Still und heimlich
Wegen Olympia: Paris siedelt Obdachlose um
Die französische Hauptstadt kämpft seit Jahren mit dem Problem der Obdachlosigkeit. Nun scheint man eine einfache "Lösung" gefunden zu haben.
Der Bürgermeister von Orléans, einer Stadt rund 130 Kilometer südlich von Paris, schlägt Alarm: In den letzten Wochen seien hunderte von Obdachlosen, darunter viele Asylwerber, "in aller Heimlichkeit" aus der Pariser Hauptstadtregion in seine Stadt gebracht worden. Zu keinem Zeitpunkt sei er darüber informiert oder gar nach seiner Zustimmung gefragt worden, beklagte sich Serge Grouard Ende März gegenüber einem Korrespondenten der Schweizer Tageszeitung "NZZ".
Betroffene Gemeinden nicht informiert?
Alle drei Wochen komme ein Bus mit 30 bis 50 Personen aus Paris und lade die Obdachlosen einfach in seiner Stadt aus, so Grouard. Mittlerweile sollen es um die 500 sein. Für eine 120.000-Einwohner-Stadt ist das nicht wenig. Und Orléans ist kein Einzelfall. Auch die Straßburger Bürgermeisterin hat den Verdacht, dass die Stadt Paris heimlich Obdachlose in ihre Stadt umgesiedelt hat. Und vor allem die Geheimniskrämerei ist es, die sie und andere Bürgermeister in Frankreich am meisten stört. Niemand kann genau sagen, wie viele Menschen bisher aus Paris umgesiedelt worden sind - und wohin.
"Soziale Säuberungsaktion"
Für Grouard komme die Pariser Vorgehensweise einer "sozialen Säuberung" gleich. Er habe keine Lust darauf, "den Crack-Hügel von Paris" aufzunehmen, spielt er auch auf das Problem der Drogensucht unter manchen der Umgesiedelten an. Diese finden sich in Paris etwa in der Gegend rund um den Place Stalingrad. Auch der Bürgermeister von Lavaur, einer Kleinstadt östlich von Toulouse, ist empört: "Die Migranten sind keine Möbel, die man speditiert." Diese Methode, Paris vor den Olympischen Sommerspielen "sauberer und präsentabler" zu machen sei schlicht "unwürdig und heuchlerisch". Außerdem sorge die Umsiedlung von sozialen Härtefällen in Kleinstädte wie seine für Feindseligkeiten mit der Ortsbevölkerung.
50.000 Obdachlose im Großraum Paris
Hinweise auf ein geheimes städtisches Umsiedelungsprogramm gibt es schon seit dem Frühjahr 2023. Damals gab es Medienberichte über die Errichtung von 5.000 Notunterkünften für Pariser Obdachlose an zehn verschiedenen Standorten anderswo in Frankreich. Die für Wohnungsfragen zuständige Regierungsstelle Dihal (Délégation interministérielle à l'hébergement et à l'accès au logement) bestätigte dieses Vorhaben gegenüber CNN im September 2023, bestritt aber einen Zusammenhang mit Olympia.
Während manche Angst haben, aus ihrem Lebensumfeld herausgerissen zu werden, hoffen andere auf ein besseres Leben in einer Unterkunft anderswo im Land. Laut CNN wurden von April bis September 2023 bereits 1.800 Obdachlose auf diese Weise aus Paris weggebracht. Die Zahl der Obdachlosen im Großraum Paris wird auf etwa 50.000 geschätzt.
Polizei sammelt Ausweise ein
"Wir haben gehört, sie kommen heute, um uns wegzubringen - aber ich weiß nicht wohin", zitierte CNN den 31-jährigen Eriträer Obsa bei einem Lokalaugenschein am Place Stalingrad, als die Polizei wieder einmal ausrückt, um Obdachlose zu vertreiben bzw. "einzusammeln". Obsa geht in Paris seit vier Jahren einem Vollzeitjob nach - aber niemand kann oder will ihm und seiner Frau eine Wohnung vermieten. Also schläft er mit vielen anderen in einem Matratzenlager unter einem Stadtbahnbogen.
"Die Polizisten haben unsere Ausweise eingesammelt und uns aufgefordert, uns in den Bus zu setzen", sagte der Sudanese Ali zum französischen TV-Sender France 3 bei einem der regelmäßigen Polizeieinsätze. "Wir hatten keine Wahl". Er wurde einfach nach Toulouse gebracht, obwohl er eine Unterkunft außerhalb der Stadt hatte und einen Job im Disneyland. Er sei dann wenig später auf eigene Kosten nach Paris zurückgereist. Manch andere hätten jedoch Gefallen am Leben in der Provinz gefunden, fügt er hinzu.
Auf den Punkt gebracht
- In Paris werden aktuell Obdachlose still und heimlich in andere Städte umgesiedelt, darunter auch Asylwerber
- Die Bürgermeister von Städten wie Orléans und Straßburg sind empört über die Geheimniskrämerei und beklagen, dass sie nicht über die Umsiedlungen informiert wurden
- Die Umsiedlungen werden in Verbindung mit den Olympischen Sommerspielen 2024 gebracht und sorgen für Kontroversen, da sie als soziale Säuberung und undurchsichtige Praxis kritisiert werden