Politik
Nehammer-Ansage: "Ukraine näher an Wien als Vorarlberg"
Im Nationalrat hat Bundeskanzler Karl Nehammer deutlich gemacht, dass Österreich Flüchtlingen aus der Ukraine mit allen Mitteln helfen werde.
Seit Donnerstag 4 Uhr früh Ortszeit bombardiert Russland die Ukraine. Wladimir Putin hat dem Nachbarland den Krieg erklärt, die Ukraine rief zur "totalen Verteidigung" auf. Von allen Seiten – aus Russland im Osten, Belarus im Norden und sogar Moldau im Südwesten – werden militärische Einrichtungen der ukrainischen Armee mit Raketen und Artillerie beschossen.
Die EU reagiert mit scharfen Sanktionen auf die ungerechtfertigte Kriegstreiberei und den mehrfachen Bruch internationalen Völkerrechts durch den Kreml. Putins Ziel "ist nicht nur die Ukraine, sondern die Stabilität in Europa und die gesamte internationale Friedensordnung. "Wir werden Präsident Putin dafür zur Rechenschaft ziehen", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag.
"Lehnen wir zutiefst ab"
Auch im österreichischen Parlament fanden Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vize Werner Kogler (Grüne) bei einer Regierungserklärung zum Krieg in der Ukraine deutliche Worte: "Es ist eine Situation, von der alle hier gehofft haben, dass sie vor allem in Europa nie eintritt. Seit den Morgenstunden sind wir aber mit dem Faktum konfrontiert, dass in Europa wieder Krieg herrscht", so der Kanzler zu Beginn seiner Rede.
Österreich und Russland verbinde eine enge und lange Geschichte: "Es ist vor allem ein Land, dem wir auch zu verdanken haben, dass wir vom Nazi-Terror befreit worden sind. Russische Soldaten sind gefallen für die österreichische Demokratie – und gleichzeitig erleben wir jetzt, dass Russland einen Weg wählt, den wir zutiefst ablehnen." Das Völkerrecht dürfe nicht gebrochen werden.
"Im Krieg gibt es immer nur Verlierer"
"Das was mich zutiefst negativ beeindruckt: wir sind offensichtlich nicht in der Lage, aus der Geschichte zu lernen. Denn die europäische Geschichte ist mit Blut geschrieben". Die Jahrzehnte des Friedens seien der Erfolg daraus, dass die Staaten gelernt hätten, Konflikte eben nicht mehr mit Gewalt zu lösen, sondern miteinander zu sprechen. "Auch wenn es mühsam ist, oder man nicht immer zu 100 Prozent kriegt, was man will – des Friedens willen aber den Verhandlungstisch nicht verlässt. Eines zeigt die Geschichte Europas: im Krieg gibt es immer nur Verlierer."
"Das Leid bleibt immer das gleiche, der Verlust von Menschen ist immer gleich schrecklich und er lässt sich in Wahrheit nicht dadurch rechtfertigen, in dem man versucht, seine politischen Interessen durchzusetzen."
Die Europäische Union werde sich mit einer Stimme der Großmacht Russland entgegenstellen und Putin klarmachen, dass es in Europa "kein Verständnis für Krieg mehr geben wird", donnert Nehammer. "Das sind wir unserer Geschichte, unseren Kindern schuldig."
Nehammer zur Neutralität
Kann Österreich in dieser Krise noch neutral bleiben? "Die Österreichische Neutralität war immer eine klare militärische. Die österreichische Neutralität haben wir hier nie so verstanden, dass wir uns dahinter verstecken oder keine Meinung haben sollen. Ganz im Gegenteil". Österreich habe sich immer zu solidarischem Handeln bekannt. "Das ist mir deshalb wichtig zu betonen, weil Österreich nie die Rolle des Vermittlers, des Brückenbauers aufgeben wird."
Versorgung sichergestellt
Die Regierung habe bereits Vorsorge für diesen Krisenfall getroffen, um rasch im Sinne der Österreicher zu agieren. Das beginnt bei Staatsbürgern auf ukrainischem Gebiet, wie auch die heimische Energieversorgung. Zwar sei Österreich abhängig von russischem Gas – "ob das für die Zukunft so schlau ist, das kann man jetzt hinterfragen" – dennoch seien die Tanks gefüllt. "Die Versorgungssicherheit bis in den April ist gegeben", betont Nehammer. "Selbst bei einer Nulllieferung wird keine Wohnung in Österreich kalt sein".
Nachbarschaftshilfe Selbstverständlichkeit
"Krieg bedeutet immer auch Vertreibung", so der Kanzler weiter. Das Innenministerium habe sich deshalb schon auf eine mögliche Fluchtbewegung aus der Ukraine vorbereitet. Es gelte nicht nur in Österreich ankommende Flüchtlinge zu versorgen, sondern auch die Nachbarstaaten Slowakei und Ungarn, die eine gemeinsame Grenze zum Kriegsgebiet haben, umfassend bei der Erstversorgung zu unterstützen.
Möglicher Kritik daran stellt er sich entschlossen entgegen: "Die Ukraine ist ein europäisches Land. Die Ukraine ist, würde ich den Zirkel einstechen in Wien und einen 500 Kilometer Radius ziehen, in seinen Grenzen näher als Vorarlberg! Und wenn eines die österreichische Geschichte bewiesen hat, dann ist es, dass Nachbarschaftshilfe Selbstverständlichkeit ist und Menschlichkeit in den Vordergrund zu treten hat!", konstatiert er mit harter Stimme.
Das Versprechen des Kanzlers: Österreich werde alles dazu beitragen, "dass die Diplomaten wieder die Bühne der Weltpolitik betreten und die Soldaten verschwinden."