Niederösterreich

Mutter muss "Strafe" zahlen, wenn sie Sohn abholt

Unfassbar! Eine Niederösterreicherin muss stolze 120 € zahlen, wenn sie ihren Sohn (23) über das Wochenende aus einer Behinderten-Einrichtung holt.

Der Frau werden für das Abholen ihres Sohnes rund 120 Euro verrechnet – pro Tag.
Der Frau werden für das Abholen ihres Sohnes rund 120 Euro verrechnet – pro Tag.
Getty Images/iStockphoto (Symbolbild)

Gerhard A. ist dreiundzwanzig Jahre alt. Er ist von Geburt an entwicklungsverzögert. Der junge Mann arbeitet in einer Tageswerkstätte in Niederösterreich. Dafür bekommt er nur ein Taschengeld. Unter der Woche lebt er in einem Wohnheim, das zur Werkstatt dazugehört.

Die Wochenenden verbringt er aber lieber zuhause bei seiner Mutter Christine A. Für sie wird das nun aber teuer, denn wenn Gerhard öfter als 82 Tage im Jahr im Wohnheim fehlt, werden ihr vom Land Niederösterreich zirka 120 Euro verrechnet – für jeden einzelnen Tag, der über die 82 Tage hinausgeht. Sie muss also "Strafe" zahlen, wenn sie ihren Sohn zu sich holen will – was sie sich nicht leisten kann. Deshalb hat sie sich an die Volksanwaltschaft gewandt, die den Fall am 11. Februar in der ORF-Sendung "Bürgeranwalt" thematisiert hat.

"Das ist eine Ungleichbehandlung"

"Die freie Wahl des Aufenthaltsorts gilt auch für Menschen mit Behinderung", hat Volksanwalt Bernhard Achitz kein Verständnis für das Vorgehen des Landes Niederösterreich. Das Recht auf Selbstbestimmung sei in der UN-Behindertenrechtskonvention verankert. "Österreich hat die UN-BRK unterzeichnet und muss sich daran halten. Das Recht auf Selbstbestimmung wird aber in vielen Fällen nicht gewährleistet. Es darf nicht sein, dass die Selbstbestimmung nur für jene Menschen gilt, die es sich leisten können, 120 Euro pro Tag für die freie Wahl ihres Aufenthaltsorts hinzublättern. Das ist eine Ungleichbehandlung, die das Land Niederösterreich beseitigen muss", so Achitz.

"Ich fordere hier mehr Flexibilität und habe Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner um eine Erhöhung der Abwesenheitstage ersucht", sagt Volksanwalt Achitz, "dafür wäre nicht einmal eine Gesetzesänderung notwendig – die Richtlinie kann das Land von einem Tag auf den anderen ändern." Niederösterreich ist nicht das einzige Bundesland mit einer solchen Anwesenheitsregelung, allerdings dürfte die Handhabung anderswo flexibler sein, denn der Volksanwaltschaft liegen keine Beschwerden vor.

Lohn statt Taschengeld

Der aktuelle Fall zeigt auch wieder einmal auf, dass Menschen mit Behinderungen in den Werkstätten für ihre Arbeit keinen Lohn, sondern nur ein Taschengeld bekommen. "Darauf hat die Volksanwaltschaft schon vor mehr als drei Jahren in einem Sonderbericht an Nationalrat, Bundesrat und Landtage aufmerksam gemacht. Alle haben sich wohlwollend geäußert, aber passiert ist noch immer nichts", kritisiert Achitz. Weil die Beschäftigten in den Werkstätten keinen Lohn erhalten, fehlt ihnen auch Sozialversicherungs-Absicherung. Sie haben keine Chance, jemals eine eigene Pension zu bekommen.

2020 hat der Nationalrat mit einem Entschließungsantrag einen ersten Schritt zur besseren Absicherung der Menschen in den Werkstätten gesetzt. Sozialminister Johannes Rauch hat eine Studie in Auftrag gegeben und deren Präsentation noch für 2022 angekündigt. "Mittlerweile haben wir 2023. Jetzt muss es wirklich rasch an die Umsetzung gehen", so Volksanwalt Achitz.

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