Wehrschütz analysiert
Selenski macht treuen Ja-Sager zum neuen Armee-Chef
Mit Olexander Sirski macht Präsident Selenski einen loyalen Mann zum Chef der Streitkräfte. Unter den Soldaten erfährt dieser aber wenig Gegenliebe.
Walerii Saluschni ist nicht mehr Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte. Fast zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges wurde er durch Staatspräsident Wolodimir Selenski von seinem Posten entbunden. Zum Nachfolger machte er Generaloberst Olexander Sirski, den bisherigen Kommandanten der ukrainischen Landstreitkräfte.
"Ich habe ihm für zwei Jahre der Verteidigung gedankt", schrieb Selenski über das entscheidende Treffen mit Saluschni. "Wir haben darüber gesprochen, welche Erneuerung die ukrainischen Streitkräfte brauchen" – auch an ihrer Spitze. "Die Zeit für eine Erneuerung ist jetzt." Er habe Saluschni aber angeboten, "weiter Teil des Teams zu bleiben".
Doch warum wurde der oberste Verteidiger der Ukraine nun knapp vor Beginn des dritten Kriegsjahres demontiert? Und wer ist Nachfolger Sirski eigentlich? ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz lieferte am Freitag eine nüchterne Analyse zum Machtwechsel in Kiews Armee. Die Begeisterung darüber hält sich weiter unten in der Befehlskette offenbar in Grenzen.
Generaloberst Olexander Sirski (58) habe wie auch Saluschni noch zu Sowjetzeiten die Offiziersausbildung in Moskau absolviert. "Sprich die gesamte Militärführung auf der einen wie anderen Seite, die kennen einander", so der Kriegsreporter in einem Kurzabriss zum Werdegang des neuen Armeechefs. Seit 2014 kämpfe er nun gegen die imperialistischen Angriffe Russlands.
Bei Soldaten unbeliebt
Sein Name werde vor allem mit drei Ereignissen verbunden, "zwei sind negativ": Zum Einen wird Sirski der chaotische und verlustreiche Rückzug Anfang 2015 aus Debalzewe im Donbass zugeschrieben, zum Anderen machte er sich – ganz im Gegensatz zu Saluschni – mit der Unterstützung der Durchhaltebefehle von Präsident Selenski beim verlustreichen Kampf um Bachmut kaum Freunde an der Front.
Auf der Positiv-Seite wird ihm dafür die gelungene Gegenoffensive im Raum Charkiw zugerechnet. Wehrschütz relativiert aber: "Wobei fraglich ist, welche Rolle er wirklich bei diesem großen Erfolg der Ukraine gespielt hat."
Keine Aufbruchsstimmung
Eines habe sich bei seinen Gespräche mit mehreren Militärangehörigen wie ein roter Faden durchgezogen, schildert der ORF-Korrespondent am Freitag im "Ö1 Morgenjournal": Generaloberst Sirski ist unpopulär in der Masse der ukrainischen Streitkräften. "Ein Neubeginn oder eine Aufbruchsstimmung ist jedenfalls derzeit mit der Entscheidung für Sirski in den ukrainischen Streitkräften nicht verbunden."
Wehrschütz rechnet damit, dass auch in der unteren Führungsstruktur weitere Wechsel folgen werden: "Leute, die für Saluschni waren, werde wahrscheinlich ausgetauscht werden." Wie sehr der neue Kommandant die Kriegsentwicklung beeinflussen kann, müsse abgewartet werden. "Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer", das hänge auch von den westlichen Waffenlieferungen ab.
Loyal gegenüber Selenski
Selenski habe sich jedenfalls mit Sirski einen Ja-Sager auf Linie an die Spitze des Militärs befördert. Das dürfte das weitere Vorgehen an der Front ebenso entscheidend beeinflussen: "Er gilt nicht als Mann des Widerspruchs, der Befehle des Präsidenten nicht befolgen wird. Und der Präsident hat klar gesagt: Jeder Quadratmeter ukrainischen Bodens ist zu halten", so Wehrschütz. Sirski gelte hier als ganz loyal – "ob das durchführbar ist, wird man sehen."
Saluschni und Selenski – Zwist spitzte sich lange zu
Das Verhältnis zwischen Präsident Selenski und seinem nun entlassenen Oberbefehlshaber hatte sich schon kurz nach Kriegsbeginn zu trüben begonnen. Aus mehreren Gründen:
Popularität: Die ersten militärischen Siege der Ukraine ließen die Popularität des Generals in die Höhe schnellen. Eine Umfrage vom Dezember 2023 ergab, dass 92 Prozent der Bevölkerung Saluschni und 77 Prozent Selenski vertrauen. Unter ukrainischen Politologen gilt der General so als möglicher Herausforderer, sollten die durch das Kriegsrecht unterbrochenen Wahlen wiederaufgenommen werden. Saluschni selbst hat politische Ambitionen bislang aber verneint.
Widerspruch: Im Herbst bezeichnete Saluschni die Kämpfe öffentlich als festgefahren und warnte vor einem sinnlosen Stellungskrieg. Er widersprach damit Selenski, der eine optimistischere Sicht des Krieges vertrat, um den nationalen Zusammenhalt und die Unterstützung des Auslands zu sichern.
Gescheiterte Gegenoffensive: Selenski machte Saluschni daraufhin für die gescheiterte Gegenoffensive von 2023 verantwortlich. Dieser wehrte sich: Ihm werde zu Unrecht die Schuld an Misserfolgen gegeben, die außerhalb der Kontrolle des Militärs lägen.
Nord Stream: Vorwürfe gegen Mitarbeiter von Saluschni verschärften die Spannungen weiter: Sie wurden mit den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipeline in Verbindung gebracht, was auch die Beziehungen mit Verbündeten der Ukraine belastete.