Ukraine-Krieg
Selenski greift durch – darum musste Armeechef gehen
Walerii Saluschni ist nicht mehr Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte. Olexander Sirski übernimmt den Posten.
Fast zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Walerii Saluschni, von seinem Posten entbunden worden. Das teilte Präsident Wolodimir Selenski am Donnerstag in seiner abendlichen Videobotschaft in Kiew mit. Zum Nachfolger sei Generaloberst Olexander Sirski ernannt worden, der bisherige Kommandant der ukrainischen Landstreitkräfte.
Vorher traf sich der Präsident mit seinem obersten Militär. "Ich habe ihm für zwei Jahre der Verteidigung gedankt", schrieb Selenski auf seinen Blogs in sozialen Netzwerken. "Wir haben darüber gesprochen, welche Erneuerung die ukrainischen Streitkräfte brauchen." Es sei auch darum gegangen, wie die Führung der Armee erneuert werden könne. "Die Zeit für eine Erneuerung ist jetzt." Selenski sagte, er habe Saluschni angeboten, "weiter Teil des Teams zu bleiben".
Zwist spitze sich zu
Das Verhältnis zwischen Präsident Selenski und seinem nun entlassenen Oberbefehlshaber hatte sich schon kurz nach Kriegsbeginn zu trüben begonnen. Aus mehreren Gründen:
Popularität: Die ersten militärischen Siege der Ukraine ließen die Popularität des Generals in die Höhe schnellen. Eine Umfrage vom Dezember 2023 ergab, dass 92 Prozent der Bevölkerung Saluschni und 77 Prozent Selenski vertrauen. Unter ukrainischen Politologen gilt der General so als möglicher Herausforderer, sollten die durch das Kriegsrecht unterbrochenen Wahlen wiederaufgenommen werden. Saluschni selbst hat politische Ambitionen bislang aber verneint.
Widerspruch: Im Herbst bezeichnete Saluschni die Kämpfe öffentlich als festgefahren und warnte vor einem sinnlosen Stellungskrieg. Er widersprach damit Selenski, der eine optimistischere Sicht des Krieges vertrat, um den nationalen Zusammenhalt und die Unterstützung des Auslands zu sichern.
Gescheiterte Gegenoffensive: Selenski machte Saluschni daraufhin für die gescheiterte Gegenoffensive von 2023 verantwortlich. Dieser wehrte sich: Ihm werde zu Unrecht die Schuld an Misserfolgen gegeben, die außerhalb der Kontrolle des Militärs lägen.
Nord Stream: Vorwürfe gegen Mitarbeiter von Saluschni verschärften die Spannungen weiter: Sie wurden mit den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipeline in Verbindung gebracht, was auch die Beziehungen mit Verbündeten der Ukraine belastete.
"Unterschiedliche Realitäten"
Auch Verteidigungsminister Rustem Umjerow dankte dem scheidenden Oberbefehlshaber. Er schrieb aber auf Facebook, die Schlachten der Jahre 2022, 2023 und 2024 seien "unterschiedliche Realitäten". 2024 werde Veränderungen bringen. "Neue Ansätze, neue Strategien sind nötig."
Saluschni war im Juni 2021 als Oberkommandierender der ukrainischen Streitkräfte eingesetzt worden. Unter seiner Führung hielten die Truppen dem russischen Einmarsch vom Februar 2022 stand. Sie eroberten im Lauf des ersten Kriegsjahres sogar besetzte Teile des Gebietes Charkiw und die Gebietshauptstadt Cherson im Süden zurück. Der 50-jährige Saluschni war auch der Architekt der ukrainischen Sommeroffensive 2023, die aber gegen stark befestigte russische Verteidigungsanlagen kaum vorankam.
Selenski widersprach ihm öffentlich
In einem aufsehenerregenden Artikel für die britische Zeitschrift "The Economist" schrieb der General davon, dass der Krieg am Boden in eine Pattsituation geraten sei. Nur große Waffenlieferungen und ein Technologiesprung könnten die ukrainischen Streitkräfte wieder in die Offensive bringen. Selenski widersprach seinem höchsten Militär bei dieser Einschätzung öffentlich.
Auch in der Frage einer weiteren Mobilisierung von Soldaten waren die führenden Verantwortlichen für die ukrainische Kriegsführung uneins. Nach Medienberichten hatte Selenski den Oberbefehlshaber schon Ende Januar zum Rücktritt gedrängt; dieser lehnte demnach aber ab.
Saluschni war äußerst beliebt
Bei seinen Soldaten und in der Bevölkerung galt der bullige General als äußerst beliebt. Deshalb kamen immer wieder Spekulationen auf, der Militär strebe eine eigene politische Karriere an. Er selbst dementierte dies.
Saluschni ist in den ukrainischen Streitkräften einer der ranghohen Offiziere ohne Vorprägung durch die frühere sowjetische Armee. Er setzte deshalb auf Kommandostrukturen, die sich am Vorbild der Nato orientieren.