Nach Nazi-Skandal auf Sylt
"Schlimmer Fehler" – Sylt-Partygänger entschuldigt sich
Auf der Insel Sylt grölen junge Menschen ausländerfeindliche Parolen und zeigen den Hitlergruss. Der Antisemitismusbeauftragte ist schockiert.
Die rassistischen Gesänge junger Partygäste auf Sylt alarmieren die Politik und schüren Sorgen vor einem Rechtsruck in Deutschland und Schäden für die Demokratie. Auf dem 13-sekündigen Video, das am Donnerstag viral gegangen war und zu Pfingsten entstanden sein soll, ist zu sehen und zu hören, wie junge Menschen im "Pony"-Club zur Melodie des mehr als 20 Jahre alten Eurodance-Hit "L’amour toujours" von Gigi D'Agostino rassistische Parolen grölen.
Scheinbar völlig ungeniert und ausgelassen singen sie "Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!". Ein Mann macht eine Geste, die an den Hitlergruss denken lässt. Von den Umstehenden scheint sich niemand daran zu stören.
Nun entschuldigt sich ein Partygänger für sein Verhalten. M. N. erklärt sich in den sozialen Medien so: "Ich will mich öffentlich und aufrichtig entschuldigen für das, was passiert ist. Alle, die wir damit vielleicht verletzt haben, bitte ich um Entschuldigung."
M. N. löscht soziale Kanäle
Er gebe zu, einen "ganz schlimmen Fehler" gemacht zu haben und sich dafür zu schämen, zitiert die "Bild"-Zeitung aus seinem Post. Er sei betrunken gewesen und werde die rechtlichen Konsequenzen tragen.
M. N. nimmt an, dass nicht alle von seiner Aufrichtigkeit überzeugt sein werden: "Ich kann mir vorstellen, dass viele Menschen, die das jetzt lesen, mir nicht abnehmen, dass es mir unendlich leid tut."
Der Hauptgrund für die Entschuldigung seien die Anfeindungen gegenüber seiner Familie und seinen Freunden im Internet, so M. N. weiter. "Seid mit mir böse, nicht mit meinen Freunden und Verwandten", zitiert ihn "Bild" weiter. Er selbst habe seine Social-Media-Accounts gelöscht.
Antisemitismusbeauftragter schockiert
Der Antisemitismusbeauftragte der deutschen Regierung ist schockiert über die rassistischen Gesänge der jungen Partygäste auf Sylt. "Die Aufnahmen von der gegrölten rassistischen Umtextung eines bekannten Liedes auf Sylt schockieren mich", sagte Felix Klein dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland".
"Nicht etwa, weil mich die Existenz solch menschenfeindlicher Ideologie überrascht, sondern weil sie ganz offensichtlich Teil der Popkultur und in einem Milieu salonfähig geworden ist, dem klar sein müsste, dass Ausländer maßgeblich zu unserem Wohlstand beitragen." Der Vorfall sei für ihn Beleg für das Vordringen menschenfeindlicher Ideologie in die Gesellschaft.
Klein fügte hinzu: "Wer in klassischer Nazi-Manier 'Deutschland den Deutschen' fordert, schließt damit alle angeblich 'nicht-deutschen' Gruppen aus, die vermeintlich weniger wert sind, darunter Menschen mit Migrationshintergrund, Sinti und Roma, aber auch Jüdinnen und Juden. Ich bin froh, dass derartiges Verhalten nicht ungeahndet bleibt."
"Pony" wirbt mit Glamour und Exklusivität
Was den Fall speziell machte: Das Äußere der Feiernden will so gar nicht dem Klischee rechtsgerichteter Protestwähler aus Ostdeutschland entsprechen. Stattdessen ist von "Prosecco-Nazis" – so nannte sie der grüne Politiker Jürgen Trittin – die Rede: weiße Hosen, Merino-Pullis über die Schulter gelegt, Sekt oder Apérol Spritz in den Gläsern.
Das "Pony" in Kampen, auf dessen Terrasse der Clip aufgenommen wurde, wirbt mit Kult, Glamour und Exklusivität. "Hätten wir von dem Vorfall gewusst, hätten wir die betreffenden Gäste selbstverständlich des Hauses verwiesen. Es gibt keinen Platz für Rassismus", schrieben die Betreiber des Lokals später auf Instagram.
Für jene Deutschen, welchen die Schickimicki-Insel Sylt schon immer suspekt war, war das Video ein letzter Beweis: Schnösel wählen nicht nur FDP, sondern auch AfD, wie die NZZ bemerkt. Auch Joe Kaeser, Aufsichtsratsvorsitzender Siemens Energy & Daimler Truck, schreibt in einem LinkedIn-Post zu den Szenen: Man mache es sich zu einfach, wenn man "bei der Analyse des wachsenden Zuspruchs für Rechte nur auf die einfachen gesellschaftlichen Schichten" schaue.
„Reichtum schützt nicht vor rassistischem Denken“
"Deutschland den Deutschen", singt die junge, reiche Elite. Gut ausgebildet und teilweise selbst schon unternehmerisch aktiv, hetzen sie gegen Migranten. "Dass wohlhabende junge Leute solche Parolen singen, kommt nicht überraschend. Reichtum schützt nicht vor rassistischem Denken", sagt der Literaturwissenschaftler und Rechtsextremismus-Experte Robert Lüdecke zur "Frankfurter Rundschau".
Keine Konsequenzen gefürchtet
Mit solchen Videos, die jetzt vermehrt auftauchen, werde "Volksverhetzung als Spaß oder harmlose Provokation abgetan", ist Lüdecke überzeugt. Überraschend ist für ihn trotzdem, dass diese Leute "ohne jede Hemmungen ihre Gesichter in die Kamera halten, weil sie offenbar gar keine Konsequenzen fürchten und zu ihrem Rassismus ganz offen stehen".