Ukraine

Heeres-Oberst: Ukraine gelingt "bemerkenswerter Erfolg"

Die ukrainische Gegenoffensive scheint für Beobachter ins Stocken geraten zu sein. Dabei wird weiter heftigt gekämpft. Eine neue Taktik bringt Erfolg.

Roman Palman
Ukrainische Truppen feuern mit einem Panzer in Richtung der russischen Stellungen bei Charkiw, 6. Juli 2023.
Ukrainische Truppen feuern mit einem Panzer in Richtung der russischen Stellungen bei Charkiw, 6. Juli 2023.
REUTERS

Die Ukraine ist mit ihren ersten mechanisierten Ansturm bei Saporischschja an der russischen Verteidigung zerschellt. Die Bilder von zerstörten Leopard-Panzern und Bradleys gingen um die Welt. Auch anderorts gelang bisher kein großer Durchbruch. Oberst Markus Reisner kam deshalb am Montag vergangener Woche zu einem verheerenden Schluss: "Die erste Phase der ukrainischen Offensive ist aus meiner Sicht gescheitert. Man hat versucht, wie aus einem Lehrbuch der US-Armee massiert vorzustoßen."

Aber die Ukraine hat aus ihren Fehlern gelernt – und die Taktik geändert. Anstatt mit Panzern querfeldein vorzustoßen, kämpfen sich kleinere Sturmtruppen nun entlang der Windschutzgürtel zwischen den freien Ackerflächen vor. Auf Gefechtsstreifen von fünf bis neun Kilometer Breite würden diese die russische Verteidigung auf Lücken sondieren. Erst, wenn eine solche gefunden wurde, werden mechanisierte Kräfte für einen raschen Angriff gerufen. 

Bundesheer-Oberst Markus Reisner ist Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt.
Bundesheer-Oberst Markus Reisner ist Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt.
Bundesheer/Kristian Bissuti

"Die Idee ist, dass man dann sehr rasch vorstößt, die russischen Stellungen überwindet und an einen Punkt gelangt, an dem man sich festsetzen kann. Das ist im optimalen Fall eine Ortschaft". Bei Welyka Nowosilka im Süden seien bisher die größten Vorstöße mit einer Tiefe von vier bis fünf Kilometer gelungen, sagt Reisner in seiner jüngsten Analyse für "ntv": "Aber wir sehen noch keinen massiven Durchbruch".

Wird Bachmut erneut zum Kessel?

Auch die Situation rund um die seit langem belagerte Stadt Bachmut sei "signifikant". Zwar sei das Stadtgebiet immer noch in der Hand der russischen Besetzer, doch im Norden und Süden sei es den Ukrainern gelungen, die Frontvorstöße von Putins Truppen zurückzudrängen. "Hier sehen wir tatsächlich einen bemerkenswerten Erfolg der Ukraine."

Das bringt auch die Russen in eine prekäre Lage. Wenn die Ukrainer hier ihrerseits weiter vorstößt, dann droht Bachmut zu einem Kessel zu werden – dieses Mal aber für die russische Armee. "Das ist aber noch nicht der Fall", erklärt Reisner die aktuelle Lage.

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    Videoaufnahmen einer russischen Heli-Crew zeigen die schweren Verluste westlicher Panzer bei einer ukrainischen Gegenoffensive bei Saporischschja. (10. Juni 2023)
    Videoaufnahmen einer russischen Heli-Crew zeigen die schweren Verluste westlicher Panzer bei einer ukrainischen Gegenoffensive bei Saporischschja. (10. Juni 2023)
    IMAGO/ITAR-TASS

    Streubomben sollen helfen

    Um die Gegenoffensive weiter voranzutreiben, will die Ukraine vermehrt auf die international geächtete Streubomben setzen. Diese soll die sogenannte bewegliche Verteidigung der Russen aushebeln. Dabei reagieren die russischen Offiziere auf beobachtete Sondierungsversuche der Ukrainer und schicken ihre Reserven dorthin, um einen möglichen Angriff abzuwehren.

    Mit der Streumunition könnte genau diese Truppen schon im Anmarsch bekämpft und ihr Einsatz so verhindert werden. Die Wirkung der Waffen ist fatal: "Jedes Geschoss trägt insgesamt 72 kleine sogenannte Bomblets. Das sind kleine Sprengkörper, die eine große Flächenwirkung erzielen. Das ist genau das, was geeignet ist, um Reservekräfte oder Truppenkonzentration anzugreifen".

    Zur Ächtung von Streumunition

    2003 haben über einhundert Staaten ein Abkommen unterzeichnet, das Streumunition verbietet. Grund dafür ist die hohe Blindgänger-Quote der Bomblets, die auch Jahrzehnte später eine Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellen.
    Sowohl Russland, die Ukraine und auch die USA sind desem Abkommen aber nicht beigetreten. Im Ukraine-Krieg setzen beide Seiten Streumunition bereits ein. Die Russen feuern sie etwa mit Mehrfachraketenwerfern des Typen BM-27 oder BM-30 Smerch ab.

    Für die Ukraine seien die US-Lieferungen von Streumunition ein wichtiger Faktor, denn es fehlt weiter hinten und vorne an Munition. "Man geht davon aus, dass Russland letztes Jahr im Sommer bis zu 80.000 Schuss Munition pro Tag verschossen hat und die ukrainische Seite circa 20.000 bis 30.000 Schuss", rechnet der Militärexperte vor.

    Mittlerweile sind diese Zahlen zurückgegangen, doch auch nach bald anderthalb Jahren Krieg hat die russische Armee immer noch eine Überlegenheit. "Das Problem aber ist, dass die Ukraine zu wenig Artilleriemunition hat, um eine vergleichbar [hohe] Wirkung erzielen zu können wie eine Granate, die 72 kleine Sprengkörper auf großer Fläche auswirft."

    Ein entschärftes Bomblet aus einem russischen Mehrfachraketenwerfer in der Region Charkiw, Oktober 2022.
    Ein entschärftes Bomblet aus einem russischen Mehrfachraketenwerfer in der Region Charkiw, Oktober 2022.
    REUTERS

    Auf Jahrzehnte eine Gefahr

    Für die umkämpften Gebiete in der Kornkammer des Landes bedeuten die Millionen an verschossenen Artilleriegranaten eine Belastung weit über jedes mögliche Kriegsende hinaus. Bosnien leide seit dem Balkan-Krieg bis heute unter verminten Gebieten.

    Das droht auch der Ukraine – und die Streumunition verschärft das alles noch. Die amerikanischen Granaten, die bald den Ukrainern geliefert werden, haben laut Reisner eine "sehr hohe" Blindgänger-Quote von 3 bis 13 Prozent der Bomblets. Dazu kommen noch die Blindgänger der Russen, die seit Beginn des Krieges ebenfalls Streumunition einsetzen.

    Reisner: "Das [...] muss geräumt werden, damit die Zivilbevölkerung nicht massiv verletzt wird und weil es sich hier um Weizenanbaugebiete handelt. Das muss alles wiederhergestellt werden, wenn dort irgendwann mal wieder Weizen angebaut werden soll." 

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      privat, iStock