Ukraine

Gegenoffensive rollt an – so geht die Ukraine jetzt vor

Die heiß erwartete Gegenoffensive der Ukraine scheint endgültig anzulaufen: Größere Einheiten als bisher attackieren nun aus mehreren Richtungen.

Ein Panzer in der russisch-ukrainischen Grenzstadt Wowtschansk in der Region Charkiw.
Ein Panzer in der russisch-ukrainischen Grenzstadt Wowtschansk in der Region Charkiw.
REUTERS

Seit Monaten wird über die anstehende, bereits begonnene, doch noch nicht begonnene Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte berichtet und spekuliert. Immer wieder gab es Anzeichen dafür, dass der Gegenschlag begonnen hätte. Nun dürfte es endlich soweit sein: Neue ukrainische Einheiten rücken mit westliche Panzern auf breiter Front vor. Doch der Staudammbruch bei Kachowka schränkt die Möglichkeiten ein.

Kiews Truppen haben die vergangenen Wochen genutzt, um in besetzten Gebieten die Voraussetzungen für einen großflächigen Vormarsch zu schaffen. So wurde in der hart umkämpften Stadt Bachmut im Osten des Landes ein Gegenangriff gestartet. Unterdessen visierten ukrainische Drohnen, Artillerie und Marschflugkörper russische Logistik hinter den feindlichen Linien an. Außerdem sind wertvolle russische Ressourcen aktuell an eine überraschende Kampfzone auf russischem Staatsgebiet gebunden: Unter mutmaßlicher Unterstützung Kiews besetzten russische Milizen in Belgorod einige Ortschaften. 

Ukraine bestätigt Offensiven

Kleinere ukrainische Einheiten testeten immer wieder Schwachstellen in der Verteidigung. Je nach Interpretation lief die Offensive also bereits vor Wochen an. Dennoch: Die entscheidende Phase beginnt erst jetzt. Laut Militäranalysten setzt die Führung in Kiew nun erstmals deutlich größere Einheiten an, die simultan in verschiedene Richtungen Angriffe unternehmen.

Während das russische Verteidigungsministerium am Montag vermeldete, eine groß angelegte ukrainische Offensive abgewehrt zu haben, widersprechen russische Militärblogger. Sie meldeten kleinere Gebietsverluste im Süden sowie um Bachmut. Auch von ukrainischer Seite waren erstmals einschlägige Meldungen zu vernehmen: Die stellvertretende ukrainische Verteidigungsministerin Hanna Maliar bestätigte auf Telegram Offensivoperationen, mehrere hochrangige Politiker sendeten ähnliche Signale.

Westliche Panzer im Einsatz

Laut dem britischen "Economist" sind die Ukrainer bei der umkämpften Siedlung Welyka Nowosilka im Donbass sogar schon fünf Kilometer weit in Richtung Süden vorgedrungen. Experten gehen davon aus, dass die ukrainischen Truppen bei ihrer Gegenoffensive in Richtung Südukraine vorstoßen wollen, um die besetzten Gebiete am Asowschen Meer zwischen Cherson und Mariupol zurückzuerobern. Die Stadt Melitopol, die auf dem Weg zur besetzten Krim liegt, wird immer wieder als mögliches Ziel gehandelt. 

Laut dem US-Militärexperten Rob Lee zog Russland zuletzt bei Welyka Nowosilka Einheiten ab, um die Front bei Bachmut zu stärken. Daher seien die Verteidigungsanlagen dort etwas schwächer als bei Melitopol. Nun wurden auf ukrainischer Seite offenbar erstmals westliche Panzer zum Einsatz gebracht, darunter laut russischen Quellen der französische Spähpanzer AMX-10 und der deutsche Leopard 2. Ersterer eignet sich vor allem für Aufklärungsaktionen, was nahelegt, dass die Ukrainer aktuell noch sondieren – und die größten Offensivoperationen erst bevorstehen.

Hiobsbotschaft Dammbruch

Die beobachtete Stoßrichtung lässt vermuten, dass die Ukraine versucht, in Richtung Süden zum Meer durchzubrechen und so die Front in zwei Hälften zu teilen. Eine Rückeroberung von Bachmut hingegen hätte vor allem psychologischen Charakter: Russland konnte die Stadt nur unter hohen Verlusten einnehmen. Dort greifen die Ukrainer offenbar über die Flanken ein, eine Einkesselung könnte weitere, hohe russische Verluste zur Folge haben. 

Der Dammbruch bei Kachowka kommt der Ukraine hingegen alles andere als gelegen: Somit fehlt eine weitere Option für die Offensive, über den Fluss Dnipro hinweg. Nun strömen Wassermassen bis hinunter nach Cherson und verbreitern den Fluss massiv – eine Überquerung wird für die Ukrainer dadurch bedeutend schwieriger.

Wie geht es weiter?

Die ukrainische Offensive hat also begonnen, befindet sich allerdings noch in ihren Kinderschuhen. Offen bleibt, ob die ukrainischen Streitkräfte ihre Hauptziele bereits in Angriff genommen haben – oder ob dies erst erfolgt. Weitere Attacken im Süden oder sogar ein Überraschungsangriff im Norden scheinen alles andere als ausgeschlossen. Der Militärhistoriker Phillips O’Brien meint dazu auf Twitter: "Das sind wahrscheinlich Ablenkungsmanöver. Sie sind der Beginn einer großen Operation, aber nicht die große Operation an sich. Allerdings können sie auch ausgenutzt werden, wenn die russischen Linien durchbrochen werden."

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    Großbritannien hat der Ukraine <strong>Marschflugkörper vom Typ "Storm Shadow"</strong> und eröffnet dem angegriffenen Land völlig neue Möglichkeiten für Gegenschläge.
    Großbritannien hat der Ukraine Marschflugkörper vom Typ "Storm Shadow" und eröffnet dem angegriffenen Land völlig neue Möglichkeiten für Gegenschläge.
    Reuters (Archivbild 2003)