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Ritalin-Verkäufe haben sich verzehnfacht
Drei Sitzungen beim Arzt, schon bekommt ein Kind Medikamente verschrieben. Reicht das wirklich aus für eine sichere Diagnose mit Medikation?
Etwa fünf Prozent der Kinder in Österreich leiden an einer Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hypersensibilität. Wo früher wenig behandelt wurde, sind Medikamente wie Ritalin heute fester Bestandteil vieler Therapien. Die Verschreibung des Arzneimittels stieg in Österreich um ein Zehnfaches, in Deutschland sogar um das 50-fache. Aber reicht die kurze Zeit von drei Sitzungen aus, um einzuschätzen, ob ADHS vorliegt und eine Medikation nötig ist?
Verbrauch an Ritalin ums Zehnfache gestiegen
"Ritalin" ist der vorherrschende Kunstname für Methylphenidat, ein Medikament, das normalerweise einen aufputschenden Effekt besitzt, bei ADHS hingegen eine beruhigende Wirkung aufweist. 2002 wurden in österreichischen Apotheken noch vier Kilogramm bestellt, im Jahr 2014 waren es bereits 49,7 Kilogramm. Ein Anzeichen dafür ist, dass der Verbrauch des klassischen ADHS-Mittels Methylpenidat sich vervielfacht hat. "In Deutschland ist der Verbrauch von Methylphenidat innerhalb von 20 Jahren (1993 bis 2014) auf das 50-fache gestiegen, in Österreich zwischen 2002 und 2014 um das Zehnfache. Das ist eigentlich eine Katastrophe", sagte der steirische Pädiater Ludwig Rauter (Krankenhaus Leoben) bei der Apotheker-Fortbildungstagung.
Buben auffällig, Mädchen verträumt
Eine Diagnose ist bereits nach drei Terminen fällig. Fehldiagnosen kommen dabei vor. Der Anteil an genetischen Veranlagungen beläuft sich bei etwa drei Viertel der Patienten. Buben sind drei- bis fünfmal häufiger betroffen. Das liegt jedoch auch daran, dass diese eher zu Auffälligkeiten in der Verhaltensweise tendieren, wie Hyperaktivität, wohingegen Mädchen mit ADHS oft als verträumt gelten. Was die Behandlung betrifft, kommt es auf die Ausprägung der Symptome an.
Medikamente werden automatisch verlängert
Zu keinem Medikament gibt es ähnlich viele Studien bei Kindern und Jugendlichen. Die Verschreibung selbst geschieht immer erst in zweiter Instanz. Wie lange jemand Medikamente nehmen muss, ist recht unterschiedlich. Auslassversuche, am besten während der Ferien, sollte es immer wieder geben. Manchmal geschieht es, dass die Medikamente automatisch neu verschrieben werden, ohne die Entwicklung des Kindes in Betracht zu ziehen. Inzwischen gibt es zur klassischen Medikation mit Ritalin Alternativen. Zu Medikamenten, die zur ADHS-Therapie zugelassen sind, zählen anregende Substanzen wie Amphetamin und Antidepressiva.
Krankheit oder genetische Besonderheit
Der Leibarzt von Napoleon I. bezeichnete den ADHS-Betroffenen als ein "moralisch krankes Kind, Sklave seiner Leidenschaft, Schrecken der Schule, Qual der Familie und Plage seiner Umgebung". Heute hat sich dieser Blickwinkel glücklicherweise verändert. Bei ADHS hat das Gehirn Schwierigkeiten damit Informationen sinnvoll zu ordnen. Weil man alle Reize der Umgebung wahrnimmt, wird man zudem leicht abgelenkt und Konzentration erfordert einen großen Mehraufwand. Oft neigen Betroffene dazu dazwischen zu reden, nicht still sitzen zu können und eine Aufgabe nicht zu Ende führen zu können. Besonders entscheidend ist jedoch der Umgang von Familie und Schule und der Wille auch die positiven Aspekte der Diagnose herauszuarbeiten: Ehrlichkeit, Gerechtigkeitssinn, Offenheit, Spontanität, Flexibilität, Hilfsbereitschaft und Ideenreichtum.
(GA)