Wien
"Es ist das größte Verbrechen, Essen wegzuschmeißen!"
Jährlich wirft jeder Wiener Essen im Wert von 400 Euro weg. Dabei wäre weniger Verschwendung extrem wirksam für die Rettung unseres Planeten.
Durchschnittlich landen pro Wiener jährlich 40 Kilogramm an Lebensmitteln im Abfall, die man eigentlich noch hätte essen können, so das Bundesministerium für Umweltschutz. Am 29. September ist der internationale Tag gegen Lebensmittelverschwendung. Warum? Laut einer Studie gehen 42 Prozent aller weggeworfenen Lebensmittel auf das Konto privater Haushalte. Und der Wert der Lebensmittel, die von einem österreichischen Haushalt jedes Jahr weggeworfen werden entspricht etwa 300 bis 400 Euro. In Zeiten der extreme Teuerungen ist das eine erschreckende Zahl!
"Keiner wirft gern Essen weg" weiß Stefanie Klemm, Pressesprecherin von "Too good to go", einer App gegen Lebensmittelverschwendung. Einer von den 1.500 teilnehmenden Gastronomen und Händlern in Wien, die Essen vor der Tonne retten, ist Sebastian Kleemann (35) vom Restaurant Melker Stiftskeller (City). Er gibt seit zwei Jahren mehrmals pro Woche zehn bis fünfzehn Menüs zum reduzierten Preis von 3.99 Euro ab.
Pro Gericht und Tag bis zu 16 Euro sparen
Ein Hauptgericht in seinem Restaurant kostet zwischen 13 und 20 Euro. Man kann also bis zu 16 Euro sparen, wenn man sich am Abend über die App ein Gericht für 3,99 Euro abholt. Nach Abzug der Kosten für den Einkauf der Lebensmittel, der Provision an "Too good to go" von 1,19 Euro pro Menü, rund 50 Cent für die kleine Pappschachtel in die das Menü verpackt ist (die Option auf eigenes Geschirr ist seit Corona von App-Seite deaktiviert), plus 20 Cent für die Sackerl – bleiben Kleemann null bis fünfzig Cent Gewinn. "Für's Geld macht man's nicht", sagt er. Warum dann? "Weil wir nichts wegschmeißen wollen, weil es sonst schade um die Ware wäre und weil neue Leute unser Haus und unsere Küche kennenlernen,".
Die Nachfrage ist sehr hoch. Sebastian Kleemann kommt es manchmal so vor, als lägen einige seiner "toogoodtogo"-Stammkunden regelrecht auf der Lauer. "Ab 16.30 Uhr circa stellen wir unsere übrigen Menüs online – einige Leute die dann sofort da sind, kennen wir schon, die kommen immer wieder. Es scheint ihnen bei uns zu schmecken", freut er sich. Es kämen vor allem viele Angestellte aus den umliegenden Büros, die keine Lust auf Kochen hätten oder einfach ein bisschen sparen wollen. Es seien auf jeden Fall nicht nur arme Leute. Es kämen neben den Büroangestellten auch Touristen, Schüler aus dem Schottengymnasium, Neugierige.
"Ich schmeiße auch privat nichts weg und fahre meinen Konsum runter"
Sebastian Kleemann treibt das Thema auch privat um. "Der Klimawandel macht mir sehr große Sorgen. Ich spare auch im privaten Energie, wo ich kann, kaufe im stationären Handel – nicht bei Amazon, fahre meinen Konsum runter, trage meine Kleidung, so lange sie hält und mache kaum noch Fernreisen. Und ich schmeiße auch privat kein Essen weg. Ich finde, es ist das größte Verbrechen, Lebensmittel wegzuschmeißen".
Er findet es unerträglich und stieg deshalb aus der Nobelgastronomie aus. "Im 5-Sterne Hotel musste das Buffet bis zur letzten Minute üppig und vollständig befüllt sein – danach ungefähr die Hälfte davon wegzuschmeißen, war jeden Tag einkalkuliert." Bei Kleemann wird nichts weggeschmissen, es wird genau geplant, er macht mit den Köchen regelmäßig "Kühlhaus-Safari" (man schaut: was muss demnächst weg), die Angestellten bekommen jeden Abend kostenlos ein warmes Abendbrot und wenn dann immer noch was übrig ist, kommt es in die App.
Was denkt er, warum so viele Privatpersonen genießbares Essen in den Müll werfen? "Aus meinem privaten Umfeld weiß ich, manche kochen zu große Portionen und wollen dann am nächsten Tag nicht noch mal das gleiche essen. Andere haben einfach Schwierigkeiten, zu planen, ihren Einkauf und die anschließende Verwertung zu organisieren, manchen fehlt auch einfach Kreativität, wenn es darum geht, aus Resten etwas Schmackhaftes zu kochen".
▶ Weltweit landen laut dem Verein "Land schafft Leben" rund 30-40 Prozent der produzierten Lebensmittel in der Mülltonne. Auf dem Weg entlang der Wertschöpfungskette verursachen diese Lebensmittel acht bis zehn Prozent der weltweit produzierten Treibhausgase.
▶ Zwischen acht und zehn Prozent der Treibhausgasemissionen entstehen also umsonst, da diese Lebensmittel noch nicht einmal auf unserem Teller landen.
▶ Wäre der Lebensmittelabfall ein eigener Staat, hätte er nach China und USA den drittgrößten Treibhausgasausstoß.