Gesundheit
Lockdown bringt Kinder in die Psychiatrie
Österreich befindet sich mittlerweile im dritten Lockdown und es ist kein Ende in Sicht. Währenddessen platzt die Kinderpsychiatrie aus allen Nähten.
Seit bald einem Jahr befinden sich viele Kinder und Jugendliche aus Österreich fast schon dauerhaft im sogenannten Home Schooling. Soziale Kontakte? Die gibt es in der Regel nur über Medien - oder eben gar nicht. Ein großes Problem, wie die Kinder- und Jugendpsychiatrien des Landes Alarm schlagen.
"So viele suchen derzeit unsere Hilfe", sagt Prof. Andreas Karwautz, Leiter der Ambulanz für Essstörungen im Kindes- und Jugendalter am Wiener AKH, gegenüber "Heute". Im ganzen Land sei ein erhöhter Zulauf und ein klarer Zusammenhang mit den derzeit verschärften Bedingungen festzustellen. Direkt nach den Depressionen mit suizidalen Krisen würden vermehrt Essstörungen vorkommen. Hier seien laut Karwautz vor allem Mädchen und junge Frauen im Alter zwischen 11 und 18 Jahren betroffen.
Langfristig psychische Schäden
Die psychischen Schäden aufgrund der Schulschließungen hätte man bisher weit unterschätzt: "Ein paar Wochen ohne Schule hat noch niemandem geschadet, aber mittlerweile sind wir bei einem Jahr." In den Gesprächen mit den Kindern und Jugendlichen hätten sich vor allem die fehlenden sozialen Kontakte und der fehlende Freiraum als großes Problem herauskristallisiert. "Manche sind privilegiert und haben ihr eigenes Zimmer, viele aber nicht. Sie sitzen zu Hause neben ihren Eltern, die sich gleichzeitig im Home Office befinden." Eine Situation, die sich stark auf die Autonomie, den Ablösungsprozess und den Selbstwert auswirkt.
Gerade Anorexie-Patienten würden ohnehin schon unter einem oft sehr schwachen Selbstwertgefühl leiden und hätten auch ohne Lockdown ihre Probleme bei der sozialen Integration. Die derzeitige Home-Schooling-Situation würde diese bereits bestehenden Probleme noch verstärken. "Jugendliche sind hier schnell an ihrem Limit", so der Professor.
Ein Alarmzeichen sei für Karwautz auch, dass selbst gesunde Jugendliche unter dem derzeitigen Druck mittlerweile die unterschiedlichsten Ticks und Zwänge entwickeln würden. "Die Kinder flehen inzwischen sogar: 'Bitte, darf ich wieder in die Schule gehen.' Wann gab es so etwas zuletzt?", fragt Karwautz. Wichtig sei es, endlich auch das seelische Leid der Jugend zu priorisieren und nicht mehr hinten anzustellen: "Anorexie ist eine echte Krankheit, die tödlich sein kann!"
Immer ein offenes Ohr anbieten
Abwenden oder erkennen könne man eine drohende oder bereits bestehende Essstörung nur mit einem offenen Ohr und indem man hinsieht. "Sich Sorgen zu machen legt schon einmal den Grundstein", erklärt der Experte. Redet die betroffene Person nicht mehr mit einem, zieht sich zurück und hält sich nur in den Medien auf, sei das ein Alarmzeichen. "Machen Sie Gesprächsangebote und sollte Ihnen etwas merkwürdig vorkommen, dann sprechen Sie die Person direkt darauf an."
Klarerweise könnte daraufhin eine Verneinung oder gar Ablehnung kommen. Aber an diesem Punkt heißt es dann, nicht locker lassen und immer wieder das Gespräch suchen.