"Gelungene Integration"
Enthüllt! Niederösterreicher stammen aus Ostasien
Alte DNA erzählt von gelungener kultureller Integration trotz genetischer Unterschiede. Untersucht wurden hunderte Gräber vor den Toren Wiens.
Alte Knochen erzählen viele Geschichten. Dass diese Erzählungen weit über die Todesursache eines Menschen hinausgehen, zeigt eine große interdisziplinäre Untersuchung von hunderten Gräbern aus Mödling und Leobersdorf.
"Heute" sprach mit dem Wiener Historiker Walter Pohl über die überraschenden Ergebnisse, die nun im weltweit anerkannten Wissenschafts-Journal "Nature" erschienen.
Denn die Untersuchung, an der Historiker, Anthropologen, Archäologen, Genetiker und viele mehr beteiligt waren, zeigt: In Niederösterreich funktionierte kulturelle Integration schon im 8. Jahrhundert.
Ostasien trifft auf Europa
Für die frisch veröffentlichten Ergebnisse wurden hunderte Gräber vor den Toren Wiens untersucht. Diese würden viel über die Lebensweisen der damaligen Zeit erzählen. "Es waren fast alle miteinander verwandt. Wir konnten einen genetischen Stammbaum über sechs Generationen zeichnen", so Pohl zu den Funden aus der sogenannten Awarenzeit.
Das Besondere daran: "Die Frauen waren alle nicht aus der Gegend. Teilweise lag ihre Heimat sehr weit weg", erklärt der Historiker. Während die Frauen der Leobersdorfer Gräber vorrangig ostasiatischer Abstammung waren – etwa aus der heutigen Mongolei – haben die bestatteten Mödlinger hauptsächlich europäische Gene.
Die Mödlinger waren dabei aber keineswegs nur Mitteleuropäer. Pohl verdeutlicht, dass die Menschen aus vielen Orten Europas stammten, Ost- und Mitteleuropa gleichermaßen.
Gemeinsame Kultur
Dass die Gräberfelder aus Leobersdorf und Mödling genetisch große Unterschiede zeigen, war für die Forschenden eine Überraschung. Die beiden Gemeinschaften hatten nämlich eine sehr ähnliche Lebensweise. Auch die Grabbeigaben waren an beiden Orten ähnlich.
"Es war das erste Mal, dass wir so etwas gesehen haben. Bisher war die Annahme: Ähnliche Abstammung, ähnliche Kultur", so Pohl.
Die Kulturen der Mödlinger und Leobersdorfer hatten sich also so weit miteinander vermischt, dass sie ohne genetischen Nachweis, nicht voneinander zu unterscheiden gewesen wären.
Die Forschenden konnten sogar definitive Aussagen darüber treffen, dass die Gemeinden friedlich miteinander lebten. "Es gab also keine Parallelgesellschaften", verdeutlicht der Historiker.
Gelungene Integration
Dass die kulturelle Integration auf beiden Seiten offenbar gut funktionierte, zeigen die Grabbeigaben der Toten. Etwa 200 Jahre zuvor, wanderten die Awaren in die Gegend ein. Historische Ereignisse wie Reiterkriege brachten die Ostasiatischen Menschen zu uns. Grabbeigaben waren deshalb oft Waffen.
Nicht so in den über 500 Gräbern in Mödling und 150 Gräbern in Leobersdorf. "An den Skeletten finden wir keine Kampfverletzungen und es gibt auch kaum Mangelerscheinungen", weiß Margit Berner, Anthropologin und Projektleiterin am NHM.
Im Vergleich zu älteren Skeletten, seien auch weniger Waffen als Grabbeigaben zu finden. Das lasse darauf schließen, dass es sich um eine der friedlichsten Zeiten in der Geschichte des Wiener Beckens handelte, zu der diese Gräber entstanden.
Weitere Ergebnisse erwartet
Für die Untersuchung an den Gräberfeldern arbeiteten mehrere große Wissenschaftsinstitutionen zusammen. Neben Instituten der Universität Wien und dem Naturhistorischen Museum Wien, war etwa das Max-Planck-Institut in Leipzig beteiligt, aber auch Teams aus Ungarn und den USA.
Walter Pohl erwartet in Zukunft noch weitere spannende Ergebnisse. Denn einige Themen seien noch offen. Etwa die große Pandemie des 6. Jahrhunderts.
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Auf den Punkt gebracht
- Eine interdisziplinäre Untersuchung von hunderten Gräbern aus Mödling und Leobersdorf zeigt, dass kulturelle Integration in Niederösterreich bereits im 8.
- Jahrhundert erfolgreich war, trotz genetischer Unterschiede zwischen den Gemeinschaften.
- Die Ergebnisse, veröffentlicht im Wissenschaftsjournal "Science", verdeutlichen, dass die Menschen friedlich zusammenlebten und eine gemeinsame Kultur entwickelten, obwohl sie aus verschiedenen Regionen Europas und Ostasiens stammten.