Politik
Kürzungen treffen längst nicht nur Zuwanderer
Die Mindestsicherung neu ist in aller Munde. Während die Regierung Besserstellungen (v.a. für Alleinstehende) anpreist, läuten bei Experten die Alarmglocken.
Die Regierung verspricht mit der Reform der Mindestsicherung einen Rückgang der Arbeitslosigkeit, Kritiker hegen allerdings Zweifel. Die größte Sorge von Opposition und Organisationen wie "SOS Mitmensch" ist, dass die Neuerungen zu einem Anstieg von (Kinder)Armut führen.
Beispiele (in der Fotostrecke) zeigen: Neben Kindern bzw. Großfamilien, treffen die Kürzungen allen voran Personen ohne Pflichtschulabschluss bzw. unzureichenden Deutschkenntnissen. Dass die Regierung damit darauf abzielt, "Zuwanderer" schlechter zu stellen, ist kein Geheimnis – aber: zumindest rund 60.000 österreichische Bezieher der Mindestsicherung besitzen keinen Pflichtschulabschluss.
+++ Details zur neuen Regelung hier +++
Diese Zahl der potenziell betroffenen Einheimischen sei laut Angaben von Mario Steiner vom Institut für Höhere Studien (lesen Sie mehr hier >>>) sogar noch die Untergrenze. So habe es im Sommer 2,7 Prozent Schüler mit deutscher Umgangssprache gegeben, die als höchsten Bildungsabschluss die Primarstufe vorweisen. Das seien hochgerechnet etwa 120.000 Menschen.
"SOS Mitmensch" reagiert in einer Aussendung mit "sieben Richtigstellungen" zur Mindestsicherung neu.
Hier die "sieben Fehler":
Nicht nur arbeitslose und nicht arbeitsfähige Personen verlieren durch die Kürzung der Mindestsicherung teilweise massiv, sondern auch arbeitende Menschen und PensionistInnen, die bisher ihr Einkommen auf die Höhe der Mindestsicherung aufstocken konnten.
Elternpaare mit mehreren Kindern verlieren spätestens ab dem dritten Kind in allen Bundesländern dramatisch, und zwar unabhängig von der Staatsbürgerschaft.
Auch Paare ohne Kinder verlieren erheblich – in Wien bis zu 1.036 Euro im Jahr, wenn sie einen Pflichtschulabschluss bzw. Sprachnachweis haben, und bis zu 8.236 Euro im Jahr ohne Pflichtschulabschluss bzw. Sprachnachweis.
Auch alleinstehende Erwachsene mit Pflichtschulabschluss verlieren in einigen Bundesländern – in Oberösterreich beispielsweise bis zu 700 Euro im Jahr, wie die Arbeiterkammer Oberösterreich berechnet hat.
Alleinerziehende erhalten nur dann eine Spur mehr als bisher, wenn sie Pflichtschulabschluss bzw. Sprachnachweis haben und wenn sie nicht mehr als zwei Kinder haben, andernfalls verlieren auch sie teils dramatisch.
Menschen mit Behinderung bekommen nur dann mehr als bisher, wenn sie Pflichtschulabschluss haben bzw. einen Sprachnachweis erbringen können.
Wer glaubt, die von der Regierung geplanten Kürzungen würden nur "Zugewanderte" treffen, irrt gewaltig. Frauen, Männer und Kinder, die noch keine Möglichkeit hatten, gut Deutsch zu lernen und einen Sprachnachweis zu erbringen, werden zwar besonders hart getroffen, aber es trifft auch fast alle anderen Bezugsgruppen, teilweise sogar dramatisch.
Geringverdiener in Gefahr
Auch von der Diakonie Österreich kommt scharfe Kritik. Direktorin Katharina Moser meint dazu: "Zwischen einem niedrigen Einkommen und der Mindestsicherung für eine Familie z.B. mit drei Kindern liegt nur der schmale Grat des Arbeitsplatzverlustes."
Die Kürzungen würden vor allem dem "fleißigen Geringverdiener" schaden, nicht dem "faulen Mindestsicherungsbezieher", wie es die Regierung verkaufen wolle. "Verliert ein Familienvater mit drei Kindern und einem geringen Nettoeinkommen seinen Arbeitsplatz, bekommt er Arbeitslose. Die ist so niedrig, dass er Anspruch auf Aufstockung aus der Mindestsicherung hat – vorausgesetzt er hat kein Sparbuch, keine Eigentumswohnung, keine Lebensversicherung. Wird die Mindestsicherung für kinderreiche Familien gesenkt, schadet das genau dem viel zitierten fleißige Geringverdiener mit Kindern, für den die Bundesregierung mehr Fairness verlangt. Das ist weder fair noch gerecht."
Unionsrechtliche Bedenken
Abgesehen davon haben einige Experten Bedenken, dass die Neuregelungen verfassungsrechtlich nicht wasserdicht sind. Der EU-Rechtler Walter Obwexer geht einem "Presse"-Bericht zufolge davon aus, dass die Änderungen mit dem Unionsrecht vereinbar seien. Denn wenn das gestrichene Geld wie angekündigt für Arbeitsqualifizierung (etwa Deutsch-Kurse) verwendet werde, ziele das immerhin darauf ab, dass die Betroffenen bald in der Lage sein sollen, die Vorgaben zu erfüllen und somit einen hunderprozentigen Anspruch erreichen können.
(red)