Extremismusforscher Neumann
Abschiebungen nach Syrien – "Da wäre ich vorsichtig"
Rebellen-Gruppierungen in Syrien haben das Assad-Regime gestürzt. Kehren jetzt Geflohene wieder heim? Und was erwartet sie? Ein Experte ordnet ein.
Ende November 2024 flammte der Bürgerkrieg in Syrien wieder auf. Und dann ging alles ganz schnell: Jihadistische Gruppierungen haben die Städte Aleppo, Hama, Homs und Damaskus eingenommen. Der entmachtete Präsident Baschar al-Assad verließ die Hauptstadt Damaskus. Russischen Medien zufolge befindet er sich in Moskau.
Mit Blick auf die Machtübernahme der überwiegend islamistischen Rebellen in Syrien herrscht Besorgnis – "Sie müssen die Rechtsstaatlichkeit wahren, Zivilisten schützen und religiöse Minderheiten respektieren", forderte Nato-Generalsekretär Mark Rutte auf.
Chaos bei der Machtübernahme
Laut Berichten der Zeitung Le Figaro soll Riyad Farid Hidschab nach dem Sturz des Assad-Regime interimsmäßig die Rolle des syrischen Premierministers übernehmen. Dies berichtet die Zeitung mit Berufung auf anonyme Quellen.
Hidschab war im Juni 2012 zum Ministerpräsident des Landes ernannt und von Assad mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt worden. Bereits zwei Monate später setzte er sich mit seiner Familie aber ins benachbarte Jordanien ab und ließ später über einen Sprecher verkünden, dass er zur Opposition übergelaufen sei.
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Österreich stoppt syrische Asylverfahren
Als Reaktion auf die veränderte Lage hat ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer seinen Innenminister Gerhard Karner damit beauftragt, alle laufenden syrischen Asylanträge in Österreich auszusetzen. Davon sind 12.886 Verfahren betroffen. Außerdem sind Familienzusammenführungen vorerst gestoppt worden. Fast 100.000 Flüchtlinge sind aus Syrien nach Österreich gekommen.
"Asyl ist bewusst als 'Schutz auf Zeit' gedacht, weshalb die Förderung der Rückkehr eine entscheidende Rolle spielt. Ich habe das Innenministerium beauftragt, die Lage in Syrien neu zu bewerten", so Nehammer. Zusätzlich soll die Möglichkeit von Abschiebungen geprüft werden. Kurz zuvor hatten noch Tausende Syrer den Assad-Sturz auf den Wiener Straßen gefeiert.
"Das Einzige, was ich noch vorsichtig wäre, sind die Abschiebungen"
Doch welche Situation zeichnet sich in Syrien überhaupt ab? Sind Rückführungen und Abschiebungen überhaupt realistisch? Oder erwartet Österreich nun eine noch stärkere Fluchtbewegung von Syrerinnen und Syrern? Das ordnete am späten Montagabend der Extremismusforscher Peter Neumann bei ORF-Moderator Armin Wolf in der "ZIB2" ein.
"Das glaube ich schon und das zeichnet sich auch bereits ab", so Neumann dazu, ob er erwarte, dass jetzt viele Syrerinnen und Syrer nach Syrien zurückkehren würden. Neumann befürwortete, dass Asylanträge etwa in Österreich vorerst ausgesetzt würden, man sortiere "den Stapel nach unten". Aber: "Das Einzige, was ich noch vorsichtig wäre, sind die Abschiebungen", so der Experte. Die Sicherheitslage sei angespannt, rückführen könne man erst, wenn die Lage auch stabil sei. Außerdem habe man in der Vergangenheit eine "Kettenreaktion" der Flüchtlinge gesehen: Einige hätten sich in Europa etwas aufgebaut, das habe anderen gezeigt, dass es machbar sei. Und die würden sich nun überlegen, ob die das wieder aufgeben wollen.
"Diese Dynamik zu verändern, wird unglaublich schwierig"
Und wohin werde sich Syrien entwickeln? "Ich glaube, man kann es absolut noch nicht sagen", so Neumann, der die Freude über den Sturz Assads verstehe und teile. Aber: "Die, die nun an die Macht gekommen sind", seien "Islamisten, das darf man nicht vergessen". Und Menschen, die jahrelang in der Opposition "geschunden worden sind", würden sich vermutlich "an ihren Schändern rächen" wollen. "Diese Dynamik zu verändern, wird unglaublich schwierig werden", so der Extremismusforscher.
Es brauche für Stabilität "eine Versöhnung zwischen Menschen", die sich kürzlich brutalst gegenübergestanden seien, so Neumann. "Eigentlich müsste man so eine Art Machtteilung befürworten", so der Experte. Doch selbst das hieße: Dazu müsse man Menschen, die Assad unterstützt hätten, an einer Regierung oder an der Macht beteiligen. "Sich das vorzustellen, da braucht man schon einiges an Fantasie", so der Experte.
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Rätselraten um den neuen Rebellenanführer
Der Rebellenanführer Abu Mohammad al-Julani jedenfalls, so würden einige ihn einschätzen, nehme auf Minderheiten Rücksicht und habe sich vom Terroristen zum Technokraten gewandelt. "Er möchte keinen Islamismus wie der IS, er möchte die Minderheiten nicht versklaven, er möchte keinen globalen Dschihad, er möchte keinen Weltkrieg, er möchte keine terroristischen Anschläge in Deutschland oder Österreich", so Neumann. Die Frage sei aber: "Was für einen Islamismus will er dann?"
Dazu komme, dass weit extremere Rebellengruppen dazukämen, wer sich da durchsetze, werde sich erst zeigen müssen. Und: Selbst wenn sich der Rebellenanführer durchsetzen könne – er habe bisher nur eine Region kontrolliert, kein Land mit Millionen Menschen und sehr vielen Minderheiten. Es gebe also noch sehr viele Fragezeichen.
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Auf den Punkt gebracht
- Der Bürgerkrieg in Syrien ist Ende November 2024 erneut aufgeflammt, und jihadistische Gruppierungen haben schnell die Kontrolle über mehrere Städte übernommen, was zur Flucht von Präsident Baschar al-Assad nach Moskau führte.
- In Reaktion darauf hat Österreich alle laufenden syrischen Asylanträge ausgesetzt, während Experten wie Peter Neumann die instabile Sicherheitslage und die komplexe politische Zukunft Syriens betonen, die eine Rückkehr der Geflüchteten derzeit schwierig machen.