Politik
Darum zahlst du bald viel mehr für Strom und Gas
Unternehmen in Europa stoppen die Produktion, Haushalte ächzen: Die hohen Gas- und Strompreise machen die Märkte nervös. Darum kommt die Teuerung.
Der Winter naht und die Preise fürs Gas haben sich in Europa in einem Jahr fast verdreifacht. Auch beim Strom gabs eine Verdopplung des Preises. Einige stromintensive Unternehmen wie der norwegische Chemie-Riese Yara und der britische Düngemittelhersteller CF Industries haben darum angekündigt, einen Teil der Produktion zu stoppen.
Nicht nur die Unternehmen, auch die EU-Haushalte ächzen unter den hohen Preisen. Laut Analyse des Vergleichsportals Verivox sind die Gaskosten für einen deutschen Haushalt im Schnitt so hoch wie seit 2015 nicht mehr.
„Warum gehen die Preise fürs Gas gerade durch die Decke und was bedeutet das für Österreich?“
Warum steigen die Preise gerade so stark?
Die Energieversorger kaufen das Gas kurzfristiger als früher und müssen dafür mit höheren Preisschwankungen rechnen. Seit den Lockerungen von Corona-Maßnahmen steigt die Nachfrage. Dazu kommt, dass gerade jetzt die EU-Länder ihre Gasspeicher mit Gas für den Winter füllen. Dieses Jahr sind die Füllstände wegen des kalten Winters 2020 im Schnitt aber nur noch bei rund 64 Prozent, während es im vergangenen Jahr über 90 Prozent waren. Entsprechend nervös sind die Märkte.
Warum wird nicht einfach mehr Gas geliefert?
Darüber streitet derzeit die Weltpolitik. Rund 40 Abgeordnete des Europaparlaments machen den russischen Gazprom-Konzern verantwortlich. Sie werfen ihm vor, die Gaslieferungen nach Deutschland zu verringern, um das Land zu einer schnelleren Genehmigung für die Inbetriebnahme der gerade fertig gebauten Pipeline Nord Stream 2 zu bewegen.
Nord Stream 2 vor Inbetriebnahme
Drei Jahre lang wurde gebaut, nun ist sie fertig: Die 1200 Kilometer lange Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 steht vor der Inbetriebnahme, derzeit finden noch Tests statt. Der Bau der Pipeline hatte sich insbesondere wegen Widerstands der USA verzögert. Die USA gaben an, sie befürchteten eine zu große Abhängigkeit in der Energieversorgung Europas. Umstritten ist das deutsch-russische Projekt aber auch innerhalb Europas. Die Ukraine fürchtet, dass sie an Bedeutung als Transitland für russisches Gas verliert, denn durch das Land führt bereits eine Gas-Pipeline von Russland nach Europa. Die neue Pipeline soll aber in weitaus größerem Umfang als bislang russisches Erdgas nach Deutschland bringen.
Auch die US-Energieministerin warnte vor einer Manipulation europäischer Gaspreise. Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock forderte die deutsche Regierung deshalb zur Intervention in Moskau auf. Russland ist für Deutschland und die Schweiz die wichtigste Quelle für Erdgas.
Was ist dran an den Vorwürfen gegen Gazprom?
Gazprom wies die Vorwürfe zurück, was kaum überrascht. Doch auch eine Sprecherin der deutschen Regierung erklärte, dass Russland seinen Verpflichtungen aus dem geltenden Gastransitvertrag nachgekommen sei. Laut Medienberichten mussten auch die Russen schon eigene Reserven anzapfen, um überhaupt liefern zu können.
Warum steigt jetzt auch der Strompreis?
Auch die Strompreise steigen aus unterschiedlichen Gründen, sagt Hans-Christian Angele, Geschäftsleitungsmitglied des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie. Auch hier steigt die Nachfrage, gleichzeitig fiel die Stromproduktion aus Windenergie in den letzten Monaten wesentlich tiefer aus als erwartet. Zudem haben sich die Preise für CO2-Emissionszertifikate mehr als verdreifacht. Dadurch ist die Stromproduktion aus Kohle wesentlich teurer, weshalb mehr Strom in Gaskraftwerken produziert wird.
Wie geht es weiter?
Besserung ist nicht in Sicht. Norwegen kämpft als zweitgrößter Gaslieferant mit Produktionsausfällen und der Ausbau von Strom-, Wasser-, Wind- und Solarkraft stockt etwa in Deutschland noch immer. Die EU-Energiekommissarin Kadri Simson sprach sich deshalb für einen schnelleren Umstieg auf erneuerbare Energien aus. "Es ist klar, dass Europa in der momentanen Situation in erneuerbare Energien investieren muss, weil sie wirklich eine Alternative zu unserer Abhängigkeit von Importen fossiler Brennstoffe bieten", sagte Simson.
Steigen jetzt auch die Preise bei uns?
Bei den meisten der heimischen Energieanbieter gab es noch keine Preisanpassungen, sie zeigen sich abwartend und zurückhaltend. Viele Anbieter haben zudem bereits in der jüngsten Vergangenheit die Preise nach oben gezogen. Noch höhere Preise werde es aus heutiger Sicht wohl nicht geben, obwohl sich die Gaspreise auf dem Weltmarkt rund verdreifacht haben, heißt es vorsichtig abwartend. Doch danach dürften wohl auch hierzulande die Preise weiter anziehen – wenn sich die Situation nicht verändert.
Was droht im schlimmsten Fall?
In Europa könnten noch höhere Preise drohen. Dafür müsste die Nachfrage weiter hoch sein und gleichzeitig die erneuerbare Stromproduktion europaweit sehr schlecht ausfallen, weil es etwa wenig Wind gibt und die Sonne kaum scheint. Zudem müsste der Winter kalt werden. Versorgungsengpässe wird es in Europa laut Angele diesen Winter aber kaum geben: "Die internationale Gasversorgung ist ein sehr widerstandsfähiges System, eng vernetzt und mit vielen Optionen bezüglich Gasbeschaffung. Plötzliche Blackouts wie beim Strom sind nicht möglich."
Was ist, wenn es besser läuft?
Wenn sich die Nervosität im Markt legt und die Nord-Stream-2-Pipeline schnell in Betrieb geht, wenn der Winter mild wird und es gute Verhältnisse für Wind- und Sonnenenergie gibt, dann werden die Gaspreise spätestens nächsten Frühling wieder sinken, ist Angele vom Verband der Schweizerischen Gasindustrie überzeugt. Die Voraussetzungen dafür seien gut: "Gewisse Faktoren beruhigen sich schon wieder, alles funktioniert normal, es besteht keine Notlage."