Politik

EU-Volkspartei gefährdet Ernährungssicherheit Europas

Das Renaturierungsgesetz der EU soll das Artensterben aufhalten. Die Europäische Volkspartei blockiert das, sieht die Ernährungssicherheit in Gefahr.

Roman Palman
A g'mahde Wiesn für den Bauern. Für die Insektenwelt ist sowas (und vieles anderes in der Landwirtschaft) eine Katastrophe.
A g'mahde Wiesn für den Bauern. Für die Insektenwelt ist sowas (und vieles anderes in der Landwirtschaft) eine Katastrophe.
Daniel Scharinger / picturedesk.com

Die Europäische Union will einen wichtigen Schritt zum Umwelt- und Naturschutz machen. Moore sollen wieder vernässt, Wälder aufgeforstet und Städte begrünt werden, um Tieren wieder wichtigen Lebensraum zurückzugeben und die Biodiversität zu erhalten. Das "Gesetz zur Wiederherstellung der Natur", eines der Herzstücke des Green Deals, soll am Mittwoch verabschiedet werden.

"Wir erleben seit einigen Jahrzehnten einen dramatischen Rückgang an natürlichen und naturnahen Lebensräumen. Ziel dieses Gesetzes ist ausdrücklich, Natur nicht nur in Schutzgebieten zu erhalten, [sondern ihr] wieder etwas mehr Raum zu geben und dort wo sie noch vorhanden ist, sie zu erhalten", sagt Ökologe Johannes Rüdisser von der Universität Innsbruck wenige Stunden vor der Abstimmung im Ö1-Morgenjournal. Er spricht von einem wichtigen "Umdenken im Naturschutz", denn es reiche nicht, 30 Prozent der Landes- und Seeflächen unter Schutz zu stellen: "Um Biodiversität sicherzustellen, brauchen wir auch die restlichen 70 Prozent".

Für EVP stehen Bauern mit Natur in Konkurrenz

Allerdings steht das Renaturierungsgesetz dank der Blockade der Europäischen Volkspartei (EVP) auf der Kippe. Die "Bedürfnisse der Bauern" seien nicht ausreichend berücksichtigt, argumentieren die Konservativen. Unter anderem weil bis 2030 mindestens zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche "mit Landschaftselementen mit großer biologischer Vielfalt" gestaltet werden. Für die EVP heißt das: Bauern wären gezwungen Anbaufläche aufzugeben, was "unsere Ernährungssicherheit gefährden" würde.

Das sind allerdings nicht nur irreführende Slogans und Fehlinformationen, sondern folgend auch Angstmacherei, wie ein Faktencheck des "Handelsblatt" zeigt. Derzeit gibt es nämlich begründeten Hinweise, dass es in Europa wegen des Vorhabens nicht mehr genug Lebensmittel geben könnte.

Und: selbst die EVP muss auf Nachfrage des Mediums zugeben, dass man den Begriff "Ernährungssicherheit" sehr weit gefasst habe und die "Bezahlbarkeit von gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln gerade auch für Haushalte mit niedrigem Einkommen" ebenfalls darin inkludiert. 

Dazu kommt, dass die Zehn-Prozent-Vorgabe schon 2021 mit der EU-Biodiversitätsstrategie mit 515 Ja- zu 90 Nein-Stimmen im EU-Parlament angenommen wurde. Damals waren Dutzende EVP-Politiker noch dafür, wohl weil dieses Papier noch unverbindlich war. Jetzt, wo es ans Eingemachte geht, wird blockiert. 

"Verstehe die Ängste"

"Ich verstehe, dass es hier Ängste gibt", sagt der Tiroler Biodiversitätsforscher. Diese seien aber nur auf den ersten Blick nachvollziehbar, eigentlich aber unbegründet. Er stellt klar: Bei dem Renaturierungsgesetz gehe es nicht darum, dass wie die EVP vorgibt, Ackerflächen einfach gestrichen werden, oder nicht näher spezifizierte Dörfer wegen der Vernässung von trockengelegten Moore eventuell weichen müssten.

Gerade Letzteres erscheint besonders kurios, denn wenn ein deutscher Energiekonzern ein ganzes Dorf gegen den Widerstand von Naturschützern für den Braunkohle-Tageabbau abreißt, stehen die janusgesichtigen Konservativen genau auf der anderen Seite. Das aber nur am Rande.

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    Lützerath in der Nähe von Erkelenz im Kreis Heinsberg in Deutschland sitzt auf Braunkohle, die der Energiekonzern RWE für die Stromproduktion nützen will. Lützerath soll deshalb schon bald abgebaggert werden. Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die den Ort seit Längerem besetzen, wollen das verhindern.
    Lützerath in der Nähe von Erkelenz im Kreis Heinsberg in Deutschland sitzt auf Braunkohle, die der Energiekonzern RWE für die Stromproduktion nützen will. Lützerath soll deshalb schon bald abgebaggert werden. Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die den Ort seit Längerem besetzen, wollen das verhindern.
    Oliver Berg / dpa / picturedesk.com

    Insektensterben fatal für Bauern

    Das Renaturierungsgesetz jedenfalls soll auch im landwirtschaftlichen Raum natürlichere Landschaftselemente mit großer biologischer Vielfalt zu erhalten bzw. wieder zu schaffen. Da geht es um "extensiv genutztere Flächen, Hecken, Randstreifen, Brachflächen", zählt Rüdisser auf. Ähnliches gelte für Waldflächen und Siedlungsräume.

    Der Clou: Gerade diese "Inseln", natürlichen Räume innerhalb dieser intensiv landwirtschaftlichen genutzten Flächen, würden auch für die Landwirtschaft wichtige Vorteile. Unter anderem würden sie dem fortschreitenden Insektensterben – Rüdisser: "Alle zehn Jahre gibt es durchschnittlich 9 Prozent weniger Insekten" – entgegenwirken.

    Ohne die für die Bestäubung der Feldfrüchte so wichtigen Insekten wird auch die Landwirtschaft Umsatzeinbußen erleiden und irgendwann in die Knie gehen. Der Spieß lässt sich also leicht umdrehen: Nicht das Renaturierungsgesetz gefährdet die Ernährungssicherheit Europas, sondern die Europäische Volkspartei mit ihrer Blockadehaltung.

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      privat, iStock
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