Ukraine
"Hochverrat" – Streit im russischen Militär eskaliert
Die Risse in der russischen Militärebene sind nicht mehr zu übersehen. Wagner-Chef Prigoschin übt unerwartet offene und unverhohlene Kritik am Kreml.
Sichtbare Kritik an der Kriegsführung Wladimir Putins und seine Methoden, die unmittelbar aus Russland kommt, ist äußerst selten. Dass mit Jewgeni Prigoschin nun der Chef der russischen Söldnertruppe Wagner selbst zum unverhohlenen Rundumschlag gegen den Kreml ausschlägt, kommt für viele Beobachter doch überraschend. Prigoschin fordert eine bessere Ausrüstung und mehr Munition für seine Leute. Verteidigungsminister Sergej Schoigu wirft er wortwörtlich sogar "Hochverrat" vor.
Der Chef der russischen Söldnertruppe Wagner hat seine Landsleute aufgerufen, ihn in seinen Forderungen nach Munition zu unterstützen und Druck auf die Armee auszuüben. "Wenn jeder Russe – das ist kein Aufruf zu Kundgebungen – einfach nur sagen würde: 'Gebt Wagner Munition' dann wäre das schon sehr bedeutend", sagte Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin in einer am Mittwoch von seinem Pressedienst verbreiteten Tonaufnahme. Der beispiellose Aufruf des Chefs der Söldnertruppe ist ein weiterer Beleg für das Ausmaß der Spannungen zwischen der Söldnertruppe und dem russischen Generalstab. Prigoschin, dem eigentlich gute Beziehungen zu Putin nachgesagt werden – in der Vergangenheit fungierte er sogar als Putins Leibkoch – reicht es nun offenbar endgültig.
Er warf nämlich Verteidigungsminister Sergej Schoigu vor, seinen Wagner-Kämpfern rund um die ukrainische Stadt Bachmut Munition zu entziehen und die Einheiten zerstören zu wollen. Der Wagner-Chef hat wiederholt Kritik am Verteidigungsministerium geäußert und hochrangigen Kommandeuren der Armee Inkompetenz vorgehalten. "Es gibt einfach eine direkte Opposition. Das ist Hochverrat gleichzusetzen", tobte Prigoschin.
Heeres-Oberst: Wagner erfüllt bestimmte Rolle
Ende Jänner nahm Heeres Oberst Markus Reisner, der für seine sachlichen Analysen im kriegerischen Konflikt internationale Anerkennung erfuhr, an einer Diskussionsrunde in der diplomatischen Akademie teil. Auf Wagner angesprochen führte Reisner aus, dass diese Gruppe auf verschiedenen Ebenen verschiedene Rollen ausüben würde. Es gebe die Führungskräfte, es gebe erfahrenen Kräfte und es gebe "Fleisch" bzw. "Kanonenfutter" – laut Reisner eine "de-humane" Bezeichnung für Einsatzkräfte, die keinen hohen Stellenwert genießen.
Die Rolle die Wagner erfülle sei es die regulären russischen Verbände von der Front abziehen zu können, gleichzeitig aber die ukrainischen Kräfte an die Front zu zwingen. Denn durch den Angriff von Wagner sei die Ukraine gezwungen, dem etwas entgegenzustellen. Diesen Ausführungen zufolge überrascht es nur bedingt, dass der oberste Wagner-Boss eine bessere Ausrüstung fordert. Als ernstzunehmenden Gegenspieler zu Putin sieht Reisner Prigoschin allerdings nicht.