Ukraine
"Töten während wir sprechen" – Selenski mit Wutrede
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski wendete sich am Montag in einer Rede an die Öffentlichkeit. Das war seine flammende Ansprache:
Auch das Weltwirtschaftsforum in Davos steht im Zeichen des Krieges in der Ukraine. Präsident Wolodimir Selenski war am Montag per Livestream zugeschalten. Gegen 11.24 Uhr tauchte Selenski auf dem großen Bildschirm des WEF auf. Der in seinem typischen grünen militärischen Look gekleidete Präsident bedankt sich als erstes bei Klaus Schwab und dem WEF für die Möglichkeit das Treffen eröffnen zu dürfen.
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In der Weltgeschichte habe es immer wieder Momente gegeben, in denen sich die demokratischen Staaten der Welt hätten zusammen tun müssen. Auch heute habe sich die Welt angesichts der russischen Invasion seines Landes wieder zusammen gerauft, erklärte Selenski. Allerdings stehe der Weltgemeinschaft noch viel Arbeit bevor. Die bestehenden Institutionen müssten angepasst werden, damit die Weltgemeinschaft künftig präventiv Schläge wie denjenigen Russlands verhindern könne.
Selenski pocht weiter auf komplettes Embargo
Selenski sprach den WEF-Teilnehmern und der Welt ins Gewissen. Bis heute habe der Westen nur ungenügende Sanktionen verabschiedet. Er forderte weitere Schritte im Energie- und Finanzbereich. Dies sei essentiell, damit Russland vom Westen abgeschnitten werde. "Damit Ihre Geschäftstätigkeiten nicht mit den Kriegsverbrechen Russlands in Verbindung gebracht werden», erklärt ein sichtlich emotionaler Selenski und spricht damit die im Saal versammelten Wirtschaftsführer an. "Verteidigen Sie die Freiheit!"
Er forderte ein komplettes Öl-Embargo und dass alle russischen Banken ausnahmslos vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen werden.
"Russland tötet jetzt während wir sprechen"
Selenski sprach auch die russischen Kriegsverbrechen an. "Russland tötet jetzt, jetzt da wir sprechen", erklärte er. Er verweist darauf, dass es am letzten WEF ein russisches Haus gegeben habe. Dieses sei nun in das Haus russischer Kriegsverbrechen umbenannt worden.
Großbritannien, die Europäische Union, Dänemark und weitere Staaten hätten bereits Gelder für den Wiederaufbau der Ukraine gesprochen, erklärt der ukrainische Präsident. Auch andere Staaten sollen sich dem anschliessen, wenn es im Juli zur angekündigten Wiederaufbau-Konferenz in Lugano komme, meint Selenski.
Die Ukraine benötige fünf Milliarden Dollar pro Monat und schwere Waffen, so sein Tenor.
"Zehntausende Menschenleben hätten gerettet werden können"
"Hätten wir die Hilfe in der Form von Waffen bereits früher erhalten, hätten zehntausende Menschenleben gerettet werden", sagt Selenski an die Adresse der westlichen Staaten, die sich bislang noch mit Waffenlieferungen zurückgehalten haben. Je schneller Kriegsgerät im Land eintreffe, desto besser, fügt er hinzu.
Die demokratischen Staaten sollten ein Netzwerk aufbauen, dass auch anderen Staaten in Nöten, künftig möglichst schnell Waffen liefern könne.
"Jeder Tag beginnt mit Briefing über getötete Menschen"
Selenski beendete seine knapp 20 Minuten lange Rede mit einem Dankeschön an die Veranstalter und dem mittlerweile berühmt gewordenen Schlachtruf: "Slava Ukraini" (dt. "Hoch lebe die Ukraine")
Draufhin stellte WEF-Chef Klaus Schwab Fragen an den ukrainischen Präsidenten. "Jeder Tag beginnt für mich mit einem Briefing darüber, wie viele Menschen in den vergangenen 24 Stunden gestorben sind. Allein heute waren es 84", erklärte Selenski einleitend.
Selenski gibt sich siegessicher
Er sei sich sicher, dass die Ukraine siegreich und vereint aus diesem Krieg hervorgehen werde. Auch in Zukunft brauche die Ukraine jedoch Sicherheitsgarantien des Westens. "Mit einem Nachbarn wie Russland muss man auf alles gefasst sein." Selenski vergleicht die Ukraine daraufhin mit Israel. Auch wirtschaftlich werde die Ukraine gestärkt aus dem Krieg hervorgehen
Klaus Schwab wollte vom ukrainischen Präsidenten wissen, was das als "Getreidekammer der Welt" bekannte Land tue, um die Ausfuhr von Lebensmitteln in die Welt sicherzustellen und wie man der Ukraine helfen kann.
Selenski macht Anklage
Als erstes klagte der ukrainische Präsident Staaten an, die von der Ukraine gestohlenes Getreide aus Russland kaufen. Darüber hinaus sei die Verteidigung der Seehäfen des Landes sowie die internationale Zusammenarbeit von höchster Bedeutung – Selenski nennt dabei auch die Schweiz. Gelänge es dem westlichen Bündnis und der Ukraine nicht, die Häfen des Landes zu verteidigen, drohten in Teilen Asiens und Afrikas eine Hungersnot. Russland würde gezielt die Export-Infrastruktur der Ukraine angreifen.
"Was ist Ihre Nachricht an die Regierungschefs der Welt?", fragte Schwab.
"Ich habe Tausende davon. Ich bin mir nicht sicher, ob ich genügend Zeit habe», scherzte Selenski als erstes, nachdem ihm WEF-Chef Schwab die letzte Frage gestellt hat. Das Wichtigste sei, dass die Weltgemeinschaft weiterhin geeint gegenüber Russland auftrete. "Mein einziger Wunsch ist, dass Sie diese Einigkeit nicht aufgeben." Zwar sei es klar, dass jedes Land seine eigenen Prioritäten habe, doch er wünsche sich, dass die Regierungschefs sich jeden Tag die Frage stellten: "Was habe ich heute für die Ukraine gemacht?"