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92-Jährige erzählt, warum sie jetzt Österreicherin wird
Im Volksschulalter musste Eva Schloss vor den Nazis aus Wien fliehen. Nach über 80 Jahren hat sie nun wieder die Austro-Staatsbürgerschaft angenommen.
Eva Schloss, geborene Geiringer, war gerade neun Jahre alt, als Österreich Teil des Deutschen Reichs wurde. Bereits einen Tag nach dem Anschluss wurde ihr damals zwölfjähriger Bruder von seinen Klassenkameraden blutig geschlagen, während die Lehrer tatenlos zusahen. Ab diesem Moment war der jüdischen Familie klar, sie musste fliehen.
„In Auschwitz gefangen“
Die Geiringers verloren ihre österreichische Staatsbürgerschaft, wurden gezwungen Deutsche zu werden – mitsamt einem neuen Pass, der sie für alle als Juden kennzeichnete. Kurz darauf ließen sie sich über die Grenzen nach Belgien schmuggeln, um dann in die Niederlande weiterzuziehen. Dort freundete sich Eva mit einem Nachbarsmädchen an – ihr Name: Anne Frank.
Als die Nazis im Mai 1944 auch in Amsterdam Juden zusammentrieben, versuchten beide Familien unterzutauchen. Das Versteck der Geiringers wurde aber von einem Doppelagenten verraten und sie alle in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Als die Rote Armee das Todeslager etwas mehr als ein halbes Jahr später einnahm, waren ihr Vater und Bruder bereits in Gefangenschaft umgekommen, die Leben von Eva und ihrer Mutter Elfriede hingen am seidenen Faden.
„Neue Heimat“
Zurück in Amsterdam heiratete Elfriede Otto Frank und machte Eva zur Stiefschwester der bis heute bekannten Tagebuchschreiberin. Jahre später, 1951, zog Eva nach London. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann Zvi Schloss, einen ebenfalls vertriebenen Deutsch-Juden kennen und beide wurden zu britischen Staatsbürgern.
Die englische Metropole wurde zu ihrer neuen Heimat, von wo sie seither dafür kämpft, dass die Verbrechen des Holocaust niemals vergessen werden. Und genau dort, wurde die Geflüchtete nun wieder zu einer Österreicherin.
„Für Lebenswerk geehrt“
In einer intimen Zeremonie wurde der Holocaust-Überlebenden und ihrer Familie durch Botschafter Michael Zimmermann die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Zudem wurde sie mit der Medaille für Verdienste um die Republik Österreich für ihr Lebenswerk geehrt.
"Ich hätte nie gedacht, dass ich in diesem Land für etwas gefeiert werden würde", sagte die heute 92-Jährige gegenüber der BBC. "Vielleicht habe ich doch in meinem Leben etwas erreicht und etwas dazu beigetragen, dass sich die Einstellung der Menschen verändert."
Die Entscheidung, doch noch die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen, sei keine leichte gewesen. Ihr mittlerweile verstorbener Ehemann hätte es bis zu seinem Tod vehement abgelehnt, auf dem Papier wieder Deutscher zu werden.
„"Moralisch richtig"“
"Als ich Österreich verlassen musste, war ich verbittert. Es hat eine lange Zeit gedauert, darüber hinwegzukommen", schildert Schloss gegenüber der BBC. Obwohl Österreich ihre Heimat ist, habe sie sich bei jeder Reise hierher wie ein "Fremder" gefühlt. "In Wien kenne ich niemanden mehr, meine ganze Familie und alle Freunde sind nicht mehr".
Wieder Österreicherin zu werden, sei "das moralisch Richtige" gewesen, ist die 92-Jährige überzeugt. "Die Österreicher bereuen, was passiert ist. Wir können den Hass und die Diskrimination nicht noch weiter tragen. Die Nazis sind nicht mehr unter uns. Junge Menschen müssen sehen, dass wir wieder Freunde sein können."
„Veränderung beginnt bei jedem einzelnen“
Trotz ihres hohen Alter hat Schloss nicht vor, ihre Aufklärungsarbeit über den Holocaust einzustellen. "Offensichtlich habe ich noch nicht genug getan, denn die Welt bewegt sich in eine Richtung, die mir Sorge bereitet".
Trotz der vielen schlimmen Erlebnisse in der Vergangenheit lässt sie sich nicht unterkriegen. Jeder von uns könne einen kleinen, aber feinen Beitrag leisten, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen:
"Versuche Freundschaften mit Menschen zu schließen, die anders sind als du – egal ob Herkunft oder Religion", lautet ihr Appell. "Dann wirst du verstehen, dass wir alle gleich sind – wir wollen alle die selben Dinge, ein schönes Leben und eine gute Ausbildung. Gleichberechtigung ist sehr, sehr wichtig."