Politik
Die Rede von Schriftsteller Köhlmeier im Wortlaut
Bei der Gedenkfeier am 5. Mai hat Gastredner Michael Köhlmeier die FPÖ frontal angegriffen. Die Partei arbeite wiederholt mit antisemitischen Codes und Verschwörungstheorien, so einer der Kritikpunkte.
Aufregung um diese Rede von Star-Autor Michael Köhlmeier. Lesen Sie hier die Rede im Wortlaut!
Sehr geehrte Damen und Herren, Präsident Sobotka hat mir Mut gemacht, als er gesagt hat: 'Man muss die Dinge beim Namen nennen'. Und bitte erwarten Sie nicht von mir, dass ich mich dumm stelle. Nicht an so einem Tag und nicht bei so einer Zusammenkunft.
Ich möchte nur eines: Den Ermordeten des NS-Regimes von deren Leben die jungen Damen und Herren vorhin so unglaublich eindringlich berichtet haben in die Augen sehen können. Und sei es auch nur mit Hilfe Ihrer und mit Hilfe meiner Einbildungskraft.
Und diese Menschen höre ich fragen: Was wirst Du zu jenen sagen, die hier sitzen und einer Partei angehören, von deren Mitgliedern immer wieder einige nahezu im Wochenrhythmus naziverharmlosende oder antisemitische oder rassistische Meldungen abgeben. Entweder gleich in der krassen Öffentlichkeit oder klammversteckt in den Foren und Sozialen Medien. Was wirst du zu denen sagen?
Der Vorarlberger Schriftsteller Michael Köhlmeier (69) studierte Politikwissenshaft und Germanistik, sowie Mathematik und Philosophie. Er arbeitete mit dem Musiker Reinhold Bilgeri zusammen. Erfolgreich waren seine vom Radiosender Ö1 ausgestrahlten freien Nacherzählungen antiker Sagenstoffe und biblischer Geschichten, die auch als CD und Bücher erschienen sind, und die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Er hat viele Auszeichnungen bekommen.
2014 zeigte Köhlmeier den damaligen FPÖ-Europaabgeordneten Andreas Mölzer wegen Verhetzung an.
Willst du so tun, als wüsstest du das alles nicht? Als wüsstest du nicht, was gemeint ist, wenn sie ihre Codes austauschen. Einmal von gewissen ‚Kreisen in der Ostküste' sprechen? Dann mit der Zahl '88' spielen? Oder wie eben erst den Namen ‚George Soros' als Klick verwenden zu Verschwörungstheorien in der unseligen Tradition der Protokolle der ‚Weisen von Zion'? Der Begriff 'stichhaltige Gerüchte' wird seinen Platz finden im Wörterbuch der Niedertracht und der Verleumdung.
Gehörst du auch zu denen, höre ich fragen, die sich abstumpfen haben lassen, die durch das gespenstische immer wieder dieser Einzelfälle nicht mehr alarmiert sind, sondern im Gegenteil, das häufige Auftreten solcher Fälle als Symptom der Landläufigkeit abtun, des Normalen, das kennen wir eh schon, des einschläfernden ‚ist nix Neues'?
Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt. Nie. Sondern mit vielen kleinen. Von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung. Erst wird gesagt, dann wird getan.
Willst du es dir – so höre ich fragen – des lieben Friedens willen widerspruchslos gefallen lassen, wenn ein Innenminister wieder davon spricht, dass Menschen konzentriert gehalten werden sollen?
Willst du feige die Zähne zusammenbeißen, wo gar keine Veranlassung zur Feigheit besteht? Wer kann dir in deinem Land, in deiner Zeit schon etwas tun, wenn du die Wahrheit sagst!
Wenn diese Partei, die ein Teil unserer Regierung ist, heute dazu aufruft, dass Juden in unserem Land vor dem Antisemitismus mancher Muslime, die zu uns kommen, geschützt werden müssen, so wäre das recht. Und richtig. Alleine – ich glaube – den Aufrufen nicht.
Anti-Islamismus soll mit Philosemitismus begründet werden. Das ist genauso verlogen wie ehedem die neonkreuzfuchtelnde Liebe zum Christentum. Sündenböcke braucht das Land. Braucht unser Land wirklich Sündenböcke? Wer traut uns solche moralische Verkommenheit zu? Kann man in einer nahe stehenden Gazette schreiben, die befreiten Häftlinge aus Mauthausen seien eine Landplage gewesen' und zugleich zu Verteidigern und Beschützern der Juden aufschwingen? Man kann. Ja man kann.
Mich bestürzt das eine – das andere glaube ich nicht.
Und wer das glaubt, ist entweder ein Idiot oder er tut so, als ob. Dann ist er ein Zyniker. Und beides möchte ich nicht sein.
Meine Damen und Herren, Sie haben diese Geschichten gehört, die von den jungen Menschen gesammelt wurden. Und sicher haben Sie sich gedacht, hätten diese armen Menschen damals doch nur fliehen können. Aber Sie wissen doch, es hat auch damals schon Menschen gegeben, auf der ganzen Welt, die sich damit brüsteten, Fluchtrouten geschlossen zu haben.
Ich habe lange darüber nachgedacht, was ich heute vor Ihnen sagen soll. Und mir wäre lieber gewesen, man hätte mich nicht gefragt, ob ich sprechen will. Aber man hat mich gefragt und ich empfinde es als meine staatsbürgerliche Pflicht es zu tun. Es wäre so leicht, all die Standards von ‚Nie wieder' und bis ‚Nie vergessen', diese zu Phrasen geronnen Betroffenheiten aneinander zu reihen wie es für Schulaufsätze vielleicht empfohlen wird um eine gute Note zu bekommen. Aber dazu müsste man so tun als ob. Und das kann ich nicht und das will ich nicht. Schon gar nicht an diesem Tag, schon gar nicht bei dieser Zusammenkunft. Ich möchte den Opfern, die mit Hilfe der Recherchen und der Erzählungen dieser jungen Menschen und mit ihrer und mit meiner Einbildungskraft zu mir und zu Ihnen sprechen und mir zuhören. Ihnen möchte ich in die Augen sehen können. Und mir selbst auch.
Und mehr habe ich nicht zu sagen. Danke. (red)