Gesundheit

1.000 Mitarbeiter fehlen – nun bricht Pflege-Chaos aus

Hinzu kommt ein Mangel an Labor- und Radiologie-Kräften. "Heute" sprach mit dem Personalvorsitzenden des Wiener AKH.

Sabine Primes
Ohne Pflegekräfte kann ein Spitalsbetrieb nicht aufrechterhalten werden. (Symbolbild). 
Ohne Pflegekräfte kann ein Spitalsbetrieb nicht aufrechterhalten werden. (Symbolbild). 
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Erst kürzlich ließ AKH-Primar Shahrokh Shariat mit seiner Gefährdungsanzeige an der urologischen Abteilung des Wiener AKH den Pflegenotstand auffliegen. Seit sechs Jahren hätte er schriftlich und mündlich auf den Ressourcenmangel hingewiesen  – vergeblich. Jetzt ist das Fass übergelaufen. 

Auch an der Klinik Floridsdorf hat die Gynäkologie und Geburtenstation eine Gefährdungsanzeige erstattet. Es sei momentan nur ein Notbetrieb möglich. Zuletzt gab es in den Wiener Spitälern über 50 Gefährdungsanzeigen binnen 17 Monaten, berichtet der ORF. Der Wiener Gesundheitsverbund räumt gegenüber Radio Wien den Personalmangel in der Klinik Floridsdorf ein. Begründet wird dieser unter anderem mit Krankenständen und Abgängen.

Eine Gefährdungsanzeige (auch Überlastungsanzeige genannt) ist ein schriftlicher Hinweis der Beschäftigten an den Arbeitgeber bzw. unmittelbaren Vorgesetzten, dass es aufgrund der vorherrschenden Arbeitssituation zu gesundheitlichen Gefährdungen und/oder Qualitätseinbußen in der Arbeit kommen kann. Der Arbeitgeber hat dann die Aufgabe, entsprechende Maßnahmen zur Gefahrenabwehr einzuleiten.

Pensionswelle der "Babyboomer-Generation"

Die Abgänge seien aber vorhersehbar gewesen, sagt Wolfgang Hofer, Personal- und Gewerkschaftsvorsitzender im Wiener AKH im Gespräch mit "Heute". Er ist als Vertrauensperson täglich mit der Personalknappheit vor Ort konfrontiert. Das Problem bestehe nicht erst seit Corona, sondern war auch schon Jahre zuvor immer wieder Thema. Das, was wir jetzt erleben, sei nur die Spitze des Eisbergs. Denn verschärft wird die jetzige Situation durch die Pensionswelle der "Babyboomer-Generation", mit der in den nächsten 5 bis 10 Jahren rund 30 Prozent an Personal an der Universitätsklinik wegfallen. "Alleine in der Pflege werden 1.000 Mitarbeiter fehlen. Wir haben vor zehn Jahren schon vor dem drohenden Personalmangel gewarnt", so Hofer.

"Aussteiger, die sich den Herausforderungen des Pflegeberufs doch nicht gewachsen sehen, gibt es immer wieder", sagt Hofer. Er werde oft mit Kündigungsansuchen konfrontiert. In einem persönlichen Gespräch wird das Problem für die Kündigung eruiert und – wenn möglich – eine Versetzung innerhalb des Hauses ermöglicht. Man ist sehr bestrebt, seine Mitarbeiter zu halten. Derzeit sind über 200 Pflegestellen an der Universitätsklinik ausgeschrieben: Hier geht's zur Jobbörse.

Wartelisten, Betten- und OP-Sperre

Nicht in allen Abteilungen des Hauses, aber vor allem in der Unfallchirurgie, Chirurgie, Urologie ist laut Hofer der Bedarf an Arbeitskräften besonders hoch. Das betrifft die Pflege und die medizinisch-technischen Dienste (Radiologie, Labor). Im Intensivbereich (Stichwort Corona) sei man im AKH gut ausgestattet, betont der Personalvorsitzende. Ein eigenes Eskalationskonzept sichert den Betrieb im Falle von Ausfällen ab.

Im normalen Pflegebereich gestalte sich das schon schwieriger. Daher werden die Wartelisten für geplante Operationen immer länger, OP-Säle werden gesperrt, weil aufgrund des Personalmangels und (Corona-)Krankenstände die Eingriffe nicht durchgeführt werden können. Um die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten und um eine Überlastung des Personals zu vermeiden, müsse man daher Leistung reduzieren. Schadensfälle zu vermeiden, steht an erster Stelle. Daher kann nicht allen Patienten ein Bett angeboten werden ("Bettensperre"), weil aufgrund von zu wenig Personal die Station nicht betrieben werden kann. 

Ausbildungsoffensive 

Mit den derzeitigen Ausbildungskapazitäten (die Ausbildungsstandorte wurden reduziert) sei der Mangel nicht zu kompensieren, meint Hofer. "Da die höhere Ausbildung jetzt eine FH-Ausbildung ist, studieren viele nach dem Bachelor noch weiter auf Master oder machen andere Ausbildungen. Das bedeutet, die Zahl der potentiellen Bewerber ist sehr gering. Daher brauche es mehr Ausbildungsplätze, stellt Hofer fest. Um den Mangel aufzufangen, gibt es jetzt zwar Ausbildungsoffensiven, jedoch wirken sich die frühestens in zwei bis vier Jahren faktisch auf den Krankenhausbetrieb aus.

Bessere Bezahlung

Gemessen an der hohen körperlichen und psychischen Belastung ist der Pflegeberuf drastisch unterbezahlt. Zwar gab es in der Pandemie einen einmaligen 500 Euro-Zuschuss, aber das war nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. "Einige Bundeslänger, unter anderem Wien, haben vor ein paar Jahren eine neue Besoldungssystem eingeführt, das bereits beim Berufseinstieg besser gestellt ist, als es im alten System der Fall war. Aber insgesamt gibt es noch Luft nach oben", konstatiert Hofer. 

Ausländische Fachkräfte

Eine weitere mögliche Option, um den Personalmangel beizukommen, ist die Anwerbung ausländischer Fachkräfte. Bereits in den 1970er und 1980er Jahren kamen viele Pflegekräfte aus dem asiatischen Raum nach Österreich. Diese waren bereits gut ausgebildet und wurden nach dem Erlernen der deutschen Sprache unverzichtbare Mitarbeiter. Auch jetzt kommen viele der Pflegekräfte im AKH aus allen europäischen Ländern und dem asiatischen Raum. 

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