Gesundheit
CoV-Folgeleiden – Rätsel um Kinderkrankheit PIMS gelöst
Etwa eines von 10.000 Kindern mit Covid-19 erkrankt Wochen später am MIS-C- oder PIMS-Syndrom. Lange vermutet, kennt man jetzt die Ursache dafür.
Kinder erkranken zumeist nicht an schweren Corona-Verläufen. Doch unabhängig von ihren überstandenen Symptomen kann es rund vier Wochen nach der akuten Krankheitsphase zur Ausbildung von MIS-C kommen. Die Abkürzung MIS-C leitet sich von der englischen Krankheitsbezeichnung "Multisystem Inflammatory Syndrome in Children" ab. International ist das Krankheitsbild unter den Abkürzungen MIS-C oder PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome) bekannt. Symptome sind akutes Fieber, Hautausschläge, Bauchschmerzen, Herzmuskelentzündung, Lymphknotenschwellungen und sogar Gefäßveränderungen der Herzkranzgefäße. Das Syndrom beruht laut neuesten Forschungsergebnissen auf Genmutationen im angeborenen Immunsystem beruhen. Dies berichteten jetzt US-Wissenschaftler in der Wissenschaftszeitschrift "Science".
"Der Überbegriff MIS-C steht für ein Multi-Entzündungssyndrom bei Kindern, das nach einer Covid-Infektion auftreten kann", erklärte dazu Klaus Kapelari, leitender Oberarzt der Innsbrucker Pädiatrie (Universitätsklinik) Anfang 2022. "Ursache für die Entzündungsprozesse ist vermutlich eine verzögerte Überreaktion des Immunsystems auf zurückbleibende Virusbestandteile. Die Zahl der Patientinnen und Patienten, die diesem Syndrom zugeordnet werden, steigt in jeder Welle an", sagte der Experte. Die Betroffenen müssen im Spital intensivmedizinisch betreut werden.
In den USA starben 71 von rund 9.000 Kindern mit MIS-C. Dafür wurden immer schon überstandene Infektionen und eine darauf folgende überschießende Immunreaktion als krank machende Abläufe vermutet. Wie das allerdings funktioniert, war bisher nicht bekannt.
Genmutation als Schlüssel
Robert Silverman von der Cleveland Clinic (Ohio/USA) und Jean-Laurent Casanova (Rockefeller University/New York) haben mit ihren Teams jetzt erstmals genetische Faktoren identifizieren können, die offenbar das Entstehen von MIS-C bei Kindern begünstigen. Sie dürften auf genetischer Ebene liegen und nicht mit der Stärke der Virusbelastung während der Infektion zu tun haben. Hier geht's zur Studie.
Im Rahmen des "Covid Human Genetic Effort" wurden von den Wissenschaftlern das Genom oder die in den Zellen produzierten Proteine von 558 Kindern sequenziert, die an MIS-C erkrankt waren. Die Daten wurden mit Kindern verglichen, die Covid-19 überstanden hatten und dieses Multi-Entzündungssyndrom nicht bekommen hatten. Bei MIS-C-Patienten wurden sie erstmals fündig: Sie wiesen Mutationen in den Genen für die Proteine OAS oder RNase L auf.
OAS- und RNase L-Proteine
"OAS-Proteine sind die erste Verteidigungslinie gegen Virusinfektionen. Wenn sie doppelsträngige RNA 'riechen', aktivieren diese Proteine das Enzym RNase L. Das soll die Vermehrung und Verbreitung der Viren verhindern", schrieben die Cleveland Clinic und die Rockefeller University in einer Presseaussendung vom 20. Dezember.
Silverman stellte den Effekt der Mutationen, die zum Entstehen von MIS-C beitragen, so dar: "Die RNase L funktioniert wie eine Schere, die RNA zerschneidet, die in Proteine übersetzt wird. Das umfasst auch Proteine, die als Immunbotenstoffe Entzündungsreaktionen auslösen."
Die identifizierten Genmutationen für OAS-Eiweiße oder für das RNase L-Enzym dürften auf zweifacher Ebene eine schädliche Wirkung haben: Sie verhindern als OAS-Mutationen entweder die Funktion der RNA-Schere oder bewirken, dass dieses Enzym überhaupt nicht gebildet wird. Die Folge dürfte eine starke Entzündungsreaktion sein, die durch Immunzellen vermittelt wird. Daraufhin werden Bestandteile von SARS-CoV-2 auch noch Wochen nach der akuten Erkrankung den sogenannten T-Zellen als "fremd" präsentiert. Die T-Zellen greifen schließlich "wild" Gewebe an.
T-Zellen attackieren Blutgefäße
"Die T-Zellen sind dann, so vermutet Silverman, für die entzündlichen Angriffe auf die Blutgefäße verantwortlich, die dem MIS-C-Syndrom vermutlich zugrunde liegen. Da die erworbene Immunabwehr erst mit zeitlicher Verzögerung aktiv wird, würde dies erklären, warum die Kinder erst Wochen nach der Infektion an einem MIS-C erkranken", schrieb das Deutsche Ärzteblatt dazu.