Vor fünf Jahren kegelte die Corona-Pandemie die Welt aus der Bahn. Infektionsketten, Maskenpflicht, Lockdowns, Impfungen und Booster. Diese Schlagworte erscheinen beinahe wie aus einer anderen Zeit, kaum etwas ist davon noch präsent. Geblieben ist aber eine tiefe gesellschaftliche Spaltung, die politische Aufarbeitung der Ereignisse und Maßnahmen lässt nicht nur in Österreich zu wünschen übrig.
"Wir müssen als internationale Gemeinschaft aufklären, wie es wirklich war, sonst handeln wir fahrlässig ignorant und sind wir für die nächste Pandemie nicht ausreichend gerüstet", fordert NEOS-Gründer Matthias Strolz am Montagnachmittag auf X. Der Klostertaler weiter: "2020 und 2021 habe ich für diese Forderung grobe Shitstorms kassiert. Dann kam Ignoranz. Langsam wird es besprechbar." Politik und Wissenschaft würden in der Frage nach dem Virus-Ursprung viel zu langsam und zu wenig fordernd agieren: "China muss hier kooperieren. Der internationale Druck dazu muss aufgebaut werden."
Auslöser für Strolz Reaktion war ein Interview des deutschen Virologen Christian Drosten mit der "TAZ". Dieser ließ darin mit seinen Überlegungen zur verbreiteten Labor-Theorie aufhorchen. Er hatte in den Jahren zuvor noch argumentiert, dass ein natürlicher Ursprung wahrscheinlicher sei. Seither hat sich seine Sicht aber gewandelt.
Er betont, dass sich die Datenlage seit 2020 weiterentwickelt habe und mit ihr seine Bewertung derselben. Einen natürlichen Ursprung halte er "immer noch für wahrscheinlich und das nehmen auch fast alle Wissenschaftler an, die mit dem Thema befasst sind". Nachsatz: "Annehmen heißt aber nicht wissen".
Die Indizien würden weiter auf einen natürlichen Ursprung hindeuten: "Da passt eigentlich alles zusammen: Die frühen Infektionen hatten eine räumliche Verbindung zum Markt. Dort gab es die Zwischenwirte, Marderhunde, und das Virus wurde genau da auf dem Markt gefunden, wo auch diese Tiere verkauft wurden. Auf dem Markt hat man auch die frühen beiden Viruslinien gefunden, von denen die Pandemie ausging. Diese Linien sind geringgradig unterschiedlich und gehen nicht auf einen bekannten gemeinsamen Vorfahren im Menschen zurück. Der Mensch hat also mit einiger Wahrscheinlichkeit das Virus mehrmals erworben, und das passt eher zu Infektionen an einer Gruppe von Tieren als im Labor."
„Ich muss sagen, je mehr Zeit vergeht, desto skeptischer werde ich.“Christian Drostenüber den Ursprung des Corona-Virus
Aber, so betont er, das seien alles nur Indizien: "Ein Beweis fehlt für den natürlichen Ursprung genauso wie für den Laborursprung". Das "Frappierende" sei aber, dass auch nach fünf Jahren der Beweis für den natürlichen Ursprung noch nicht erbracht wurde. Chinesische Wissenschaftler und auch Behörden hätten alle technischen Möglichkeiten dafür. "Es ist medienbekannt, wenn auch für mich nicht überprüfbar, dass zu der Zeit auf dem Markt und auch in Zuchtbetrieben bestimmte Tierarten, die als Wirte im Verdacht stehen, gekeult wurden. Und es ist für mich schwer denkbar, dass so etwas passiert, ohne dass Proben genommen und getestet werden." Beim Sars-CoV-1-Ausbruch 2002/2003 hätte es zwar Jahre gedauert, doch am Ende hätten mehrere Studien aus China den natürlichen Ursprung des Virus aus solchen Tieren "wasserdicht gemacht".
Christian Drosten (52) ist ein deutscher Virologe und Institutsdirektor an der Charité in Berlin. Sein Forschungsschwerpunkt sind neu auftretende Infektionskrankheiten und ist einer der Mitentdecker des Sars-CoV-1-Virus, das die SARS-Epidemie 2002/2003 auslöste. Als Mitglied des ExpertInnenrats beriet er zu Corona-Zeiten die deutsche Bundesregierung auf Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse über Covid-19 und Sars-CoV-2.
Das sät Zweifel, auch bei dem Virus-Experten: "Ich muss sagen, je mehr Zeit vergeht, desto skeptischer werde ich. Verbietet die Staatsräson, dass daran gearbeitet wird? Mag sein. Die andere Erklärung wäre aber, dass da gar kein natürliches Virus war. Die Politik sollte nach all den Jahren deutlicher die Forderung an China stellen, jetzt wirklich zu beweisen, dass es aus der Natur kommt."
Er stellt aber klar, dass das nicht direkt heißen könne, dass das Coronavirus aus einem Labor stamme: "Das würde ich so direkt auch nicht postulieren. Es ist aber nicht dasselbe, wenn wir im Jahr 2020 den Beleg für einen natürlichen Ursprung noch nicht haben, wie wenn wir im Jahr 2025 diesen Beleg immer noch nicht haben."
„Das ist das Hauptargument der Verfechter der Laborursprungstheorie: Wenn es die sonst nicht gibt, muss die da jemand künstlich reingebaut haben.“Christian Drostenüber die Furinspaltstelle in Sars-CoV-2
Es gebe aber eine Eigenschaft von Sars-CoV-2, die zu "Stirnrunzeln" führe: die sogenannte Furinspaltstelle. Diese sei vergleichbar mit einem Werkzeug, das die Transportsicherung einer Waschmaschine lösen könne. Das Virus werde dadurch aktiviert und könne sich in den Atemwegen von Säugetieren besser ausbreiten.
"Bei dem Sars-1-Virus und seinen Verwandten in Tieren hatte man diese Furinspaltstelle vor der Pandemie nicht beobachtet, und das ist das Hauptargument der Verfechter der Laborursprungstheorie: Wenn es die sonst nicht gibt, muss die da jemand künstlich reingebaut haben."
Drosten betont, dass das Vorkommen der Furinspaltstelle bei Sars-CoV-2 "zwar auffällig" sei, aber erstmal nichts beweise. Von Influenzaviren wisse man etwa, dass diese Fähigkeit auch durch natürliche Mutation auftreten kann.
Aber: Die Veröffentlichung eines US-Forschungsfinanzierungsansuchens aus dem Jahr 2018 wirft ein schiefes Licht auf die Sache. Mit dem in Wuhan ansässigen Virus-Labor als Partner wollten die Wissenschaftler Zellkulturen von Sars-Viren aus Fledermäusen durch das künstliche Einsetzen einer Furinspaltstelle zur Vermehrung bringen. Der Antrag für diese "Gain-of-Function-Forschung" wurde aber abgelehnt, "wohl auch aus Sicherheitsüberlegungen".
Die große Frage sei nun, ob die chinesischen Forscher vielleicht selbst über die nötige Technologie für diese Methode und diese dann vielleicht in Eigenregie durchgeführt hatten. Drosten: "Ich habe das lange bezweifelt. Aber in jüngster Zeit habe ich manchmal ein ungutes Gefühl."
Und: Als Begutachter für wissenschaftliche Journale seien ihm in letzter Zeit auch noch "Arbeiten aus China, die durchaus in diese Richtung gehen", untergekommen. Solche Forschung an zoonotischen Viren, die neues Pandemie-Potenzial haben, würde man im Westen nur unter hohen Sicherheitsvorkehrungen durchführen.
Ob das die Chinesen genauso machen? "Das wird aus diesen Studien aber manchmal nicht ganz klar. In letzter Zeit habe ich Arbeiten vorgelegt bekommen, die würde ich so hier nicht machen, und ich weise dann bei der Begutachtung auch darauf hin, dass das gefährlich sein könnte." Überhaupt sei von außen nicht beurteilbar, wie konsequent die chinesischen Behörden bei der Regulation und Kontrolle der Virusforschung sind.
Wie man das Risiko einer neuen verheerenden Pandemie eindämmen kann? "Die Frage stellt sich ganz unabhängig von der Laborursprungstheorie. Das Rätsel, wie es zur Coronapandemie kam, klären wir vielleicht nie auf." In der westlichen Forschungswelt habe schon die bloße Spekulation um einen Laborursprung dazu geführt, dass experimentelle Planungen "noch kritischer und selbstkritischer" angeschaut würden: "Man macht einfach keine Arbeiten, die wirklich gefährlich sind."
Eine lückenlose Aufbereitung sei auch für nachfolgende Generationen essenziell: "Denken Sie mal an die Spanische Grippe, die letzte Pandemie dieses Schweregrades: Hätten wir die Aufbereitung präsent gehabt, dann hätten wir vieles schon wissen können, was passieren wird."
Das müsse auch die Politik, egal welcher Parteifarbe, endlich verstehen: "Populäre Politik kann sich kurzfristig über Tatsachen hinwegsetzen, aber langfristig wird sich das rächen. Jetzt, wo die Gefahr überwunden ist, lässt es sich wohlfeil argumentieren. Aber wissenschaftliche Tatsachen sind weder verhandelbar noch bequem oder populär", stellt Drosten fest.
Während der Pandemie habe es zu viele Personen gegeben, die sich als Fachexperten aufgespielt hätten, in Wirklichkeit aber rein populistisch agiert hätten, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Drosten kritisiert dabei auch das Zusammenspiel mit einigen Medien, das diese zweifelhaften Aussagen noch verstärkt habe. Er sieht darin den Zündfunken für die heute vorhandene gesellschaftliche Spaltung.
Wenn der Anspruch bleiben solle, dass demokratische Entscheidungen anhand Tatsachen gefällt werden, müsse man sich in der Breite der Gesellschaft darum bemühen, so Drosten abschließend: "Mitdenken ist anstrengend. So ist das nun mal."