Gesundheit

Nur ein Bruchteil aller Covid-19-Fälle wird erkannt

Wie viele Sars-CoV-2-Infektionen es tatsächlich gibt, kann niemand sagen. Grund sind die vielen asymptomatischen Ansteckungen, von denen es offenbar deutlich mehr als angenommen gibt.

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Nicht alle Patienten, die sich mit dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 infizieren, landen auf der Intensivstation: Über alle Altersgruppen hinweg haben laut WHO etwa 80 Prozent der nachweislich Betroffenen einen milden bis moderaten Verlauf.
Nicht alle Patienten, die sich mit dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 infizieren, landen auf der Intensivstation: Über alle Altersgruppen hinweg haben laut WHO etwa 80 Prozent der nachweislich Betroffenen einen milden bis moderaten Verlauf.
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Covid-19 verläuft sehr individuell. Neben schweren und leichten Verläufen gibt es auch solche, die völlig unbemerkt geschehen. Welchen Anteil diese sogenannten asymptomatischen Verläufe ausmachen, ließ sich bisher noch nicht beantworten. Das lag vor allem daran, dass bislang vor allem Personen mit Corona-Verdacht – das heißt: mit deutlichen Krankheitsanzeichen – getestet wurden. Entsprechend groß ist die vermutete Dunkelziffer.

Erstmals Licht ins Dunkle brachte die Heinsbergstudie (siehe Box) vom Team um Hendrik Streeck vom Universitätsklinikum Bonn. Laut aktuellem Stand verlief mehr als jede fünfte Infektion (22,2 Prozent) asymptomatisch. Ohne Husten, ohne Fieber, ohne Atemnot. Einfach ohne alles. Die Arbeit wurde aber noch nicht von externen Fachleuten begutachtet, das Ergebnis ist noch nicht final.

Die Heinsbergstudie

Es ist die erste Untersuchung ihrer Art: Mit der Heinsberg-Studie wurde erstmals ein Ausbruch in einem Coronavirus-Hotspot detailliert untersucht. Die Daten von rund 1000 Personen sind in sie mit eingeflossen. Sie liefert Einblicke in die Dunkelziffer, in die Gefährlichkeit des Virus und das Ansteckungsrisiko in Haushalten. Erste Zwischenergebnisse hatten die Verantwortlichen schon kurz vor Ostern in einer öffentlichkeitswirksamen Medienkonferenz präsentiert – und waren dafür scharf kritisiert worden. Nun wurden die finalen Ergebnisse auf einem Preprint-Server veröffentlicht, noch ohne Peer-Review.
Eine Erkenntnis war etwa, dass Personen, die mit Sars-CoV-2 infiziert sind, unter einem mehrtägigen Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns leiden.

Deutlich höhere Werte

Auch Forscher der Universität Padua haben sich mit der Thematik beschäftigt. Ihre ebenfalls erst auf dem Preprint-Server medRxiv.org veröffentlichte Studie zeigt allerdings einen deutlich höheren Anteil symptomloser Covid-19-Erkrankungen.

Die Forscher untersuchten dazu im April 2020 rund 85 Prozent der Einwohner der italienischen Gemeinde Vó. Von den über 3300 Bewohnern hatten sich im Untersuchungszeitraum 2,6 Prozent mit Sars-CoV-2 angesteckt. "Bemerkenswert ist, dass 43,2 Prozent der Infizierten asymptomatisch waren", so das Team um Enrico Lavezzo.

Hoher Anteil bei Jungen und Frauen

Auch Forscher aus Wuhan, dem vermuteten Ursprung der Pandemie, kommen nach der Untersuchung von 78 Kontaktpersonen von Covid-19-Patienten auf einen ähnlich hohen Anteil völlig symptomloser Verläufe. Wie das Team um Rongrong Yang im Fachjournal "Jama" schreibt, konnten sie bei 33 Probanden (etwa 43 Prozent) eine asymptomatische Infektion nachweisen. Besonders hoch sei der Anteil (66 Prozent) bei jungen Erwachsenen und Frauen auf.

Auf sogar 81 Prozent symptomloser Infektionen kamen Forscher der australischen Macquarie University. Sie hatten alle 217 Passagiere und Crewmitglieder des Kreuzfahrtschiffs Diamond Princess untersucht. Durch den engen Kontakt auf dem Schiff hätten sich nachweislich 128 der 217 Menschen an Bord mit dem Virus infiziert, so das Team im Fachjournal "BMJ Thorax". Jedoch hätten 104 Personen keinerlei Symptome gezeigt, zumindest zunächst.

Denn laut dem Empidemiologen Marcel Salathé von der ETH Lausanne dürften 40 Prozent wohl eher die obere Grenze sein: "In der Diamond Princess stellte sich später heraus, dass viele Asymptomatische nicht lange asymptomatisch waren, sondern presymptomatisch, also später Symptome entwickelten."

Was heißt das?

"Kurzfristig gesehen ist das Vorkommen von asymptomatischen Infektionen, definiert als Nachweis des Virus Sars-CoV-2 im Nasen-Rachen-Abstrich ohne subjektive Zeichen einer Erkrankung, eine gute Nachricht für die Betroffenen", so Hans H. Hirsch vom Universitätsspital Basel. Allerdings gebe es auch Einschränkungen: So ist unklar, ob unter den in den Studien gewerteten Fällen auch falsch-positive seien, falls die Diagnose allein auf Antikörper Nachweis basiert. Diese falsch-positiven Fälle könnten zum Beispiel durch Kreuzreaktion nach Infektion mit anderen zirkulierenden humanen Coronaviren ausgelöst worden sein. "Da brauchen wir bessere Verlaufsuntersuchungen."

Solche sind laut dem Experten ebenso hinsichtlich eines anderen Aspekts wichtig: So seien auch Fälle beschrieben worden, "bei welchen es ohne subjektive Beschwerden trotzdem Zeichen von Lungenbeteiligung gab." Ob das langfristige Auswirkungen haben könnte, ist derzeit allerdings noch unklar.

Ein weiteres mögliches Problem benennt Epidemiologe Salathé: "Wir wissen noch nicht gut, wie ansteckend asymptomatische Patienten sind."

"Abstand und Masketragen – auch wenn man sich gesund fühlt!"

Bevor diese Fragen nicht geklärt sind, ist es daher wichtig, weiterhin eine gute Handhygiene zu praktizieren, ausreichend Abstand zu halten und – sofern das nicht möglich ist – konsequent eine Maske zu tragen. "Dieses Bündel an Massnahmen", betont Hirsch, "hat zu einer beeindruckenden Abnahme der Neuinfektionen geführt."

Auch Salathé plädiert dafür: "Wir wissen schon seit einiger Zeit, dass presymptomatische Covid-19-Patienten hochansteckend sein können und, dass sie ein massgeblicher Treiber der Pandemie sind." Man gehe heute davon aus, dass wahrscheinlich über die Hälfte aller Ansteckungen in der presymptomatischen Phase erfolgen. "Deshalb ist das Distanzhalten, sowie das Maskentragen, wenn man die Distanz nicht halten kann, so wichtig – auch wenn man sich gesund fühlt!"

Masken & Co. senken Ansteckungsrisiko merklich

In welchem Mass Abstand, Masken und die sogenannten Faceshields das Infektionsrisiko senken, zeigt eine aktuelle Studie im Fachjournal "The Lancet". Für diese hatten die Forscher 172 bereits existierende Arbeiten ausgewertet.

Ergebnis: Abstandhalten senkt das Infektions- und Übertragungsrisiko von 12,8 Prozent auf 2,6 Prozent, das Tragen einer Maske reduziert es von 17,4 Prozent auf 3,1 Prozent und das Aufsetzen eines Faceshields von 16 Prozent auf 5,5 Prozent. Die Forscher weisen darauf hin, dass die Sicherheit der Beweise für die beiden letztgenannten zwar gering sei, allerdings dürfte die Kombination der Massnahmen "der beste Weg sein, um die Wahrscheinlichkeit einer Virusinfektion oder Übertragung von Sars-CoV-2 zu verringern."

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