Politik

Mindestsicherungs-Bezieher zeigen ihr Budget

Die neue Mindestsicherung sorgt für hitzige Debatten. Drei Betroffene gewähren "heute.at" Einblick in ihre Finanzen.

Heute Redaktion
Teilen

Die hitzigen Debatten über die Neuerungen in Sachen Mindestsicherung reißen nicht ab. Wir haben uns umgehört und bei Beziehern der Mindestsicherung nachgefragt, wie sie ihren Alltag meistern.

Herr K., 63 Jahre, vier Kinder

"Wer von sozialer Hängematte spricht, hat keine Ahnung", sagt dazu der 63-jährige Wiener Herr K., der vier Kinder hat und aufgrund seines Alters seit zehn Jahren keinen Job findet.

Der Wiener war zuvor über 20 Jahre lang selbstständiger Großhandelskaufmann. Nachdem er seinen Job los war, ging es bergab. "Ab 55 Jahren findet man keine Arbeit mehr", klagt der 63-Jährige. Von seinen vier Kindern sind zwei schon erwachsen, die anderen beiden leben aber noch im gemeinsamen Haushalt.

Ein Sohn, der gerade eine Lehre absolviert und die jüngste Tochter (3) muss Herr K. mit seiner Lebensgefährtin versorgen. Auch sie hat keine Arbeit, bekommt allerdings keine Mindestsicherung, weil sie aus dem EU-Ausland stammt.

"Weihnachten fällt bescheiden aus"

"Für jemanden, der gut situiert ist, ist es nicht vorstellbar, wie man mit dem Geld auskommen kann. Denn mit 300 Euro gehen andere Leute zwei Mal essen. Ohne Sozialmarkt und Caritas würde ich noch schlechter über die Runden kommen. Am Wichtigsten ist es, mit den Fixkosten nicht in Rückstand zu kommen", erklärt K.

Während andere Leute sich jetzt in der besinnlichen Adventzeit auf den Besuch von Christkindlmärkten freuen und sich mit der Besorgung von Weihnachtsgeschenken für die Liebsten beschäftigen, kann sich das K. nicht leisten. "Auch kleine Freuden sind ein Luxus: 3,50 Euro für einen Punsch am Christkindlmarkt sind nicht drinnen. Weihnachten fällt immer bescheiden aus. Ich kaufe Geschenke auch am Flohmarkt."

Herr K. erhält die Mindesstsicherung und Familienbeihilfe – damit kommt er auf 1.240 Euro im Monat, wovon allerdings allein für die Fixausgaben (ohne Lebensmittel)schon zwei Drittel draufgehen.

- 560 Euro Miete

- 100 Euro Strom/Gas

- 30 Euro Kommunikation

- 150 Euro Kindergarten

- 18 Euro Mobilpass

sind: 858 Euro an Fixkosten

Somit bleiben noch 382 Euro über, um eine vierköpfige Familie zu ernähren. Das sind noch nicht einmal 13 Euro am Tag. Abgesehen von den Lebensmitteln müssen damit noch andere lebenswichtige Dinge wie Hygieneartikel oder Kleidung finanziert werden.

Sandra K., 38 Jahre, zwei Kinder

Sandra K. (38) hat es nicht leichter. Sie muss alleine zwei Kinder versorgen. 944,84 Euro bekommen die 38-Jährige und ihre zwei Kids derzeit, hinzukommen Familienbeihilfe und Unterhaltszahlungen. Wohl fühlt sie sich dabei nicht. "Ich bekomm jetzt schon so lange so viel Geld vom Staat, da hab ich ein schlechtes Gewissen." Eine Alternative hat sie aber auch nicht. Seit dem Bachelor-Abschluss ihres Studiums ist sie arbeitslos und seit einem Dreiviertel Jahr so krank, dass sie es an manchen Tagen keine halbe Stunde ohne Hinlegen schafft. Vorstellungsgespräche sind deshalb, zumindest im Moment, illusorisch. Tatsächlich gelingt es Sandra oft nicht einmal, ihren fünfjährigen Sohn aus der Kindergruppe abzuholen, dann schickt sie ihre 15-jährige Tochter.

Dabei könnte alles noch viel schlimmer sein, wie sie selbst sagt. Sandra lebt mit ihren Kindern in der Wohnung der Eltern, für die sie nur insgesamt 350 Euro Miete zahlt. Eine Mietwohnung am freien Markt? "Das wäre eine Katastrophe!" Und auch für andere größere Anschaffungen ist sie auf die Mithilfe der Familie angewiesen. Wünscht sich die Tochter besondere Schuhe, wird zu Weihnachten zusammengelegt. Die Sprachreise kostet 1.350 Euro. "Da müssen alle Omas mithelfen, sonst schaff ich das nicht."

"Da schäm' ich mich"

An größeren Urlaub ist nicht zu denken, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie das Land nicht verlassen kann, ohne die Mindestsicherung zu verlieren. Sandra schämt sich, das Gefühl kennt auch ihre 15-jährige Tochter. Die Freundin aus einer Architektenfamilie wollte sie nicht zu sich nach Hause einladen, weil sie deren tolles Haus kennt. "Mama, da schäm ich mich."

Geplant war das so natürlich nicht. Sandra hatte nach der Handelsschule mehrere Jahre in Bürojobs gearbeitet, hielt es in diesem Beruf aber nicht mehr aus. Während der Karenzzeit mit ihrer Tochter machte sie die Berufsreifeprüfung und arbeitete danach noch einige Jahre. Schließlich beantragte sie ein Selbsterhalterstipendium und begann mit dem Studium, das sie kurz nach der Geburt ihres Sohnes mit dem Bachelor abschließen konnte. Mit ihrem Partner war vereinbart, dass sie sich die Karenzzeit teilen, sie ihr Masterstudium weiterführt und dafür auf ihr Stipendium verzichtet.

Es kam anders. Der Vater zog nach einem Jahr aus und ihr Sohn war in den ersten zwei Jahren so oft krank, dass sie kaum Univeranstaltungen schaffte. Dazu kamen erste Symptome ihrer eigenen Krankheit. "Da war ich lange blockiert, körperlich und psychisch am Ende." Und mit 35 Jahren war sie schließlich auch zu alt für das Selbsterhalterstipendium.

Damit ein Job, von dem sie ihre Familie ernähren kann, in Frage kommt, müsste Sandra zunächst gesund werden. Doch alleine die Diagnose ihrer Krankheit war ein monatelanger Hürdenlauf. Über vier Monate hätte Sandra auf einen Termin zur Abklärung ihrer Krankheit bei einem Facharzt in einem Wiener Spital warten müssen. "Mir ist es aber immer schlechter gegangen, da haben meine Eltern gesagt, sie geben mir zu Weihnachten Geld für einen privaten Arzt." Und dieser hat die notwendigen Untersuchungen dann erstaunlicherweise innerhalb von zwei Wochen organisieren können. Wer wenig Geld hat merkt schnell, wo die Defizite in unserem Gesundheitssystem liegen.

"Der soziale Status ist ein Wahnsinn"

"Was mich aber am meisten an der Mindestsicherung stört ist das Hängematte-Klischee. Für mich ist es psychisch ziemlich belastend – die Abhängigkeit und Rechtfertigungsspirale." Sätze wie: "Was bist du für ein Vorbild für deine Kinder?" seien keine Seltenheit. Auch die private Abhängigkeit macht ihr zu schaffen und "der soziale Status ist ein Wahnsinn." Ihr Umfeld würde sich "mitschämen" und "zum Teil G'schichtln für die Verwandtschaft erfinden."

"Ich bin die einzige in meinem Freundeskreis, die so lange schon Mindestsicherung bezieht. Bei einigen bin ich schon in der Kategorie Sozialschmarotzer gelandet." Trotzdem will sich Sandra nicht unterkriegen lassen. Für sich und ihre Kinder wünscht sie sich allen voran eines: Gesundheit! Außerdem hofft sie, dass sie ihr Studium abschließen kann und einen guten Job findet. Sie würde ihre Kinder gerne in bessere Schulen schicken können, "wo sie kreativer sein können, im Garten buddeln." Und die Freiheit über ihr Leben zu bestimmen. "Die Kinder ins Auto packen und einfach losfahren können, auch über die Grenzen hinaus, ohne jemand Rechenschaft ablegen zu müssen."

Frau M., 22 Jahre, zwei Kinder

Auch der Fall von Frau M. sorgt für Kopfschütteln. Die 22-Jährige zeiht alleine zwei Töchter im Alter von sechs und einem Jahr groß. "Ich gebe fast kein Geld für mich aus, ich möchte nur, dass es meinen Kindern gut geht." M. hat eine Ausbildung zur Zahnarztassistentin gemacht, die sie nach der Geburt ihres zweiten Kindes allerdings abbrechen musste.

Auch M. bezieht die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Alleine fürs Wohnen gehen rund 580 Euro (450 Euro für Miete, 130 für Heizung/Strom) drauf. Dazu kommen noch 75 Euro an Schulkosten, 35 Euro fürs Handy, 18 Euro für die Wiener Linien. Das alleine sind zusammengerechnet schon knapp 710 Euro. Geld für Kinderbetreuung und Lebensmittel/Kleidung/etc. wurden in diese Rechnung aber noch nicht miteinbezogen.

"Ziel der Hilfe in den Mittelpunkt rücken"

Seit Oktober gelten für die Mindestsicherung in ganz Österreich neue Regeln. So erhält eine Einzelperson maximal 863,04 Euro/Monat. Bei schlechten Deutsch- oder Englischkenntnissen, mangelnder Integration oder bei Fehlen eines Pflichtschulabschlusses wird die Leistung um 300 € auf 563 € gekürzt. Für Familien gibt es gestaffelte Beiträge – Eltern mit vielen Kindern erhalten weniger Geld.

+++ Die Details zur neuen Regelung finden Sie hier. +++



"Wer arbeiten geht, darf nicht der Dumme sein", begründete die Regierung die Änderungen. Die Reform sei "nur gerecht".

Menschenrechtsorganisationen kritisierten die Änderungen derweil scharf. "Bedarfsorientierte Mindestsicherung muss eine Absicherung in finanziellen Notlagen bieten – nach menschenrechtlichen Kriterien und unter Berücksichtigung unabdingbarer Rahmenbedingungen. Es wird Zeit, dass das Augenmerk der Diskussion nicht mehr auf Neidaspekte gelegt wird, sondern wieder das grundsätzliche Ziel der Hilfe in den Mittelpunkt rückt", sagt Norbert Krammer, vom VertretungsNetz – Sachwalterschaft, zu "heute.at".

Anmerkung: Der Konakt zu Sandra K. wurde von "pro mente Wien – Gesellschaft für psychische und soziale Gesundheit" vermittelt, die anderen beiden Betroffenen von der Caritas.

(ek)