Integrations-Atlas
Hier spricht nur jeder vierte Schüler Deutsch im Alltag
Es ist ein großflächiges Problem, nicht nur in "Brennpunktschulen". Immer weniger Schüler können gut Deutsch – mit großen Auswirkungen.
Diese Geschichte bewegt die Österreicher, es war am Montag der meist-gelesene "Heute"-Artikel: "Wiener Lehrer alarmiert: 'Haben reine Araber-Klassen'".
Der Inhalt: In Wiener Mittelschulen funktionieren – so Berichte von Lehrern – Deutschförderklassen nicht mehr. Der Grund: Es gibt keine mehrheitlich deutschsprechenden Klassen mehr, "in die das nachgezogene bzw. zugewanderte Kind integriert werden könnte. In 90 Prozent der Wiener Mittelschulen ist JEDE Klasse eine 'Ausländerklasse.'" Das schreibt "Heute"-Kolumnist Niki Glattauer, ehemaliger Schuldirektor in Wien.
"Bei uns ginge jede Klasse als Deutschförderklasse durch..."
Weiter schreibt er: "Ein Mittelschul-Lehrer schreibt mir: 'Bei uns ginge jede Klasse als Deutschförderklasse durch, wir haben seit heuer sogar eine reine Araber-Klasse. Wenn die Türkin aus der DfK (Anm.: Deutschförderklasse) kommt, ist sie das Alien.' Sein Lösungsvorschlag: Doppelt so viele Deutsch-Klassen mit halb so vielen Schülern ("Maximal zehn"), dafür doppelt so vielen Lehrern ("zwei") und: 'Weg mit den Stammklassen!'"
"Heute" hat die Fakten recherchiert: 1,2 Millionen Schüler gibt es dieses Schuljahr. Davon haben bundesweit 19,3 % einen nicht-österreichischen Pass – das sind 220.000 Schüler. In Wien ist dieser Prozentsatz am höchsten, mehr als ein Drittel (35,1 %) sind nicht Österreicher.
Jetzt zu den wichtigen Deutsch-Kenntnissen: In Wien ist für mehr als jeden zweiten Schüler (51,6 %) Deutsch eine Fremdsprache (Daten vom Integrationsfonds).
Heruntergebrochen auf die Bezirke der Bundeshauptstadt: In Wien-Favoriten (10. Bezirk) sprechen fast drei Viertel (73 %) aller Schüler im Alltag eine andere Sprache als Deutsch. Danach kommt Ottakring mit 70 % und Simmering mit 66 % der Kinder, die außerhalb des Deutschunterrichts hauptsächlich eine andere Sprache sprechen. Zusammengefasst: In 11 von 23 Bezirken Wiens liegt die Fremdsprachenquoten höher als 50 %.
Bildungsdirektion mit Deutschförder-Offensive
Was die Experten dazu sagen: Bei Schülern, die im Alltag nicht Deutsch sprechen, steigt die Chance, dass sie dem Unterricht nicht folgen können. Tatsächlich unzureichende Deutschkenntnisse hatten österreichweit zuletzt 17,2 % der Schüler mit ausländischer Staatsangehörigkeit.
Wir haben in der Wiener Bildungsdirektion nachgefragt. Schriftlich wird uns mitgeteilt, dass Wien eine Deutschförderoffensive initiiert habe. Unter anderem werden Sommerdeutschkurse ausgebaut (3.840 Plätze gab es im Sommer), es soll bereits im Kindergarten die Sprachförderung intensiviert werden und es sollen mehr Ganztagesschulen geben. Außerdem gäbe es in Wien 1.000 Lesepaten.
Eine Schuldirektorin zu "Heute": "Die Familien dieser Kinder leben lange genug in Österreich, aber sie kümmern sich einfach nicht darum, dass ihre Kinder Deutsch können."
Eine besorgte Lehrerin in einer Schule innerhalb des Wiener Gürtels: "Ich habe kein einziges Kind mit Deutsch als Muttersprache in der Klasse." Noch schlimmer: "Zwei Kinder können gar nichts auf Deutsch sagen, verstehen auch kein einziges Wort."
Eine – für Österreich wohl eher ungewöhnliche – Lösung präsentierte unlängst die Agenda Austria, ein liberaler Think Tank: "Deutschtest schon für Dreijährige – sonst droht Strafe."
Erklärung der Experten der Agenda Austria: : "Das heimische Bildungssystem lässt sich viel Zeit: Erst bei der Schuleinschreibung wird im Zuge einer verpflichtenden Testung festgestellt, ob das Kind ausreichend Deutsch spricht oder nicht."
Doch das sei viel zu spät: "Der Staat muss viel früher aktiv werden. Bereits im Rahmen der Eltern-Kind-Pass-Untersuchung ist – ab einem Alter von drei Jahren – eine Sprachstandfeststellung durchzuführen."
Und dann soll es harte Konsequenzen geben: "Bei einer unzureichenden Entwicklung sollten die Eltern dazu verpflichtet werden, ihre Kinder in eine entsprechende Sprachförderung zu geben und Fortschritte nach vorgegebenen Kriterien zu dokumentieren. Sollten Erfolge dennoch ausbleiben, zieht dies eine Verwarnung und ein verpflichtendes Beratungsgespräch nach sich."
Sollte all das nicht ausreichen, soll es laut Agenda Austria sogar, "finanzielle Sanktionen in Form von Bußgeldern oder Kürzungen von Sozialleistungen" geben.
Auf den Punkt gebracht
- In Wiener Mittelschulen sprechen viele Schüler im Alltag kaum Deutsch, was die Integration und den Unterricht erheblich erschwert
- Experten fordern kleinere Deutschklassen und frühere Sprachtests, um die Sprachkenntnisse zu verbessern und schlagen sogar finanzielle Sanktionen für Eltern vor, die ihre Kinder nicht ausreichend fördern