Politik

"90 Prozent wandern in die Mindestsicherung ein"

Heute Redaktion
Teilen
Innenminister Wolfgang Sobotka (VP) im "heute.at"-Talk
Innenminister Wolfgang Sobotka (VP) im "heute.at"-Talk
Bild: Sabine Hertel

„heute.at" sprach mit Innenminister Wolfgang Sobotka über Flüchtlinge, die Kanzleramts-Mauer, Sebastian Kurz' „Popstar"-Status und seinen Ruf als Scharfmacher.

"Heute": Die geplante Mauer vor dem Kanzleramt hat die Gemüter erhitzt. Jetzt kommt sie nicht. Wie dilettantisch ist diese Causa gelöst worden?

Wolfgang Sobotka: Das müssen Sie das Kanzleramt fragen und die Verantwortlichen dort. Wir hatten von Beginn an einen anderen Vorschlag. Keine Frage: Man hätte das seitens Kanzleramt auch früher und besser lösen können.

"Heute": Jetzt kommen Poller. Ein ausreichender Schutz?

Sobotka: Es gibt gegen Terror keinen hundertprozentigen Schutz. Unter diesen Gebäuden fährt die U-Bahn. Wenn dort etwas passiert, gibt es eine noch viel größere Katastrophe. Wir haben bereits im Jänner die Landespolizeidirektionen angewiesen, dass sie die Sicherheitskonzepte überarbeiten müssen. In Wien hat ja jetzt auch der Rathausplatz nachgezogen. Das moniere ich schon längere Zeit.

"Heute": Können Sie das Wort Mauer noch hören?

Sobotka: Ich habe keine Aversion gegen diesen Begriff. Nur in diesem Konnex ist er nicht sehr sympathisch. Vor allem dann, wenn die Stadt Wien in anderen Fällen – Stichwort Einkaufsstraßen – sehr restriktiv gegen bauliche Maßnahmen gewesen ist.



"Heute"
: Von den Mauern zu den Grenzen: Ist die Balkanroute wirklich dicht?

Sobotka: Ja, gar keine Frage. Wir hatten an manchen Tagen bis zu 15.000 Flüchtlinge pro Tag, heute sind es im durchschnitt 30. Aber wir haben eine neue Problemsituation, etwa über das Schwarze Meer. Zentrale Sorge ist aber Italien. Dort stehen 200.000 Migranten. Am Balkan stehen 60.000 bis 70.000.



"Heute"
: Ist das Schlepperproblem in den Griff zu bekommen?

Sobotka: Schlepper bewegen sich wie das Wasser: Wo der Druck geringer wird, beginnen sie, sich wieder zu bewegen. Durch unsere Schwerpunktkontrollen, die wir Ende August angeordnet haben, weil wir gesehen haben, dass die Zahlen leicht steigen gibt es jetzt im September wieder einen leichten Rückgang. Wo sie nur im entferntesten vom Druck weggehen, ist das ein fatales Signal an die Schlepper.

"Heute": Das heißt: Weiter Grenzkontrollen?

Sobotka: Solange die Mittelmeer-Route nicht zu ist oder sich andere Routen öffnen, müssen wir alle Möglichkeiten nutzen, unsere Grenzen zu schützen. Auch mit Schleierfahndung, auch mit automatischer Kennzeichenerfassung. Die müssen wir endlich bekommen.

"Heute": Kontrollen an allen Grenzen?

Sobotka: Es hat sich in der Kooperation mit Ungarn gezeigt, dass sehr schnell reagiert wurde. Jetzt haben wir dort fast keine Aufgriffe. Die Migranten kommen über Italien, Slowenien. Die Grenzen dort sind nicht in diesem Maße kontrolliert. Aber wir sehen ganz klar: Die Mittelmeer-Route ist der brandgefährlichste Ort, den es im Auge zu behalten gibt.

"Heute": Kanzlerin Merkel hat gesagt, Europa vertrage doppelt so viele Migranten.

Sobotka: Nein! Ganz einfach: Wenn man sich die Asylsuchenden bei uns ansieht, sieht man, dass 90 Prozent in die bedarfsorientierte Mindestsicherung einwandern. Das System jetzt ist randvoll. Österreich hat von 2014 bis 2017 die Hauptlast getragen. Unser System ist ganz einfach überfordert. Wir müssen einfordern, dass die anderen Staaten Europas diese Last auch tragen.

"Heute": Hilft der Wahlkampf in Deutschland, dass auf eine härtere Linie eingeschwenkt wird?

Sobotka: Seit ich im Amt bin, habe ich meine Linie nicht geändert. Was hat das Jahr 2015 ausgelöst? Verlust des Glaubens an die Rechtsstaatlichkeit, Verlust des Sicherheitsvertrauens. Wir brauchen endlich das Fremdenrechtspaket, dass wir die, die Österreich verlassen müssen, noch konsequenter zurückbringen. Und wir haben immer noch kein Sicherheitspolizeigesetz. Wir müssen den Grenzschutz so organisieren, dass wir wissen, wer kommt.

"Heute": Wie wahlentscheidend ist das Thema Migration?

Sobotka: Wenn ich den Menschen begegne, sagen sie: Bleiben Sie bei Ihrer Linie. Gestern in Innsbruck höre ich: Ich trau mich noch immer nicht, meine Töchter am Abend alleine heimgehen zu lassen – in Innsbruck!

"Heute": Wie sicher ist ein Start-Ziel-Sieg von Kurz am 15. Oktober?

Sobotka: Am 15. Oktober ist erst einmal der Wähler am Wort. Aber wir wissen natürlich auch, dass Rot-Blau einer sehr realistische Option ist.

"Heute": Ist Rot-Blau-Pilz eine Option?

Sobotka: Auch das. Aber für mich sind all diese Denkmöglichkeiten Ablenkungen vom Wesentlichen. Jetzt geht's darum, die Leute davon zu überzeugen, was man selber an den Tisch bringen möchte. Nur zu glauben, das ist jetzt schon gelaufen, reicht mit Sicherheit nicht!



"Heute":
Man hat das Gefühl, Sebastian Kurz genießt "Popstar"-Status. Was macht den Mythos Kurz aus?

Sobotka: Ich würde das nicht als Mythos sehen. Das ist eine gemeinsame Ausrichtung und seine klare Haltung.

"Heute": Wie erleben Sie ihn?

Sobotka: Er kann extrem gut zuhören, er kann auch extrem gut reflektieren. Und er hinterfragt Dinge sehr stark: „Stimmt etwas? Ist das richtig? Was hat das für Auswirkungen?" Ich würde trotzdem nicht sagen, dass er einen Popstar Status hat.

"Heute": Viele meinen, Kurz äußere sich im Wahlkampf zu wenig klar.

Sobotka: Ich finde das ja durchaus erfrischend, dass er sich nicht vor jede Kamera stellt und permanent reinlacht. Dann heißt es, er stelle sich nicht der Kamera! Man muss nicht in jedes Mikrofon sprechen, Inhalte sind da wichtiger. Man muss sich wieder die Zeit nehmen dürfen, über ein Thema auch nachzudenken, und nicht immer aus der Pistole geschossen eine Antwort auf alle Fragen zu haben.

"Heute": Tut Ihnen Kanzler Kern während des Wahlkampfes eigentlich manchmal leid?

Sobotka: Leidtun ist keine Kategorie in der Politik. Das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Ich habe jetzt auch nicht wirklich im Fokus, was er macht. Ich lese den Pressespiegel. Damit habe ich genug zu tun.

"Heute": Wird es nach der Wahl einen neuen Anlauf für das Sicherheitspaket inklusive WhatsApp-Überwachung geben?

Sobotka: Das Thema ist ja nicht vom Tisch: Es versteht einfach niemand! Das ist die selbe Analogie wie zur Rasterfandung, oder wie in den 90er Jahren bei der Handyüberwachung. Da hat man gesagt, das Handy darf man nicht überwachen, das Telefon schon. Ich brauche ja immer eine richterliche Genehmigung, eine staatsanwaltliche Anordnung und den begründeten Verdacht! 80% der Verbrecher kommunizieren über dieses Internetkanäle.

"Heute": Was hat verhindert, dass man hier auf einen rot-schwarzen Zweig kommt?

Sobotka: Wahlkampf!

"Heute": Benutzen Sie selber WhatsApp oder Skype?

Sobotka: Skype ganz gelegentlich, wenn ich mit meiner Tochter in Dubai telefoniere. Aus dem einfachen Grund, dass ich meine Enkelkinder sehen möchte. WhatsApp habe ich auch, benutze es gelegentlich.

"Heute": FPÖ-Chef Strache hat im ORF Sommergespräch eine Klage gegen Sie angedroht in der Causa türkische Doppelstaatsbürger. Ist die schon eingelangt?

Sobotka: Ich bin zumindest vom Gericht noch nicht in irgendeiner Form informiert worden. Ich bin sehr gerne bereit, mich auseinanderzusetzen. Aber die Klage halte ich wirklich für ein unpassendes Mittel, außer bei Ehrenrührigem.

"Heute": Sie gelten als Scharfmacher in der ÖVP und der Regierung. Muss man sich vor ihnen wirklich fürchten?

Sobotka: (lacht) Schauen Sie selbst! Natürlich ist es so: Man kriegt einen Stempel aufgedrückt. Dass ich klare Worte finde, ist nicht unbekannt. Dass das manchmal polarisiert, nehme ich auch noch zur Kenntnis. Aber ich bin sicher für die, die mich kennen, kein Scharfmacher.

"Heute": Zum Abschluss noch ein kurzer Wordrap. Bitten um möglichst kurze Antworten. Auf ein Bier mit Christian Kern?

Sobotka: Ich bin kein Biertrinker! Ich trinke gerne ein Glaserl Wein.

"Heute": Auf ein Glaserl Wein mit Kern?

Sobotka: Ja, wenn es ein guter ist!

"Heute": Auf einen Kaffee mit Peter Pilz?

Sobotka: Kaffee trinke ich gerne, egal mit wem.

"Heute": Auf eine "Auszeit" ins Kloster mit Matthias Strolz?

Sobotka: Auszeit ins Kloster ja, aber das heißt auch zu sich selbst kommen!

"Heute": Das heißt Auszeit ja, aber ohne Matthias Strolz?

Sobotka: Matthias Strolz ansonsten ja, aber nicht im Kloster

"Heute": Die Grünen sind für mich …

Sobotka: Eine Partei, die in Hainburg gegründet wurde und jetzt um ihre Identität kämpft.

"Heute": Lieber Schwarz-Rot oder Schwarz-Blau?

Sobotka: Das, wo man auch seine Überlegungen am besten auf eine gemeinsame Basis stellen kann.

"Heute": Quereinster?

Sobotka: Bereicherung!

"Heute": Erwin Pröll?

Sobotka: Ein politisches Vorbild.

"Heute": Am Tag nach der Wahl?

Sobotka: Nach der Wahl ist vor der Wahl!

"Heute": Wenn Sie nicht mehr Minister sind?

Sobotka: Dann mache ich wieder etwas anderes!

"Heute": Schon Ideen, was?

Sobotka: Das wird die Zeit zeigen!

(mat)