Politik

"Heuchler" – ÖVP-Urgestein mit Wut-Tirade in "ZiB2"

Wie sind die Inhalte der Chats mit den Werten der ÖVP vereinbar? Andreas Kohl ortet einen "Hexenjagd" der "Heuchler" – und zitiert Schiller.

Leo Stempfl
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Andreas Kohl (80) war am Freitag in der "ZiB2" zu Gast.
Andreas Kohl (80) war am Freitag in der "ZiB2" zu Gast.
ORF2

Spätestens seit 2016 sollen Sebastian Kurz und sein Team mittels frisierter Umfragen den damaligen ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner abgesägt und sich selbst an die Spitze von Partei und Staat gesetzt haben – sagt die Staatsanwaltschaft. Beweise dafür sollten im Rahmen von Hausdurchsuchungen sichergestellt werden. Die ÖVP reagierte auf entsprechende Vermutungen im Vorfeld mit Pressekonferenzen, auf denen man vor anstehenden Ermittlungsschritten warnte.

Offenbar mit Erfolg: Meinungsforscherin Sabine B. soll unmittelbar nach den Pressekonferenzen und vor den Durchsuchungen einige Chat-Verläufe auf ihrem Handy gelöscht haben, wie die Ermittler herausfanden. Als regelrechte Büchse der Pandora entpuppte sich hingegen ein Backup des Handys von Thomas Schmid.

300.000 Chats mit ranghohen Mitarbeitern in ÖVP-Ministerien, Kurz-Mitarbeitern und dem doppelten Alt-Kanzler selbst zeigten ein zweifelhaftes Sittenbild. Mehrere ÖVP-Landeshauptleute zeigten sich bereits schockiert: "Das ist nicht der Stil der Volkspartei, da gibt's bei mir null Pardon", hielt etwa Vorarlbergs LH Markus Wallner fest. Sogar die ÖVP-Ethikkommission hält die Ausdrucksweise für "völlig unangemessen".

ÖVP-Urgestein

Eine weitere Polit-Grande und ÖVP-Urgestein ist Andreas Kohl. Von 2002 bis 2006 war er Präsident des Nationalrates, sieben Jahre lang Klubobmann der ÖVP-Parlamentsfraktion. Seit der verlorenen Bundespräsidentschaftswahl 2016 wurde es ruhig um ihn, doch nun äußerte er sich am Freitag in der "ZiB2" bei Lou Lorenz-Dittlbacher zum aktuellen politischen Geschehen.

Andreas Kohl sagt, man "muss die Kirche im Dorf lassen". Er warnt vor einer Hexenjagd, denn keine der Vorwürfe seien bisher bewiesen. Alle diese Dinge seien weit weg von strafrechtlichen und politischen Verantwortungen, nicht jedoch von moralischen.

Schiller und der jugendliche Kanzler

Ältere ÖVP-Politiker in Chats als "Deppen" bezeichnen, "ein Bundesland aufhetzen" wollen? Der Ethikrat habe sehr klug geurteilt, sagt Kohl dazu. Alles sei aus dem Zusammenhang gerissen und hätte überhaupt nie an die Öffentlichkeit gehen sollen. Schon Schiller schrieb "Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort". 

Andreas Kohl zitierte Schiller.
Andreas Kohl zitierte Schiller.
ORF2

Es bestehe eine sehr aufgehetzte Atmosphäre, aber "Ich nenne keine Namen". Wieder betont Kohl, der Ethikrat habe klug geurteilt. "So heuchlerisch dürfen wir nicht sein", als würden wir nicht selber Konkurrenten mit "wenig schmückenden Beiworten" benennen.

"Jeder, der sagt, er hat nicht schon selber an Mitbewerber oder Gegner mit wenig schmeichelhaften Beiworten gedacht, der ist ein Heuchler."

Den Konsequenzen, die der Ex-Kanzler gezogen hat, zollt er Respekt. "Es gilt in diesem Land eine Schuldvermutung." Alle gehen davon aus, dass die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft stimmen würden. Diese Ermittlungsergebnisse hätten gar nie an die Öffentlichkeit gelangen dürfen. "In Österreich ist nichts geheim."

Ob Kurz wieder Spitzenkandidat wird? Dazu wagt Andreas Kohl keine Prognose abzugeben.

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    <a href="https://www.heute.at/s/hausdurchsuchung-in-der-oevp-parteizentrale-in-wien-100166899">Mittwochfrüh</a> schlugen Ermittler samt Durchsuchungsbescheid bei der Parteizentrale in der Lichtenfelsgasse neben dem Wiener Rathaus und auch im Kanzleramt am Ballhausplatz auf.&nbsp;Es wurden Büros von Mitarbeitern im engen Umfeld von Bundeskanzler Sebastian Kurz durchsucht.
    Mittwochfrüh schlugen Ermittler samt Durchsuchungsbescheid bei der Parteizentrale in der Lichtenfelsgasse neben dem Wiener Rathaus und auch im Kanzleramt am Ballhausplatz auf. Es wurden Büros von Mitarbeitern im engen Umfeld von Bundeskanzler Sebastian Kurz durchsucht.
    Gerhard Wild / picturedesk.com
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      Bundeskanzler Sebastian Kurz wie ihn heute (fast) niemand mehr kennt.&nbsp; Seit diesem Bild 2010 – da war er noch Bundesobmann der JVP und zog gerade in den Wiener Gemeinderat ein – legte er einen kometenhaften Aufstieg hin.
      Bundeskanzler Sebastian Kurz wie ihn heute (fast) niemand mehr kennt. Seit diesem Bild 2010 – da war er noch Bundesobmann der JVP und zog gerade in den Wiener Gemeinderat ein – legte er einen kometenhaften Aufstieg hin.
      imago stock&people