Wiener Bezirks-Ranking
Schul-Alarm: Hier sprechen 73% der Kinder nicht Deutsch
Für mehr als jeden 2. Schüler in Wien ist Deutsch Fremdsprache. "Heute" hat das Bezirksranking: Im 10. sprechen 73 % nicht Deutsch, im 16. fast 70 %.
Mit dem Start des neuen Schuljahrs ist das Problem aktueller denn je: In vielen Klassen hat ein großer Anteil der Schüler Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Von den rund 1,2 Millionen Schülerinnen und Schülern hierzulande waren im vergangenen Schuljahr 19,3 % (in absoluten Zahlen knapp 220.000) ausländische Staatsbürger. Vor zehn Jahren lag dieser Anteil erst bei 10,5 %.
Besonders extrem ist es in Wien. In der Bundeshauptstadt besuchten im vergangenen Jahr 243.330 Kinder und Jugendliche eine Schule. Von denen hatten 35,1 % eine ausländische Staatsbürgerschaft – also mehr als jeder Dritte. Und in Wien gibt es im Bundesländervergleich auch den höchsten Anteil an Schülern, die in ihrem Familienalltag nicht Deutsch sprechen.
Deutsch ist Fremdsprache
Alarmierende Zahlen des Integrationsfonds, der der regelmäßig Daten mehrerer Quellen (etwa Statistik Austria, Schulen) zusammenführt und auf seiner Homepage veröffentlicht, machen deutlich: In Wien ist für mehr als jeden zweiten Schüler (51,6 %) Deutsch eine Fremdsprache.
Seit die Schule wieder begonnen hat, häufen sich Hilferufe von Lehrerinnen und Lehrern, aber auch Eltern – in vielen Klassen ist das Deutschniveau der Schüler so unterschiedlich, dass ein sinnvoller Unterricht nicht möglich ist.
Brennpunkte Favoriten und Ottakring
"Heute" hat jetzt die Zahlen, in welchen Wiener Bezirken die Situation am heftigsten ist. Einmal mehr erweist sich der 10. Bezirk (Favoriten) als absoluter Brennpunkt: Hier sprechen 73 % der Schüler im Alltag eine andere Sprache als Deutsch. Damit führt Favoriten das Bezirks-Ranking an. Gefolgt von Ottakring (16.), wo knapp 70 % eine andere Muttersprache haben, und Simmering (11.) mit fast 66 % (siehe Karte).
In 11 Bezirken sind es über 50 %
Die Karte zeigt: In 11 von 23 Wiener Bezirken haben über 50 % der Schüler eine nicht-deutsche Umgangssprache. Den geringsten Anteil gibt es mit 24 % im ersten Bezirk. Dann folgen der 13. Bezirk (Hietzing) mit knapp 30 % und die Josefstadt (8.), wo aber auch schon für jeden dritten Schüler (33 %) Deutsch eine Fremdsprache ist.
Welche Sprachen
Die am weitesten verbreiteten nicht-deutschen Sprachen unter den Schülern sind quer über alle Schultypen Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und Türkisch. Arabisch und Rumänisch sind in geringerem Umfang, aber doch deutlich vertreten.
Bei den Jüngsten, also an den Volksschulen, lag der Anteil der Schüler mit nicht-deutscher Umgangssprache, die im Alltag Bosnisch/Kroatisch/Serbisch sprechen, zuletzt bei 20,6 %. Türkisch wird von 18,3 %, Arabisch von 7,7 %, Rumänisch von 8,0 % und Albanisch von 6,2 % dieser Kids gesprochen. Knapp über 39 % sprechen andere Sprachen.
Wenn Deutsch nicht die Muttersprache ist, bedeutet das freilich noch nicht, dass die Schüler nicht fließend sprechen bzw. genug können, um dem Unterricht zu folgen. Allerdings steigt auch die Zahl jener, auf die das nicht zutrifft, stark an. Tatsächlich unzureichende Deutschkenntnisse hatten österreichweit zuletzt 17,2 % der Schüler mit ausländischer Staatsangehörigkeit.
Eklatant höher sind diese Zahlen bei den Schulanfängern. Einer weiteren Studie zufolge kann in Wien ein Drittel der Schulanfänger nicht genug Deutsch, um dem Unterricht folgen zu können. Das sei auch bei ihr an der Schule so, bestätigt eine Wiener Schuldirektorin gegenüber "Heute". Was sie einfach nicht nachvollziehen kann: "Die Familien dieser Kinder leben lange genug in Österreich, aber sie kümmern sich einfach nicht darum, dass ihre Kinder Deutsch können."
Die meisten dieser Erstklässler wurden in Österreich geboren, sprechen aber trotzdem kaum Deutsch. Dabei müssten sie alle zumindest ein Jahr einen Kindergarten besucht haben. Wobei es in Wien offenbar durchaus Kindergärten gibt, die zwar offiziell auf Deutsch geführt werden sollten, wo aber im Wesentlichen in anderen Sprachen kommuniziert wird.
Deutschtest vor Volksschule
Die Experten des wirtschaftsliberalen ThinkTanks Agenda Austria kritisieren: "Erst bei der Schuleinschreibung wird im Zuge einer verpflichtenden Testung festgestellt, ob das Kind ausreichend Deutsch spricht oder nicht." Wer kaum Deutsch kann, wird als außerordentlicher Schüler eingestuft und muss einen Deutschförderkurs oder eine Deutschförderklasse besuchen. Die Agenda Austria warnt – das sei zu spät, der Staat müsse früher aktiv werden.
Schon mit Dreijährigen solle – im Rahmen der Eltern-Kind-Pass-Untersuchung – ein Deutschtest gemacht werden, empfehlen die Experten. Sollte das Kind kein Deutsch können, würden die Eltern verpflichtet, dem Nachwuchs eine entsprechende Sprachförderung zukommen zu lassen und die Fortschritte nachzuweisen – ansonsten würden Strafen drohen.
"Intensiv-Sprachlernkurse"
Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) legt auf das Thema einen Schwerpunkt. Es gebe Schulklassen, vor allem in Wien, die zu 100 % aus Kindern mit Migrationshintergrund bestünden. Polaschek fordert die Einführung von "Intensiv-Sprachlernkursen" an ausgewählten Standorten. Erst, wenn auf einem ausreichenden Level Deutsch gesprochen werde, sollten die Kinder in den regulären Unterricht bzw. die Deutschförderklassen übertreten können, so der Minister.
Auf den Punkt gebracht
- In Wien ist für über die Hälfte der Schüler Deutsch eine Fremdsprache
- In Bezirken wie Favoriten und Ottakring sprechen bis zu 73 % der Kinder im Alltag eine andere Sprache
- Experten fordern frühere Deutschtests und intensivere Sprachförderung, um die stark unterschiedlichen Deutschkenntnisse in den Klassen zu verbessern und einen sinnvollen Unterricht zu ermöglichen