Politik
"Es ist deutlich kälter in Österreich geworden"
Die neue SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner benotete im "Heute"-Talk die bisherige Arbeit der türkis-blauen Regierung und stand Rede und Antwort zu sozialen Fragen.
"Heute":Wie bewerten Sie die Regierungsarbeit der letzten 12 Monate?
Rendi-Wagner: "Es ist in Österreich deutlich kälter geworden, der soziale Ausgleich hat in den letzten 12 Monaten gelitten, ein gravierender Sozialabbau hat stattgefunden. Da waren der Kältekanzler Kurz und sein Gehilfe Strache am Werk."
Was genau meinen Sie?
"Die Regierung sucht nicht mehr den Dialog mit Betroffenen, etwa mit ArbeitnehmerInnen, PatientInnen, Versicherten, oder den fast 900.000 Menschen, die für das 'Don't smoke'-Volksbegehren, bzw. fast eine halbe Million, die für das Frauenvolksbegehren unterschrieben haben. Stattdessen setzt sie sich über diese Menschen, über die ExpertInnen und über das Parlament hinweg."
Kürzlich gab es Wirbel um den "Horizontale"-Sager des designierten Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer. Wie sexistisch darf ein Politiker sein, bis Sie ihn persönlich feuern?
"Ich werde immer Sexismus bekämpfen, egal ob innerhalb der SPÖ oder außerhalb. Auch in diesem Fall habe ich sofort Konsequenzen gezogen: Wenn Dornauer als neuer Landesparteivorsitzender gewählt wird, darf er nicht, wie sonst üblich ist, stellvertretender Bundesparteivorsitzender werden. Damit wird er auch nicht Mitglied im Bundesparteipräsidium bzw. im Vorstand. Das sind die zwei höchsten Gremien nach dem Parteitag, wo bundesparteiliche Entscheidungen gefällt werden. Das war eine harte und klare Entscheidung.
Der Rest wird im Landesparteivorstand entschieden."
Die SPÖ hat sich vehement gegen die Arbeitszeitflexibilisierung (12-Stunden-Tag) eingesetzt. Ist diese Haltung nicht auch ein bisschen Angstmache?
"Die SPÖ steht ganz klar für eine moderne Arbeitszeitenregelung, und deswegen werden wir uns auch nicht grundsätzlich gegen eine Flexibilisierung wehren, solange es nicht zum Nachteil der ArbeitnehmerInnen ist. Dieses Gesetz ist aber zum einseitigen Vorteil der Arbeitgeber und zum Nachteil der ArbeitnehmerInnen, weil es erstmals das Mitspracherecht der Personalvertretung bzw. des Betriebsrats aushebelt. Betriebsvereinbarungen legen fest, was ArbeitnehmerInnen aus gesundheitlichen Gründen zusteht: Freizeitblöcke, Erholungsblöcke. In diesem Gesetz sind zwar längere Arbeitszeiten, nicht aber klar definierte Freizeitblöcke festgelegt."
Die SPÖ lag in einer aktuellen, von "Heute" in Auftrag gegebenen Umfrage bei der Sonntagsfrage um 3 Prozent unter den Werten vom September. Bei der Direktwahl des Bundeskanzlers würden Sie um 6 Prozent unter Ihrem Vorgänger, Christian Kern, liegen. Woran liegt das?
"Christian Kern war 1,5 Jahre lang Kanzler und hat deshalb auch das Standing eines Bundeskanzlers gehabt. Was die Sonntagsfrage betrifft, so sehen wir uns seit der letzten Nationalratswahl stabil. Kleinere Schwankungen in den Umfragewerten sind dabei normal.
Jedoch man sieht: Die FPÖ verliert deutlich an Zuspruch. Das bestätigt, dass die Menschen schon sehen, dass es hier eine gespielte Harmonie in der Regierung gibt, die auf Kosten des Landes geht. Strache ist froh, Vizekanzler zu sein und geht hier mit der ÖVP gerne mit, auch wenn diese einen rücksichtlosen Sozialabbau vorantreibt."
Experten, die dem SPÖ-Vorstoß zur Streichung der Mehrwertsteuer auf Mieten prinzipiell zustimmen, warnen davor, dass diese Reform nur ein "Tropfen auf den heißen Stein" wäre. Wie kann man den steigenden Mietpreisen noch effektiv entgegenwirken?
"Mit dem Wegfall der Mietensteuer erspart sich ein Haushalt eine Monatsmiete pro Jahr, das ist kein Tropfen auf dem heißen Stein, sondern viel Geld. Unser Gesamtpaket sieht neben der Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Mieten etwa vor, dass in Zukunft die Vermieter die Maklergebühr tragen sollen."
Sie fordern mehr Personal, um die Integrationsbemühungen in der Schule voranzutreiben. Was für Maßnahmen bräuchte es noch?
"Integration beginnt im Kindergarten und Volksschule. Wir sollten das Personal entsprechend ausbilden. Vor allem in sogenannten Brennpunktschulen sollten Kinder aus bildungsfernen Schichten von Anfang an dieselben Bildungschancen haben. Solche Schulen brauchen auch unterstützendes Sozialpersonal. Da fehlen insgesamt rund 5.000 entsprechende LehrerInnen."
Wie wollen Sie die unterschiedlichen "Flügel" innerhalb der SPÖ befrieden?
"Wir müssen eine Politik der Vernunft betreiben. Ich lasse mich in keine Schublade stecken, weder in eine linke noch in eine rechte.
Der Parteitag in Wels war für viele ein notwendiger Wendepunkt. Wir sind eine Partei mit vielen verschiedenen Strömungen und neun Landesorganisationen. Aber im Mittelpunkt müssen immer die Menschen stehen. Für die haben wir eine gute Politik zu machen."
Wurde die SP-Bildungsreform endgültig abgeschafft?
"Was die Regierung hier macht, ist schon ein starker Rückschritt in die 70er- und 60er-Jahre. Die Schulkinder machen vielleicht nur 15 Prozent unserer Bevölkerung aus, aber sie sind 100 Prozent unserer Zukunft. Diesen Kindern müssen wir ein modernes, zukunftsorientiertes Bildungssystem bieten."
Sie kritisieren den VP-FP Familienbonus als "ungerecht", da Besser-Verdiener mit größeren Beiträgen rechnen dürften. Ihre Alternative?
"Jedes Kind muss uns gleich viel wert sein! Da darf es einfach keine Unterschiede geben, was die Familienbeihilfe, oder die Auszahlung der Mindestsicherung betrifft. Bei beiden Maßnahmen ist das der Fall. Wir brauchen bei der Mindestsicherung eine verfassungskonforme Lösung, die garantiert, dass wir Kinderarmut in Österreich verhindern."
Die EU-Wahl im kommenden Mai gilt als Ihre erste Bewährungsprobe als neue SPÖ-Chefin. Was sind Ihre Ziele und wie wollen sie dem zu erwartenden Rechtsruck auf EU-Ebene entgegenwirken?
"Die EU-Wahl ist auch ein wichtiger Gradmesser für die Regierung. Wir haben ein klares Bekenntnis zu Europa, aber Europa muss sozialer und gerechter werden, etwa im Bereich der Digitalisierung. Es kann nicht sein, dass jede(r) ArbeitnehmerIn jeden Monat Einkommens- und Lohnsteuern zahlen muss, während große Unternehmen wie Google, Facebook oder Amazon hier Milliarden machen, weil sie hier wenig bis gar keine Steuer zahlen müssen, obwohl sie hier Milliardengewinne erwirtschaften. Ich spreche von einer Digitalisierungsteuer auf EU-Ebene. Das wäre übrigens eine Chance beim österreichischen EU-Ratsvorsitz gewesen. Die Digitalsteuer ist aber ebenso vertagt worden, wie die Finanztransaktionsteuer. Auch das ist eine Fehlentwicklung.
Rechtspopulismus ist etwas, dass sich nach der Flüchtlingssituation 2015 in Europa stark entwickelt hat. Im Moment rücken Europas Regierungen immer mehr nach rechts und auch aus einer Partei der politischen Mitte, wie der ÖVP, ist eine Rechtspartei geworden. Das sind Fehlentwicklungen in Europa, denen wir entgegenstehen werden."