Gesundheit
Long Covid brachte Mama von vier Kindern in Rollstuhl
Yvonne A. wird nach ihrer Coronavirus-Infektion nie wieder ein ganz normales Leben führen können und ist aktuell auf einen Rollstuhl angewiesen.
Eine Coronavirus-Erkrankung ist für gewöhnlich nach 14 Tagen überstanden – aber nicht immer. Bei etwa zehn Prozent der Covid-19-Infektionen kommt es zu der Folgeerkrankung Long Covid. Sie leiden Wochen nach dem Infekt am sogenannten Fatigue-Syndrom, Kurzatmigkeit, Herzrasen, Schwindel, Geruchs- und Geschmacksverlust sowie Verdauungsstörungen, um nur einige der Symptome zu nennen.
Wochen sind es bei Yvonne A. allerdings schon lange nicht mehr. Die Infektion der Wienerin liegt 14 Monate zurück. Seit über einem Jahr befindet sie sich nun schon im Krankenstand – und mittlerweile im Rollstuhl.
Ein Krankenstand, der nicht endet
"Ich brauch den Rollstuhl nicht, weil ich nicht mehr gehen kann, sondern weil das Gehen zu anstrengend ist", erklärt die 48-Jährige im "Heute"-Interview. Der Grund: Im Stehen sei das Postural Orthostatic Tachycardia Syndrome (POTS) am schlimmsten. "Dann funktioniert das Zusammenspiel zwischen Blutdruck und Puls nicht. Das überanstrengt sofort den ganzen Kreislauf. Allein damit kann man einen Crash auslösen."
„"Dass ich irgendwann einen Rollstuhl brauche, das habe ich mir vor einem Jahr noch nicht vorstellen können."“
Und sogenannte Crashs hatte Yvonne A. schon genug im vergangenen Jahr. Sie waren auch schuld an der Verschlechterung ihrer Erkrankung. "Ich leide unter anderem an Post-Exertional Malaise, das heißt, wenn man sich anstrengt oder ein bisschen zu viel anstrengt, schaltet der Körper ab. Ein Crash. Wenn man einen schlimmen Crash hat, dann kann es passieren, dass Symptome dazukommen und das solche Verschlechterungen sich manifestieren. Das ist bei mir im Laufe des Jahres viermal passiert."
Dabei hatte die Mutter von vier Söhnen am Anfang noch gedacht, sich nach der Infektion mit offiziell einem milden Verlauf einfach nicht genug ausgeruht zu haben. Nach vier Wochen startete sie wieder einen Arbeitsversuch, allerdings immer nur ein paar Stunden am Tag. "Weil ich dann so Kopfweh und Sehstörungen bekommen habe." Nach zehn Tagen ging sie wieder in den Krankenstand. "Ich bin am 28. Dezember 2020 in den Krankenstand gegangen und tatsächlich nie wieder rausgekommen. Es ist immer schlechter geworden. Dass ich irgendwann einen Rollstuhl brauche, das habe ich mir vor einem Jahr noch nicht vorstellen können."
Ihr Ehrgeiz wurde ihr zum Verhängnis
Ihre Diagnose erhielt Yvonne A. im März 2021 – inklusive der Bestätigung, unter anderem am Mastzellaktivierungssyndrom, POTS, ME/CFS und Small-Fiber-Neuropathie zu leiden. Damals schienen ihre Heilungschancen laut dem Arzt noch sehr gut, doch schon kurz darauf kam es zum ersten Crash. "Ich wollte unbedingt meine Ausbildung zumindest theoretisch beenden, doch ein Vortragender hat mich so sehr gefesselt, dass ich meine Schlafpausen nicht mehr eingehalten habe. Ich bin zusammengebrochen, hatte furchtbare Kopfschmerzen, ganz schlimme Sehstörungen und konnte mich nicht mehr bewegen. Ich habe tagelang mein Bett nicht verlassen."
ME/CFS
Die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung. Weltweit sind etwa 17 Mio. Menschen betroffen. In Österreich sind es rund 25.000 Österreicherinnen und Österreicher. Viele von ihnen sind so schwer krank, dass sie das Haus nicht mehr verlassen können. Manche sind bettlägerig.
Mastzellaktivierungssyndrom
Beim Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) sind die an der Immunabwehr beteiligten Mastzellen überaktiv. Schon beim Kontakt mit harmlosen Umweltreizen kann es deshalb zu allergieähnlichen Symptomen und in schweren Fällen zur Anaphylaxie kommen. Ein MCAS ist nicht heilbar, kann aber behandelt werden.
Small-Fiber-Neuropathie
Die Small-Fiber-Neuropathie ist eine spezielle Form der Polyneuropathie, die ausschließlich die kleinen vegetativen und sensiblen Nervenfasern betrifft. Die Patienten leiden unter Schmerzen und brennenden, stechenden Missempfindungen in den Händen und Füßen.
Ein Monat später bekam sie Anfang Mai ihre erste Impfung. "Ich habe total schlecht darauf reagiert, es war wie ein Crash und sieben Wochen lang habe ich mich sterbenskrank gefühlt." Es folgte im November die schriftliche Prüfung und mit ihr der dritte Crash. "Da haben die Schmerzen in den Armen angefangen."
Fünf Wochen später die zweite Impfung. "Ich habe daraufhin einen Tremor bekommen und fünf Wochen lang total gezittert. Ich bin froh, dass sich dieses Syndrom ein bisschen zurückgebildet hat und jetzt nur bei Anstrengung auftritt." Andere Beschwerden, wie das dreifache Sehen und die Schmerzen sowie Taubheitsgefühle in den Armen, die sich nun auch bis auf das Gesicht ausgebreitet hatten, seien jedoch geblieben.
Mysterium Wörter
"Wenn da eine Linie ist, dann sehe ich sie dreimal nebeneinander. Dazu kommt noch, dass ich zwar die Buchstaben sehe, ich das Wort und dessen Sinn aber nicht erfassen kann. Das ist eigentlich sehr beängstigend." Aufgrund von Brain Fog (Gehirnnebel) könne sie sich auch nicht mehr gut merken, was gerade gesagt wurde. "Das ist gut, beim Film schauen, weil es Wurscht ist, dass man den vor drei Wochen schon einmal gesehen hat. Aber meistens ist es schlecht", beweist die Wienerin lachend Humor. Doch damit nicht genug, auch die Wortfindungsstörungen machen ihr zu schaffen: "Das erste Mal als mir das passiert ist, bin ich mit einem meiner Söhne in der Küche gestanden und wusste plötzlich das Wort für Schöpflöffel nicht mehr."
„"Wenn da eine Linie ist, dann sehe ich sie dreimal nebeneinander."“
Wo Yvonne A. von Glück redet, das ist ihre Lungenfunktion. Diese sei nicht beeinträchtigt worden. "Ein bisschen Husten, aber mit dem Atmen komme ich super zurecht. Was ich habe, sind Entzündungen im Körper. Hauptsächlich im Darmbereich habe ich ständig starke Schmerzen. Mein Bauch ist auch sehr angeschwollen, weil der ganze Darm einfach entzündet ist und wahnsinnig weh tut." Massive Schmerzen habe sie auch sehr lange in den Beinen gehabt, doch das sei in den Hintergrund gerückt.
Kaum Heilungschancen
Mittlerweile schlafe sie 16 Stunden am Tag, von den restlichen 8 Stunden liege sie 6 ruhend im Bett. Dennoch versuche sie jeden Tag ihre 1.000 bis 3.000 Schritt zu gehen, um nicht komplett abzubauen. Doch den Alltag könne sie nicht mehr alleine bewältigen. "Ich kann mir nicht einmal etwas zu essen machen, gerade einmal das Frühstück herrichten." Auch jeden Tag duschen sei nicht möglich, da sie anschließend wieder einen ganzen Tag im Bett verbringen würde. "Sachen, über die man normalerweise nicht nachdenkt."
Pacing
Mit dem sogenannten Pacing soll durch einen schonenden Umgang mit den eigenen Ressourcen eine Überlastung strikt vermieden werden. Sprich, Erkrankte beobachten genau, wann ihre Einbrüche auftreten und bauen dann selbst zwischen den geringsten Anstrengungen ausreichend Pausen ein.
Um auch anderen Long-Covid-Patienten zu helfen, sie mit Informationen zu versorgen und sie zu unterstützen, hat Yvonne A. ihren Vlog auf YouTube inzwischen komplett der Erkrankung gewidmet. Doch die Heilungschancen sind für sie selbst inzwischen – zumindest statistisch gesehen – nicht mehr sehr groß. "Es ist nicht fix, dass es immer so ist wie jetzt, es kann besser werden, es kann noch vieles in der Art der Lebensqualität passieren. Vor allem mit Pacing kann es eine Verbesserung geben."
Hier finden Betroffene Hilfe:
Neurologie (Post)-Covid Ambulanz am Wiener AKH: +43 1 40400-31240
Dr. Michael Stingl, Facharzt für Neurologie: www.neurostingl.at/longcovid
Long Covid Austria – Verein & Betroffeneninitiative: www.longcovidaustria.at
Long Covid – psychische Rehabilitation: www.long-covid.at