Österreich
Im Camp missbraucht – Opfer klagt seine Peiniger an
In einem Feriencamp sollen pädophile Betreuer über Jahrzehnte Kinder missbraucht haben. Ein Wiener erinnert sich nun an ein lange verdrängtes Trauma.
Nach einem "Heute"-Bericht eines mutmaßlichen Missbrauchsfalls in einem Camp am Grundlsee versandte die Polizei ein Rundschreiben an alle Teilnehmer, die jemals ein Feriencamp des verdächtigen Betreibers besucht hatten – darunter auch an den 25-jährigen Wiener Lukas F.. Dieser konnte sich erinnern, als Volksschulkind von dem Beschuldigten und anderen Camp-Angestellten schwer missbraucht worden zu sein.
Als Lukas F. die polizeiliche Anfrage durchlas, war er zunächst verwundert, warum er mit einem unbekannten Jugendferiencamp in Zusammenhang gebracht wird. Doch dann begann sein Herz zu rasen, weil das verdrängte Trauma wieder hochkam. Diesmal griff er zu einem Stift und schrieb die qualvollen und erniedrigenden Kindheitserinnerungen nieder - er will so mithelfen, dass alle Beteiligten, die ihm und anderen Missbrauchsopfer schweres Leid zufügten, ihre gerechte Strafe bekommen. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt derzeit wegen schweren sexuellen Missbrauchs gegen den rüstigen Senior – es gilt die Unschuldsvermutung.
Lukas F. nahm all seinen Mut zusammen und übermittelte sein Schreiben an den Verein "Bündnis Kinderschutz" sowie an seinen Rechtsanwalt Nikolaus Rast. "Heute" sprach mit dem Top-Anwalt über die erschütternden Inhalte des Briefes.
Bergidylle trügt
Im Sommer 2003 wurde der damals 7-jährige Lukas F. von seiner Mutter in ein Ferienlager in Westösterreich geschickt. Es waren seine ersten großen Ferien nach einem Jahr in der Volksschule. Damals habe er nicht darauf geachtet, in welchem Bundesland, geschweige denn welcher Gemeinde, das Camp stattfand. In seinem Gedächtnis sei ihm von der Umgebung nur die Natur und die Berge hängengeblieben. Er erinnere sich an Wanderungen, abendliche Lagerfeuer mit Gesang und Gitarrenklang sowie den Horror, der sich stets zu später Stunde ereignet haben soll. Eines Nachts soll ein nackter Gleichaltriger in sein Zelt gelaufen sein, dieser soll geweint und vor Schmerzen geschrien haben. Kurze Zeit später hätten zwei herbeigeeilte Betreuer den Buben fortgetragen...
Vergewaltigung im Schlafsack
In der nächsten Nacht soll sich ein nur mit einem T-Shirt bekleideter Betreuer in das Zelt geschlichen und zu seinem Nachbarn in den Schlafsack gelegt haben. Tags darauf sei er selbst dran gewesen. Starr vor Angst habe er nur den Atem des Täters und eine kühle Creme am Gesäß gespürt. Laut seinen Angaben folgten starke Schmerzen im Afterbereich und Atemnot, weil die Hand des Peinigers seinen Mund so fest umschloss, damit er nicht schreien konnte. Als der Mann von ihm abließ, habe er Blut in seinem Schlafsack bemerkt – traumatisiert konnte er kein Auge mehr zudrücken...
Statt Hilfe erneut missbraucht
Am nächsten Morgen habe er sich hilfesuchend an eine Betreuerin gewandt, die ihn zum Camp-Leiter ins Zelt geschickt haben soll. Dieser hätte ihn aufgefordert, sich auszuziehen und ihm die Wundstelle zu zeigen. Daraufhin habe der Organisator ihn mit einer Salbe eingeschmiert und mit den Worten, dass es beim nächsten Mal nicht mehr schmerzen werde, versucht zu trösten. Abschließend habe der Verdächtige sexuelle Handlungen am Geschlechtsteil des damals 7-Jährigen vollzogen.
Nach dem zweiwöchigen schwer traumatisierenden Camp schwieg er aus Schamgefühl über die Geschehnisse, bis er im heurigen Sommer von der Polizei damit konfrontiert wurde. Als er den Feriencamp-Betreiber googelte, habe er das Gesicht seines Peinigers sofort wiedererkannt. Die anderen Betreuer konnte er im Internet nicht finden, da er ihre Namen nicht mehr weiß. Er hofft jetzt, dass die Verbrechen lückenlos aufgeklärt werden.
„"Wer durch einen Tritt den Stephansdom beschädigt, erhält eine härtere Strafe, als jemand, der ein Kind sexuell missbraucht."“
Kopf eines Pädophilen-Netzwerks?
Der Fall kam ins Rollen, als der Wiener Gastronom Roberto d'Atri bemerkte, dass der mutmaßliche Sexualstraftäter im Mai seine Tochter und weitere fremde Kinder im Prater ansprach. Der jetzt 73-jährige Verdächtige promotete damals Ferienlager, die er in diesem Sommer im Salzkammergut auch anbot. Aufgrund der strafrechtlichen Ermittlungen cancelte die zuständige Behörde die Camps und ließ sämtliche Kinder von ihren Eltern abholen.
Der Betreiber hat sich zu den gegen ihn gerichteten Vorwürfen bisher nicht geäußert. Der Wohnsitz des Camp-Betreibers in Wien-Währing wurde von der Polizei durchsucht und Computer und Datenträger beschlagnahmt. Die Ergebnisse der Durchforstung auf kinderpornografische Inhalte sind noch ausständig. Der mutmaßliche Kinderschänder könnte gemeinsam mit seinen Mitarbeitern jahrzehntelang hunderte Kinder missbraucht haben und der Kopf eines Pädophilen-Netzwerks sein. Denn er steht im Verdacht, sich bereits vor mehr als 30 Jahren an einem damals 8-Jährigen brutal vergangen zu haben. Ein Ex-Mitarbeiter soll vor knapp zehn Jahren wegen geschlechtlicher Nötigung und Missbrauchs von Unmündigen verurteilt worden sein.
Rechtsanwalt Nikolaus Rast macht unmissverständlich klar: "Der Strafrahmen bei einschlägigen Delikten ist in Österreich viel zu harmlos." Dann blättert er im Strafgesetzbuch: "Wer durch einen Tritt den Stephansdom beschädigt, erhält eine härtere Strafe, als jemand, der ein Kind sexuell missbraucht." Er wird noch konkreter: "Kindesmissbrauch wird nicht lebenslang im Leumundszeugnis angezeigt und einschlägig Verurteilte erhalten kein Berufsverbot, mit Kindern zu arbeiten." Der Advokat sieht die österreichische Politik in der Verantwortung, Kinder besser zu schützen. Dennoch glaubt Rast, dass sich nach Bekanntwerden weiterer Missbrauchsfälle die Schlinge in der Causa "Feriencamp" weiter zuziehen wird - nach seinem Motto: "Die Gerechtigkeit wird siegen!"