Coronavirus

"Immunschuld" aufgedeckt – das steckt wirklich dahinter

Corona, Grippe, RSV-Infektionen: In Österreich leiden derzeit viele Menschen an einem Atemwegsinfekt. Manche reden von einer "Immunschuld".

Österreich hustet und schnieft derzeit wie schon lange nicht mehr.
Österreich hustet und schnieft derzeit wie schon lange nicht mehr.
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Seit einigen Wochen ist es kaum zu überhören: Überall hustet und schnupft es. Verabredungen werden gecancelt, Kinder aus der Schule genommen und Berufstätige melden sich krank. In manchen Fällen ist Corona der Grund, aber auch andere Viren mischen derzeit kräftig mit. Ganz vorn auch mit dabei sind die Grippeviren Influenza A und B, sowie das Respiratorisches-Synzytial-Virus (RSV). Das zeigt ein Blick in Arztpraxen und Spitäler sowie auf die Abwasserdaten.

Einige Menschen führen die Häufung von Infektionen auf die zurückliegenden Corona-Maßnahmen zurück: Weil wir rund zweieinhalb Jahre lang Abstand gehalten, Masken getragen und den Erregern so gut wie möglich aus dem Weg gegangen sind, sei unser Immunsystem nicht trainiert worden. Deshalb sei es jetzt besonders anfällig. "Immunschuld" (siehe Box) nennen sie das. Doch die Vorstellung, dass wir ständig Infekte und Kontakt zu Viren brauchen, weil sich sonst das Immunsystem runterfährt, ist falsch.

Keine echten Belege für "Immunschuld"
Der Begriff "Immunschuld" ist noch recht jung. Er sei erst im letzten Jahr erfunden worden, sagte der Biochemiker Emanuel Wyler, der am Max-Delbrück-Centrum in Berlin die molekularbiologischen Prozesse bei Infektionen mit Coronaviren erforscht, dem "Tagesspiegel": "Echte Belege dafür gibt es bislang nicht, vielmehr dient der Begriff jenen als Kampfbegriff, die in den Maßnahmen zur Eindämmung einen Hauptgrund allen Übels in der Pandemie sehen."

"Immunsystem ist kein Muskel"

"Die Vorstellung, dass man das Immunsystem trainieren muss wie beim Sport, wird seiner Komplexität nicht gerecht. Wir haben keinen Hinweis darauf, dass man regelmäßig krank sein muss, um besonders gesund zu sein", erklärte die Genfer Virologin Isabella Eckerle dem Wissenschaftsmagazin "Quarks".

"Das Immunsystem ist kein Muskel, der abbaut, wenn ich ihn nicht trainiere", sagt der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl. Es bleibe auch ohne Infektionen funktionsfähig. Schließlich werde es täglich im Umgang mit unzähligen Mikroben trainiert, denen Menschen ständig ausgesetzt seien. Auch in den letzten zweieinhalb Jahren hat niemand in einer sterilen Blase gelebt. Für Watzl steht fest: "Manchmal ist es auch gut, eine Infektion nicht durchzumachen."

"Immunlücke" statt "Immunschuld"

So sieht es auch Carlo Cervia: "Ohne Infektionen geht es einem besser, wenn man gesund bleibt, nimmt das Immunsystem keinen Schaden", so der Immunologe vom Universitätsspital Zürich zu Tagesanzeiger.ch. Dass derzeit dennoch so viele Menschen von Atemwegserkrankungen geplagt sind, sieht er vielmehr damit erklärt, dass die spezifische Immunität gegen die üblichen Erreger, die jedes Jahr kursieren, fehlt: "Viele werden jetzt krank, weil das Immungedächtnis für zahlreiche Erreger nicht mehr ganz aktuell ist."

Der Grund dafür? Die Corona-Maßnahmen waren effektiv – sowohl gegen Corona als auch gegen andere Viren. Deshalb haben sich in den letzten Jahren weniger Menschen mit Atemwegserregern infiziert. Damit sind nicht nur die entsprechenden Infektionen ausgeblieben, sondern auch die damit zusammenhängenden Immunsystem-Updates (siehe Box). Entsprechend sei der Begriff "Immunlücke" besser, so Cervia.

"Immunsystem funktioniert auch nach Covid-19 noch"

Dass das Mehr an Atemwegsinfektionen in diesem Jahr etwas mit zurückliegenden Corona-Infektionen zu tun hat, wie einige Menschen befürchten, ist laut Cervia unwahrscheinlich. In einer Studie haben der Immunologe und seine Kolleginnen und Kollegen dafür keine Hinweise gefunden. Darin hatte das Team bei 173 Personen nach mildem und schwerem Covid die Funktionstüchtigkeit von T-Zellen untersucht und festgestellt, dass es bei den allermeisten Patienten keine längerfristigen Auffälligkeiten gab, wie der "Tagesanzeiger" berichtet. Cervia wertet das als "gute Nachricht". Demnach funktioniert das Immungedächtnis auch nach Covid-19.

Allerdings beobachtete das Team auch zwölf Monate nach der Infektion noch eine leicht erhöhte generelle Aktivierung der T-Zellen. "Wir kennen die Gründe dafür nicht. Womöglich bleibt das Immunsystem aktiv, weil irgendwo noch eine Entzündung da ist", sagt Cervia. Dass diese langanhaltende Aktivierung die Betroffenen anfälliger für andere Infekte mache, sei unwahrscheinlich.

Immunsystem-Updates
Auslöser der derzeit kursierenden Atemwegsinfekte sind Viren. Und die verändern sich – genauso wie das Coronavirus Sars-CoV-2 – ständig. Die neuen Varianten können sich in Nase und Rachen vermehren. Die Abwehrzellen unseres Immunsystems beginnen dann, das Virus zu bekämpfen und die Gedächtniszellen merken sich dann die neue Variante. Das heißt: Jedes Mal, wenn wir krank sind, bekommt das Immunsystem eine Art Update. Dank diesem kann es die Mutationen beim nächsten Mal gut abwehren. Da in den letzten Jahren viel weniger Menschen an zum Beispiel Grippe erkrankten, bekommen derzeit viele Menschen gleichzeitig die Updates der letzten Jahre.

Kalte Jahreszeit für Virenausbreitung ideal

Dass die Atemwegsinfektionen gerade in den letzten Wochen so zugenommen haben, liegt an mehreren Faktoren, die typisch für die kältere Jahreszeit sind und die dazu beitragen, dass sich Viren besser verbreiten können. So ist zum Beispiel die Luftfeuchtigkeit geringer, weswegen Viren länger in der Luft stabil bleiben und überdauern können. Außerdem sind unsere Schleimhäute stärker ausgetrocknet. "Sollten wir Viren einatmen, haben sie es leichter, über die Schleimhäute einzudringen", erklärt Watzl. Auch, dass sich die Menschen bei kälteren Temperaturen mehr in Innenräumen aufhalten, spielt eine Rolle. Und zu guter Letzt: Wenn viele Personen krank sind, steigt auch das Risiko, sich selbst zu infizieren – einfach, weil mehr Erreger kursieren.

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    Sabine Hertel
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