Ukraine
Selenski-Auftritt an der Front beschämt Wladimir Putin
Wladimir Putin inszenierte medienwirksam einen Besuch im Kriegsgebiet, doch in Wahrheit kam er der Front nicht einmal ansatzweise nahe.
Wladimir Putin hat sich zu Wochenbeginn über die russische Grenze hinaus in die besetzte Ukraine gewagt – allerdings nicht allzuweit. In Cherson und Luhansk ließ er sich von Kreml-Kameras begleitet über die aktuelle Lage seiner Invasion berichten.
"Der oberste Befehlshaber der Streitkräfte der Russischen Föderation hat den Generalstab der Armeegruppe 'Dnipro' in der Region Cherson aufgesucht", verlautbarte die Moskauer Machtzentrale am 18. April.
Dazu wurde ein knapp 4-minütiges Video veröffentlicht, das Putin bei seinem dortigen Auftritt zeigen soll. Die Aufnahmen suggerieren, dass er sich an der Front selbst ein Bild machen wolle.
Putin traut sich nicht an die Front
Jetzt zeigt eine genauere Analyse der Bilder, wo die Videoaufnahme entstanden sind. Verschiedene Open-Source-Reporter zeigen auf Vergleiche mit Satelliten- und Google-Bildern, dass die Aufnahmen von einem Stützpunkt in Henitschesk stammen.
Dieser Ort liegt direkt am Asow'schen Meer, rund 140 Kilometer von der Frontlinie entfernt. Einen größeren Abstand zur "heißen Zone" hätte er im Oblast Cherson kaum mehr einhalten können. Henitschesk und die 2014 besetzte Halbinsel Krim trennen im Vergleich nur ein Katzensprung.
Selenski scheut Front nicht
Währenddessen hat Putins erklärter Erzfeind, der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski, keine Scheu, seine Soldaten an der Front zu besuchen. So wagte sich das Staatsoberhaupt bereits nach Isjum, Cherson und in die seit Monaten umkämpfte Stadt Bachmut, um den Verteidigern Mut zuzusprechen und Orden zu verleihen.
Jetzt wurde Selenski auch in der ehemals 30.000-Einwohner-Stadt Awdijiwka gesichtet. Die zur Festung ausgebauten Stellungen befinden sich in unmittelbarer Nähe zur Separatisten-Hauptstadt Donezk. Bis zum Zentrum sind es nur 15 Kilometer – eine Entfernung, die die meisten russischen Artilleriesysteme spielend schaffen.
Die Kleinstadt steht deshalb auch bereits seit Kriegsbeginn unter Beschuss, ist aktuell wie auch Bachmut weiter nördlich in Gefahr, von Putins Truppen eingekesselt zu werden.
Selbst die pro-russischen Militärblogger auf Telegram sind von Putins Auftritt unbeeindruckt. So beklagt etwa der Kanal "Grey Zone", dass sich der Präsident nur in absolut sicheren Regionen blicken ließ, während Selenski sich zeitgleich bis auf wenige Kilometer vor die Läufe russischer Geschütze gewagt hatte.
Und noch etwas stößt den Beobachtern sauer auf: Während Selenski auf Tuchfühlung mit seinen Soldaten geht und mit ihnen für Selfies posiert, ist Putins Auftreten kalt wie der sibirische Winter. Er gibt sich in den selbst veröffentlichten Aufnahmen nur mit den Befehlshabern seiner Truppen ab.
Putin machte sich bei Besuch strafbar
Erst vor wenigen Wochen hatte sich der Kreml-Despot zum ersten Mal überhaupt seit seinem Invasionsbefehl vor über einem Jahr in den besetzten Gebieten der Ukraine blicken lassen. Neben der schon 2014 annektierten Halbinsel Krim stattete Putin auch der in schweren Kämpfen weitläufig zerstörten Hafenstadt Mariupol am Asow'schen Meer einen "Arbeitsbesuch" ab.
Dabei lenkte er selbst einen Wagen durch ausgesuchte Straßenzüge, ließ sich und der russischen Welt vorführen, wie toll nicht der Wiederaufbau der zuvor selbst in Trümmer geschossenen Stadt voranginge. Dabei machte er sich nach russischem Gesetz auch strafbar – im TV machte er später ein überraschendes Geständnis.
Hier weiterlesen: Wladimir Putin macht im TV überraschendes Geständnis