zerstört und lahmgelegt, aber auch Mobilfunkantennen und andere elektronische Infrastruktur nahe der ukrainischen Grenze sabotiert. Außerdem unterstützen sie die Organisation weiterer Widerstandsgruppen – im ganzen Land soll es bereits 30 Partisanenorganisationen geben, die gemeinsam den Kreml unterminieren wollen. Die Widerstandskämpfer bekannten sich auch zum Anschlag auf Darja Dugina.

Partisanen rekrutieren auf Telegram

Ihr Widerstand ist für die Partisanen simpel erklärt: "Es ist nicht Putins Land, es ist unser Land", so einer der Kämpfer und fügt hinzu: "Wenn nicht jetzt den Widerstand ergreifen, wann dann?" Seit Kriegsbeginn hat sich die BOAK nebst ihrem Langzeit-Ziel auch vorgenommen, den Ukraine-Krieg zu beenden. Seither würde man auf Kanälen wie Telegram, wo aktiv Saboteure rekrutiert werden, starkes Interesse verzeichnen.

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    Mit dieser Drohne und knapp 17 Kilogramm Sprengstoff wollte die Ukraine ein Attentat auf Putin verüben.
    Mit dieser Drohne und knapp 17 Kilogramm Sprengstoff wollte die Ukraine ein Attentat auf Putin verüben.
    t.me bazabazon

    Über diesen Weg hat auch Hanrahan die Gruppe kontaktiert. Um die Authentizität der Gruppe zu prüfen, forderte der Journalist noch unveröffentlichtes Material von Sabotage-Aktionen an – und erhielt "mehr als genug", wie Jake Hanrahan sagt. Laut dem Reporter, der seit mehreren Jahren über verschiedenste anarchistische Gruppen berichtet, handle es sich bei der BOAK um "echte Partisanen".

    Ihre Geo-Informationen würden die Widerstandskämpfer von Wikimapia beziehen – auf der Open-Source-Plattform kann jedermann Fotos und Beschreibungen zu Objekten an bestimmten Orten hinzufügen. "Man öffnet einfach die Website und sieht: 'Ok, hier hat es ein Militärobjekt'", so einer der Partisanen. Nach mehreren Spähermissionen attackieren die Saboteure dann – oft mit selbstgebastelten Sprengsätzen oder handelsüblichem Benzin.

    "Enormes Risiko, um Ukrainern zu helfen"

    Für ihre Einsätze riskieren die Partisanen ihr Leben – und wollen es im Notfall auch selbst beenden. "Es ist besser, zu sterben, als gefoltert zu werden und dabei vielleicht Informationen zu verraten. Wir würden Schusswaffen, Messer oder was auch immer wir finden, benutzen, um uns bis auf den Tod zu verteidigen", sagen die maskierten Männer.

    Hanrahan will derweil mit dem Film eine Gegen-Perspektive bieten: "Viele Leute auf Twitter haben das Gefühl, dass alle Russen Orcs seien. Dabei gehen einige von ihnen das größte Risiko ihres Lebens ein, um Ukrainern, die sie nicht kennen und nie treffen werden, zu helfen. Und das sagt eine Menge aus", so der Dokumentarfilmer.

    Das ist die BOAK
    Die Kampforganisation der Anarcho-Kommunisten, im Russischen mit BOAK abgekürzt, ist eine militante Widerstandsorganisation, die in Osteuropa agiert. Als Hauptziel strebt sie eine libertäre sozialistische Gesellschaft an, also eine Regierungsform ohne eigentlichen Staatsapparat – seit dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine konzentriert sie sich darauf, Logistikwege zu unterbrechen und Materiallieferungen zu stören und damit indirekt den Kriegszielen des Kremls entgegenzuwirken.
    Die BOAK ist mindestens seit September 2020 aktiv, laut Mitgliedern soll die Organisation aber bereits seit Jahren bestehen – anlässlich des Ukraine-Krieges habe man sich aber nun für den offenen Widerstand entschieden. Am 19. April 2023 wurde Dmitri Petrow, einer der Gründer der Organisation, in der Schlacht von Bakhmut getötet, während er für die ukrainischen Territorialen Verteidigungskräfte kämpfte.

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