Politik

Impfpflicht & die Grenzen des Marktes: 110 Tage KPÖ

Elke Kahr ist nun seit mehr als 100 Tagen neue Stadtchefin von Graz. "Heute" hat mit der Bürgermeisterin über eine erste Bilanz gesprochen. 

Tobias Kurakin
Elke Kahr ist nun seit mehr als drei Monaten Grazer Bürgermeisterin.
Elke Kahr ist nun seit mehr als drei Monaten Grazer Bürgermeisterin.
ERWIN SCHERIAU / APA / picturedesk.com

Eigentlich wäre der Plan ein anderer gewesen. Mitte der Legislaturperiode hätte sich Elke Kahr aus der Politik zurückziehen wollen und den Parteivorsitz der Grazer KPÖ abgeben wollen, erzählt die Kommunalpolitikerin. Gekommen ist aber alles ganz anders, denn Kahr begrüßt "Heute" zum Interview nicht mehr als Oppositionspolitikerin, sondern als neue Stadtchefin der steirischen Landeshauptstadt. 

Mit Überraschungssieg ins Amt gewählt

Ein wahrer Sensationserfolg gelang der überzeugten Kommunistin Ende September des Vorjahres in Graz. Mit 29 Prozent stürmte Kahr und ihre KPÖ auf Rang eins und verwehrte Langzeit-Bürgermeister Siegfried Nagl eine fünfte Amtszeit. Seither sitzt die 60-Jährige im Grazer Rathaus. Das Bürgermeister-Büro hat seither einen neuen Stil, entgegen einiger Medienberichte sind es aber nicht abgewohnte Ikea-Möbel, die Kahr ins Rathaus geschleppt hat, sondern einfach Möbel mit möglichst viel Stauraum, die ihr noch dazu gefallen und noch immer modern aussehen. 

Abseits ihres Möbelgeschmacks verfolgt Kahr auch als Bürgermeisterin noch immer die Politik, die sie auch aus Oppositionspolitikerin auszeichnete. "Kurz bevor Sie gekommen sind, war noch ein Mann da, dem wir nun eine Wohnung besorgen müssen, weil ihm seine Mieterin gekündigt hat und er nun nicht weiß, wo er hin soll", erzählt Kahr im Gespräch mit "Heute". Sie hätte auch als Bürgermeisterin noch immer den gleichen Zugang zu den Menschen, auch wenn die "Breite der Anliegen größer geworden ist". Zu einem Termin gekommen, um sich über die Politik der KPÖ zu beschweren, ist bisher noch niemand, obwohl im Posteingang der Stadtchefin Kritik eintrudelte als bekannt wurde, dass der KPÖ-Politiker Werner Murgg im weißrussischen Fernsehen auftrat.  

Keine rote Linie nach Linksaußen 

Ausrutscher nach links außen sind in der KPÖ keine Seltenheit. Auch der Grazer Gemeinderat Kurt Luttenberger sorgte mit einem kürzlich bekanntgewordenen Urlaub in der Ostukraine im Jahr 2019 für Aufregung. Politische Konsequenzen gab es keine, ob Kahr trotzdem eine rote Linie nach links hat, will "Heute" wissen? "Jeder der in unserer Partei ist, weiß was geht und was nicht - rote Linien sind keine Notwendig", meint Kahr. Zuletzt hatte die Bürgermeisterin selbst mit der Aussage für Unverständnis gesorgt, dass sich sowohl NATO als auch russische Truppen zurückziehen sollten. 

Eine deutlich klarere Haltung hat Kahr in Bezug auf die Impfpflicht und andere bundespolitische Themen. Obwohl Graz unter dem dunkelroten Gesundheitsstadtrat Robert Krotzer mit 74 Prozent keine weit-überdurchschnittlich hohe Impfquote aufweist, sieht Kahr die Impfpflicht mehr als kritisch: "Es war der Fehler der Bundesregierung über Monate hinweg mit grottenschlechter Kommunikation die Impfquote nicht zu erhöhen. Die Lösung, einen Impfzwang dann zu verordnen, halte ich für komplett falsch". Wenn nun wie vermehrt gefordert Strafen ausgesetzt werden würden, wäre das Kahr zufolge zumindest ein Schritt in die richtige Richtung, die Behörden hätten ohnehin bereits Alarm geschlagen, dass eine administrative Umsetzung nicht möglich sei. 

Auch Corona-Demonstrantinnen und Demonstranten will Kahr nicht alle in den selben Topf werfen. Sie hätte selbst aus unzähligen Gesprächen mit Menschen gemerkt, dass hier Ängste vorherrschen würden, die mittels Dialog beseitigt werden müssten. Wenn jedoch die Proteste den Boden der Rechtsstaatlichkeit und den Bogen der Verfassung verlassen würden, müssen man entschieden auftreten, so Kahr, die darauf verweist für "Impfen macht frei"-Schilder oder neu-gestaltete Judenbinden kein Verständnis zu haben.

Mögliche Hoffnung gibt Kahr jedoch den Grazer Fußballfans, nämlich das künftig neben der Merkur-Arena auch der GAK sein eigenes Stadion bekommt. Obwohl sich die Koalition aus KPÖ-Grüne und SPÖ für mehr Klimaschutz einsetzen will, steht ein zweites Fußballstadion am Koalitionspapier. Oberste Priorität hätte dieses Projekt jedoch nicht. Man würde dahingehend erst handeln, sobald das Budget dafür Platz hergebe. In einigen anderen Bereichen behält Graz jedoch auch unter Kahr seinen Ruf als "Verbotsstadt". Demnach wird auch die linke Koalition das Radfahr-Verbot in der Herrengasse, im Stadtpark und in der Sporgasse nicht kippen. Das Grillverbot oder das Alkoholverbot am Rathaus-Vorplatz soll hingegen bald der Geschichte angehören. Das Öffi-Ticket soll trotz landesweiter Erhöhungen billiger bleiben, mit dem Zuschuss vom Gemeindebudget will die linke Regierung dafür sorgen, dass die Jahreskarte nicht im Preis steigt. 

Bürgermeisterin Elke Kahr bei der Angelobung von Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer im November 2021. 
Bürgermeisterin Elke Kahr bei der Angelobung von Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer im November 2021. 
Stadt Graz/FIscher

Letztlich will "Heute" im Gespräch von Kahr wissen, wie viel Kommunismus wirklich in der Grazer Bürgermeisterin steckt. Mit Stalin oder Mao, die im Namen des Kommunismus Verbrechen begangen haben, will Kahr jedenfalls nichts zu tun haben. Zur Marktwirtschaft hat die Marxistin hingegen ein ambivalentes Verhältnis. "Ich will einen Sozialstaat, das heißt alles, was jeder Mensch braucht, Schulen, Gesundheitssystem, Heime, öffentliche Wohnungen, psychosoziale Einrichtungen und vieles mehr soll in öffentlicher Hand sein - nur dann kann man richtig steuern", so Kahr. Das "ganz normale Gewerbe" soll jedoch auch Kahr zufolge den Regeln des freien Wettbewerbs unterliegen. 

Und obwohl Kahr eigentlich vor hatte, das Zepter als Oppositionspolitikerin früher zu übergeben, denkt sie als Stadtregierungschefin etwas anders. Demnach will die 60-Jährige noch so lange in der Politik bleiben, wie ihre Parteikolleginnen und Kollegen das gerne hätten. Größere Ambitionen wie beispielsweise eine Karriere im Bund und im Land will sie hingegen nicht mehr angehen.

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