Die neue Audiostrategie im ORF
Wissen die Jungen nicht mehr, was Radio ist?
Die Zeiten, in denen das Leben immer nur ein Hit war und Ö1 einfach nur gehört gehörte, gehört der Vergangenheit an. Das plant der ORF für 2024.
Der ORF feiert nächstes Jahr 100 Jahre Radio in Österreich: Am 30.September 1924 nahm die RAVAG, die Österreichische Radio-Verkehrs AG, der Vorläufer des ORF, ihren Sendebetrieb auf. "Auch nach 100 Jahren ist Radio so wichtig und relevant wie noch nie", erklärt ORF-Generaldirektor Roland Weissmann bei der Präsentation der Audiostrategie des Konzern 2024 vor Journalisten, "die ORF-Radios erreichen jeden Tag 4,7 Millionen Menschen." Weißmann betont auch gleich, dass die ORF-Radios - in der Zielgruppe ab zehn Jahren - einen gemeinsamen Marktanteil von knapp 65% haben. "Es ist für uns aber nicht der Zeitpunkt sich hinzusetzen, Ingrid Thurnherr hat einen großen Strategieprozess aufgesetzt."
"Sie kennen in ihrem Umfeld auch sicher Jugendliche, die nicht mehr wissen, was mit Radio gemeint ist, "erklärt die frühere ZIB-Moderatorin und seit 2022 Radiodirektorin Ingrid Thurnherr, "an sie müssen wir denken, wenn wir über eine neue Audiostrategie nachdenken." Dafür hatte sich Thurnherr in den letzten Monaten immer wieder mit 50 Radiomachern von allen zwölf Sendern des ORF (Ö1, Ö3, FM4 und den Regionalradios) zusammengesetzt. Herausgekommen ist eine Analyse des Ist-Standes und ein Marschplan für die Zukunft: "Wir haben unsere zwölf Radiosender, das hat sich auch mit dem neuen ORF-Gesetz nicht geändert und mit diesen zwölf Sendern und unseren digitalen Angeboten versuchen wir, das Radiopublikum umfassend zu erreichen und die Flotte so zu positionieren, dass es keine Lücken gibt." Das bedeutet aber auch, Doppelgleisigkeiten, wie es sie im Musikbereich, aber auch redaktionell gibt, zu vermeiden. "Es wird regelmäßige Abstimmungen in der Flotte geben", erklärt Thurnherr, "also zwischen den nationalen Wellen und den Landesstudios, die vor allem die Musikstile abstimmen und die Wort-Abstimmung garantieren sollen." Auf diese Idee hätte man natürlich schon vor dem Ablauf von 100 Jahren kommen können. Weißmann relativiert: "Wären die Radios nicht in der Vergangenheit schon gut aufeinander abgestimmt gewesen, wären wir nicht im Radio die Nummer 1…"
Ö1 bekommt einen neuen Tagesmoderator, der aber wohl sehr lange arbeiten muss…
"Ö1 wird sein Programm etwas klarer strukturieren", meint die Direktorin, "es gab ja einige Programme die freischwebend waren. Die werden dann so zusammengefasst, dass wir sie auch gut zum Nachhören bereitstellen können." Neben einem überschaubareren Tagesablauf, soll es auch ein tatsächliches Novum geben: "Wir werden bei Ö1 eine Tagesmoderation einführen, die dafür sorgen soll, dass die Hörer einen Gastgeber "empfinden", jemanden, der einen durchs Programm begleitet." Wer diese Tagesmoderatoren sein können, wollte Thurnherr noch nicht verraten, meint aber, dass es "bekannte Ö1-Stimmen" wären. Angesprochen darauf, dass das durchaus längere Arbeitszeiten für diese Moderatoren wären, meint Thurnherr nur "da sind ja lange Pausen dazwischen."
Bei Ö3 wird es kaum große Änderungen geben, aber die Konkurrenz schläft nicht!
Bei Ö3 scheint im Moment keine größere Baustelle geplant zu sein. Die neuen Formate wie "Frag das ganze Land - Der Ö3-Nighttalk", "Knoll packt an" oder die Podcasts "Kratky sucht das Glück…" und "OFF Records" sind bereits schon on air und sollen das Radioprogramm näher an seine Hörer rücken. "Ö3 ist der große wichtige Sender in der Mitte der Gesellschaft", meint Thurnherr, "Ö3 sitzt ganz genau in der Mitte der Altersstruktur, der Verteilung männlich/weiblich und deckt den Markt perfekt ab und soll dort auch seine Wirkung entfalten." Gleichzeitig war Ö3 in den vergangenen Jahren stärker und wurde zuletzt auch bei den Hörerzahlen vom Radioverbund RMS überholt. "Da haben wir es aber mit dutzenden Sendern zu tun, die gegen einen kämpfen", verteidigt Weißmann seine ORF-Cashcow Ö3.
FM4 ist zwar jünger als Ö3, aber im Moment zu weiblich. Hier kommen neue Online-Angebote.
FM4 soll ab Anfang 2024 jünger und digitaler werden: "FM4 ist jünger als Ö3, stark männlich bedient, aber ganz andere Milieus. Wenn wir sehen, dass das Angebot bei FM4 jetzt stärker männlich ist, dann nehmen wir wahr, dass wir in der weiblichen, jüngeren Zielgruppe offensichtlich eine Versorgungslücke haben. Und die können wir möglicherweise über andere Kanäle füllen." Und damit meint Thurnherr erweiterte Angebote online. Nach dem neuen ORF-Gesetz, das am 1. Jänner 2024 in Kraft tritt, darf der ORF im Gegensatz zu den Privatsendern weiter keine reinen Online-Programme umsetzen.
„Warum braucht es neun Musikredaktionen in neun Bundesländern?'“
Bei Regionalradios soll es ab Jänner 2024 auch zu verstärkten Abstimmungen kommen und dass soll zu Synergien führen. "Manche Dinge muss nicht jedes Landesstudio für sich selber noch einmal produzieren", stellt Ingrid Thurnherr klar, "die können auch von einem Landesstudio produziert werden und alle anderen Studios greifen zu. Hausnummer, es wird der neue Kandidat für den Song Contest vorgestellt und der kommt aus der Steiermark, dann macht die Steiermark ein großes Radioporträt und stellt es allen anderen Landesstudios zur Verfügung. Es muss nicht jeder alles noch einmal machen." "Man könnte natürlich auch argumentieren 'Warum braucht es neun Musikredaktionen in neun Bundesländern?'", meint Roland Weissmann dazu und erklärt es auch sofort: "Die Musik ist individuell und auf das Publikum jeweils zugeschnitten. In der Musik bleibt es auch individuell, aber bei ein und dem anderen Beitrag reicht es, wenn man es einmal für alle produziert."
Eine größere Bedeutung soll auch das vor einigen Monaten etablierte ORF-Audioportal Sound bekommen. Abgesehen von Livestreams der aktuellen Programme und dem Nachhören einzelner Sendungen, plant Thurnherr für Sound auch zwei neue Angebote: "Wir wollen Liveübertragungen anbieten, etwa von Parlamentsübertragungen bis zu Sportevents und Konzertübertragungen wie vom Donauinselfest." Außerdem soll es Sound 2024 auch Playlists geben: "Unsere Antwort auf den Umstand, dass wir auf unsere 12 Radiosender beschränkt wird lauten: Wir machen den Leuten ein großes Musikangebot und können dort auch Musikstile positionieren, die sonst keinen Platz finden."
„Wenn es wirklich mal soweit ist, dass wir unsere Meinung geändert haben, sagen wir es rechtzeitig…“
Im Gegensatz zu den meisten anderen Sendern des Landes, setzt der ORF weiter nur auf die analoge Verbreitung seiner Radiosignale und nicht auf das bereits etablierte "Digital Audio Broadcasting", kurz DAB/DAB+: "Wir evaluieren das wirklich regelmäßig. Wenn es wirklich mal soweit ist, dass wir unsere Meinung geändert haben, sagen wir es rechtzeitig", meint ORF-Chef Weißmann. "Natürlich bewegen wir uns, es ist jetzt noch nicht der Zeitpunkt zu sagen. Vielleicht kommt bald einmal Bewegung ins Spiel. Jetzt versäumen wir mal sicher nix!"
ORF-Chef Weißmann wünscht seiner Konkurrenz viel Glück und freut sich auf "guten Wettbewerb"
Dass mit dem ehemaligen Ö3-Chef Georg Spatt jetzt ein ehemaliger Verbündeter federführend beim größten Ö3-Konkurrenten Kronehit sitzt, sieht Weissmann überraschend gelassen. "Spatt? Wer ist das", scherzt Weissmann, "wir sind mit Georg Spatt in besten Einvernehmen geschieden und ich wünsche ihm und allen anderen viel Glück damit. Ich darf jetzt noch einmal die Vergangenheit bemühen: Als die Privatradios gekommen sind, hat die Antenne Steiermark zwei Jahre lang Ö3 weggefegt. Und das war für uns die Riesenchance: Wir haben uns alle zusammengenommen und haben uns quasi neu erfunden. Und nur so sind wir nach wie vor die Nummer 1. Insofern freue ich mich auf einen guten Wettbewerb!"