Knalleffekt in der österreichischen Politik: Vizekanzler und Finanzminister Michael Spindelegger trat Dienstag um 9 Uhr in einer eilig einberufenen Pressekonferenz im Finanzministerium zurück. Der ÖVP-Obmann legte alle politischen Ämter nieder.
Knalleffekt in der österreichischen Innenpolitik: legt alle politischen Ämter nieder: "Mit dem heutigen Tag trete ich als Vizekanzler, Finanzminister und aus all meinen Funktionen in der Partei zurück." Als Grund dafür nennt er die Steuerreform.
Die starken Angriffe auf seine Person plus eine private Krise () waren zuviel für das ÖVP-Oberhaupt: Vor einer kargen Wand mit dem Logo des Bundesministeriums für Finanzen gab Spindelegger am Montag um kurz nach 9 Uhr in einer eiligst einberufenen Pressekonferenz seinen Rücktritt als ÖVP-Chef, Vizekanzler und Finanzminister bekannt.
"Der Zusammenhalt in der Partei ist nicht mehr da", kommentierte Spindelegger seine Entscheidung. In der Steuerdebatte habe er Loyalität und Paktfähigkeit vermisst. "Loyalität und Paktfähigkeit fordere ich von allen ein, auch vom Regierungspartner." In der ÖVP seien immer mehr Leute auf den "Populismuszug" aufgesprungen. "Wir sind an einem Punkt angelangt, wo ich mir schuldig bin, diesen Schritt zu setzen", begründete Spindelegger seinen Rücktritt.
Die Entlastung der Steuerzahler sei nötig, aber "zum richtigen Zeitpunkt", so der Finanzminister mit Verweis auf den nach wie vor hohen Staatsschuldenstand.
Die Pressekonferenz selbst war nach nicht einmal zehn Minuten vorbei. Spindeleggers letzte Worte auf der Politbühne: "Das ist mein letzter Medienauftritt, auf Wiedersehen" - danach verließ der Ex-Vizekanzler den Raum. Fragen von Journalisten ließ er keine mehr zu.
ÖVP-Homepage offline
Sofort nach dieser Bekanntgabe war die Seite der Bundespartei nicht mehr erreichbar, die Server hielten dem Ansturm nicht mehr aus. Eiligst richtete die Partei ein Standbild ein: "Michael Spindelegger von allen Ämtern zurückgetreten. www.oevp.at derzeit überlastet". Verwiesen wurde auf die Facebook- und Twitterseite der Volkspartei.
Kritik wurde wohl zu viel
Der Entscheidung vorausgegangen war aufsetzte: Zangerl verlangte dezidiert Spindeleggers Rücktritt, denn "er hat zur Genüge bewiesen, dass er das Volk nicht mehr versteht. Er ist ja auf beiden Seiten taub." Die ÖVP brauche jemanden, der "das Volk vertritt und nicht die Lobbyisten".
Zangerl drängte schon seit langem auf eine Steuerreform samt einer "moderaten Vermögenssteuer" - und hat Spindelegger schon mehrfach scharf attackiert, weil er dies verweigerte. Im Mai hielt Zangerl dem Bundesparteichef vor, die "Wahlen vergeigt" zu haben und stellte die Frage, "wie lange wir uns den Herrn Spindelegger noch leisten können". Kurz darauf legte er seiner Partei indirekt nahe, sich vom Obmann zu trennen.
Aufstand in den Ländern
Auch schossen sich auf den ÖVP-Kurs ein, auch wenn sie dies nicht als Kritik an Spindelegger verstanden wissen wollten. Platter vermisste eine klare "christlich-soziale Linie" sowie die Aussprache über die Situation der Partei. Pühringer forderte einen "Turnaround" und kritisierte das "Herumgrundeln" der ÖVP bei Umfragewerten um die 20 Prozent.
Auch . Generalstabschef Othmar Commenda zeigte sich "fassungslos" über Spindeleggers Sparplänen beim Heer und seiner gleichzeitigen Aussage, das Bundesheer dürfe nicht "ausgehungert" werden. "Das Problem des Bundesheeres sind nicht fehlende Konzepte, sondern fehlende Budgetmittel. Und der einzige, der das ändern kann, ist der Finanzminister."
Nachfolge noch ungeklärt
stark in die Karten: Während im Kanzlerduell SPÖ-Vorsitzender Werner Faymann seinen ÖVP-Kollegen Michael Spindelegger mit 65 gegenüber 35 Prozent klar hinter sich lässt würde der Vergleich mit Kurz mit 49 zu 51 Prozent knapp gegen Faymann ausfallen.
Die Koalition sieht Mitterlehner durch den Rücktritt nicht in Gefahr. Spekuliert wird mit einer Trennung zwischen Partei und Regierungstätigkeit: Salzburgs Landesparteichef Wilfried Haslauer könnte die Partei als Obmann anführen, Mitterlehner den Vizekanzlerposten übernehmen.
Warnungen an Sebastian Kurz
Nach außen gedrungen ist bereits, dass Außenminister Sebastian Kurz von Parteikollegen gewarnt würde, sich für einen der Posten "verheizen" zu lassen. Die Zeit sei noch nicht gekommen, er solle dies noch nicht annehmen, sollte er ins Gespräch kommen, so ÖVP-Stimmen. Ein Indiz für Aufstiegs-Ambitionen sehen viele bei Erwin Pröll, der sich ungewohnt für ihn in den vergangenen Tagen mit Kritik zurückhielt. Es gibt Gerüchte, dass dies geschah, weil Pröll in einem Vier-Augen-Gespräch mit den Zukunftsplänen Spindeleggers konfrontiert wurde.
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Spindeleggers Abschiedsrede im Wortlaut
"Meine sehr geschätzten Damen und Herren, ich möchte Ihnen heute mitteilen, dass ich mit dem heutige Tag von allen meinen Ämtern in der Partei und in der Bundesregierung zurücktrete. Ich hab mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Ich habe mir das lange und gut überlegt, aber wir sind an einem Punkt angelangt, wo ich es mir selber schuldig bin, diesen Schritt zu setzen.
Für mich sind sicher viele Eigenschaften gerade von Ihnen in den Medien kolportiert worden, aber es wird niemand bestreiten, dass Loyalität und Paktfähigkeit etwas sind, was für mich wichtig ist, und auch mein politisches Leben bestimmt haben. Und Loyalität und Paktfähigkeit in diesem Zusammenhang, gerade was die Steuerentlastung betrifft, das fordere ich natürlich von allen ein. Auch vom Regierungspartner.
Wir haben uns viele Monate mit einem Regierungsprogramm beschäftigt und wissen, dass Entlastung der Bürger notwendig ist. Aber zum richtigen Zeitpunkt. Denn das erste, das wir bewältigen müssen, das ist der riesige Schuldenberg. Wenn in einem Land die Schulden auf mehr als 80 Prozent sind, dann muss als erstes bei den Schulden angesetzt werden. Das haben wir auch gemeinsam so bestimmt und wir haben uns dazu einen Plan zurechtgelegt, der auch eingehalten werden muss.
Der österreichische Weg muss sich orientieren am Weg nach Berlin und nicht nach Weg nach Athen. Alle Regierungsmitglieder kennen diese Zahlen. Alle Landeshauptleute kennen diese Zahlen. Alle Abgeordneten kennen diese Zahlen. Wenn wir einen Schuldenstand dieser Größenordnung erreicht haben, dann muss dort als erstes angesetzt werden. Und ich sage das noch einmal, weil es ehrlich ist: Die Wahrheit ist zumutbar und ich möchte diese Ehrlichkeit auch jetzt nicht vermisst lassen. Ehrlichkeit gegenüber den Menschen ist mir besonders wichtig, auch wenn es mir keine Sympathien einbringt.
Wer daher sagt, 'eine Steuerreform jetzt', der kann es nur mit neuen Schulden oder mit neuen Steuern. Und beides ist ein Weg, der für mich nicht gangbar ist. Neue Steuern hieße, auch in die Breite zu gehen, hieße, auch den Mittelstand entsprechend zu belasten. Sonst wird es kein Volumen geben. Und neue Schulden, das ist unverantwortlich gegenüber den nächsten Generationen. Da will ich nicht mittun. Die Millionärssteuer ist vom Aufkommen ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber sie verbirgt die Gefahr in sich, dass Vermögende gehen und Arbeitslose bleiben. Auch diese Gefahr möchte ich von Österreich abwenden.
Das hätte ich auch trotz aller Wirrnisse und Schwierigkeiten mit dem Koalitionspartner, mit den Interessensvertretern, durchgestanden. Aber jetzt ist eine Situation erreicht, wo aus der eigenen ein klares Signal kommt. Es gewinnen die die Oberhand, die sagen, 'wir müssen auf diesen Populismuszug aufspringen'. Und das muss ich zur Kenntnis nehmen. Was ich nicht will ist, mich dort hinbiegen zu lassen. Mich zwingen lassen, etwas zu tun, was ich nicht für richtig halte. Darum übergeb ich auch die ÖVP einem anderen Obmann oder einer anderen Obfrau.
Die letzten Jahre, die ich als Parteiobmann diese ÖVP geführt hab, waren sicher keine einfachen. Ich habe begonnen, als die ÖVP im Korruptionseck gestanden ist. Ich habe die ÖVP dort herausgeführt. Verhaltenskodex, all das was wir gemacht haben, waren die Maßnahmen dazu. Wir haben viele Wahlgänge geschlagen, wir haben in den Ländern gute Ergebnisse erzielt. Wir haben am 20. Jänner 2013 eine Volksbefragung gehabt, wo die ÖVP mit ihrem Standpunkt der allgemeinen Wehrpflicht die große Mehrheit der Österreicher gewonnen hat. Wir haben eine Nationalratswahl geschlagen, die allen Unkenrufen zum Trotz ein respektables Ergebnis gebracht hat - wenn auch nicht den ersten Platz. Und wir haben bei den Europawahlen unter meiner Führung die Nummer 1 ganz klar bestätigt.
Aber in einer Partei muss es natürlich Zusammenhalt geben. Wenn der Zusammenhalt nicht mehr da ist, dann ist der Zeitpunkt gekommen, das Ruder zu übergeben. Ich bin auch in meiner Rückschau als Finanzminister über die acht Monate durchaus mit mir selber im Lot. Ich habe in kurzer Zeit ein Doppelbudget vorgelegt, verhandelt und durchgebracht. Ich habe den gößten Finanzskandal bei der Hypo zu einer Entscheidung gebracht. Und ich habe die Umsetzung im Parlament auch in einem Gesetz über die Bühne gebracht. Ich habe Österreich aus dem Verfahren wegen übermäßigem Defizit herausgeführt und ich habe Wert darauf gelegt, dass die Republik ihr 'Triple A' in der Bewertung auch der Agenturen untermauert. Insgesamt bin ich daher auch mit dem, was in dem Ressort getan wurde, durchaus zufrieden und glaube, es waren die richtigen Schritte.
Ich habe mit Sicherheit auch viele Fehler gemacht, ich habe mit Sicherheit auch jemanden beleidigt, gekränkt, verletzt. Das tut mir außerordentlich leid. Das ist nicht meine Art und daher möchte ich mich auch dafür bei allen Betroffenen entschuldigen. Aber jetzt wurde meine Loyalität und meine Paktfähigkeit überstrapaziert, darum trete ich heute zurück. Weil ich mit meiner Überzeugung alleinstehe, was das Verantwortungsgefühl gegenüber dem Land und seinen Menschen, gegenüber unseren Kindern und Enkelkindern jetzt aufträgt zu tun. Ich kann für Österreich und für seine Menschen nur hoffen, dass ich mich irre.
Das ist auch mein letzter Medienauftritt. Darum möchte ich mich auch bei Ihnen allen verabschieden und Ihnen persönlich alles Gute wünschen. Auf Wiedersehen."
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, in Niederösterreich geboren, ist seit Dezember 2013 Finanzminister und seit April 2011 Vizekanzler Österreichs. Im Mai 2011 wurde er zum ÖVP-Bundesparteiobmann gewählt.
Ab dem Jahr 1991 war Spindelegger ÖAAB-Bundesobmannstellvertreter, von 2009 bis 2011 Bundesobmann. 1992kam er in den im Bundesrat, ab 1993 war Spindelegger Abgeordneter zum Nationalrat. In den Jahren 1995 und 1996 war er Abgeordneter zum europäischen Parlament; 1996 wechselte Spindelegger in den österreichischen Nationalrat, wo er bis Dezember 2008 tätig war. Spindelegger wurde zum außenpolitischen Sprecher der ÖVP und Fraktionsführer im außenpolitischen Ausschuss. Außerdem war er von 2000 bis 2006 Klubobmann-Stellvertreter der ÖVP im Nationalrat.
Ab 2006 war Spindelegger zweiter Nationalratspräsident. Nachdem Josef Pröll im April 2011 als ÖVP-Obmann und Vizekanzler zurückgetreten war, wurde Spindelegger am 14. April 2011 vom Parteivorstand als dessen Nachfolger in beiden Positionen designiert.
Wohin es Spindelegger nun treibt, bleibt abzuwarten. Beruflich tätig war der promovierte Jurist immer in Land (Niederösterreich) und Politik, z.B. als EU- und Nationalratsabgeordneter. Zumindest das Familienleben sollte sich für den begeisterten Hobby-Tennisspieler nunmehr leichter gestalten lassen. Frau Margit ist nämlich wieder beim Europäischen Rechnungshof in Luxemburg aktiv. Michael Spindelegger selbst wird es jetzt möglicherweise bereuen, vor einigen Wochen die Chance verpasst zu haben, sich selbst als EU-Kommissar nach Brüssel zu schicken.