Ukraine
12.350 km/h – Putin lässt Kinschal auf Ukraine los
Erstmals seit Kriegsbeginn attackiert Russland die Ukraine vermehrt mit Kinschal-Waffen. Sie kamen erst selten zum Einsatz, sind besonders gefährlich.
In der ukrainischen Hauptstadt Kiew funktioniert die Heizungs- und Stromversorgung nach einem russischen Angriff mit einer Hyperschallrakete vom Typ Kinschal ("Dolch") nach Angaben der Behörden wieder. "Strom und Wasser fließen wieder in allen Stadtteilen. Die Infrastruktur der Stadt arbeitet im normalen Zustand", berichtete die Militärverwaltung am Sonntag. "Kiew hielt stand. Die Hauptstadt zerbricht nicht!" Zuvor hatte Bürgermeister Vitali Klitschko bereits gesagt, das Heizungssystem sei komplett wiederhergestellt.
Am Donnerstag hatte Russland mit neuen massiven Raketenangriffen – darunter erstmals in größerer Zahl Kinschal-Waffen – Energie-Infrastruktur in der Ukraine angegriffen und teils massiv beschädigt. Betroffen waren mehrere Regionen. Allein Kiew brauchte Tage, um die Folgen des schweren Angriffs zu beseitigen. Insgesamt hatte die russische Armee die Ukraine nach Angaben aus Kiew mit mehr als 80 Raketen und 8 sogenannten Kamikaze-Drohnen attackiert. Nur gut die Hälfte konnte demnach von der Flugabwehr abgefangen werden.
Eingebauter Feststoff-Raketenantrieb
Russland greift immer wieder mit Raketen- und Drohneneinsätzen zivile Infrastruktur an. Der Angriff am Donnerstag wurde als "Vergeltungsschlag" für Attacken bezeichnet, die Moskau der Ukraine im russischen Gebiet Brjansk zugeschrieben hatte. Russland hatte den Krieg am 24. Februar vergangenen Jahres begonnen. Die Hyperschallrakete "Kinschal" ist eine der neusten Superwaffen in Putins Vernichtungsarsenal. Die Ukraine kann ihr nicht viel entgegensetzen. Das rund sieben Meter lange Geschoss wird in der Luft von Tu-22M3 oder MiG-31K Kampfjets ausgeklinkt.
Erst nachdem der Flieger selbst in Sicherheit ist, zündet der eingebaute Feststoff-Raketenantrieb. Aus Moskau heißt es, die Hyperschallrakete könne dann zehnfache Schall-Geschwindigkeit (Mach 10, circa 12.350 km/h) und eine Flughöhe von 20 Kilometern erreichen. Dafür braucht sie eine eigene Hitzebeschichtung, um nicht durch die eigene Luftreibung zu verglühen. Gesteuert wird sie vermutlich von einem unabhängigen Computer an Bord, der womöglich zusätzlich von Signalen der russischen GPS-Alternative Glonass gefüttert wird.
Sogar für Nuklearwaffen geschaffen
Russischen Angaben zufolge beträgt die Reichweite der Kinschal mehr als 2.000 Kilometer, westliche Einschätzungen gehen eher von 500 bis 1.000 Kilometern aus. Unabhängig von der Entfernung richtet die Rakete bei ihrem Einschlag massive Zerstörung an. Im Normalfall ist sie mit einem konventionellen 500 Kilo schweren (Splitter-)Sprengkopf ausgestattet. Sie kann aber auch mit Nuklear-Sprengköpfen ausgerüstet werden. Die Rakete wurde laut Experten vor allem für den Einsatz gegen kritische Militärinfrastruktur in Europa entwickelt.
Der russische Präsident Wladimir Putin selbst spricht davon, dass die Rakete "unverwundbar" sei, weil sie sogar bei höchstem Tempo noch agil bleiben und möglichen Gegenmaßnahmen ausweichen können soll. Diese neue strategische Unsicherheit sorgt auch im Westen für Kopfzerbrechen und große Sorgen. Die Frage, die sich dadurch jeder Verteidiger stellen muss: Fliegt eine konventionelle Rakete so schnell auf mich zu oder ist es ein nuklearer Angriff? Um zu reagieren, bleiben in beiden Fällen nur wenige Minuten.
Abwehrsystem haben kaum eine Chance
"Hyperschallraketen mit ihrer neuartigen Kombination von Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit können alle gegenwärtigen Raketenabwehrsysteme überwinden und verkürzen radikal die Reaktionszeit des angegriffenen Akteurs", heißt es in einem Bericht der Münchener Sicherheitskonferenz 2019. Trotz all ihrer Macht soll die Kinschal im Ukraine-Krieg nach Einschätzung von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin nicht den entscheidenden Wendepunkt bringen können. Wie er erklärte, greife Putin auf solche Waffen zurück, um dem stockenden Vormarsch neuen Schwung zu bringen.