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Wagner-Rückzug – Das passiert mit Putin und Ukraine
Der Rückzug der Wagner-Truppen kurz vor Moskau sorgt in Russland für Erleichterung. Die Lage ist jedoch alles andere als entspannt. Die Details.
Für knapp 24 Stunden hat es so ausgesehen, als fände in Russland tatsächlich ein Militärputsch gegen Präsident Wladimir Putin statt. Mit jeder vergangenen Stunde näherten sich die Wagner-Söldner von Jewgeni Prigoschin in rasantem Tempo der russischen Hauptstadt, es war nur eine Frage der Zeit, bis der Sturm auf Moskau beginnt.
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Unglaubliche Wende sorgt für Rückzug
Am Samstag um 19.30 Uhr kam es jedoch zu einer überraschenden Wende: Auf seinem Telegram-Kanal verkündete Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin den plötzlichen Rückzug seiner Truppen, rund 200 Kilometer von der russischen Hauptstadt entfernt.
"Am 23. Juni begannen wir unseren Marsch. An einem Tag kamen wir 200 Kilometer vor Moskau. Während dieser Zeit wurde kein einziger Tropfen Blut unserer Männer vergossen. Jetzt kommt der Moment, wo Blut vergossen werden kann. Ich bin mir dieser Entscheidung voll bewusst und weiß, dass auf der einen Seite russisches Blut vergossen werden wird. Deshalb kehren wir, im Bewusstsein der Verantwortung für das Vergießen von russischem Blut auf einer der Seiten, unsere Konvois um und gehen zurück in die Feldlager, wie es der Plan vorsieht", sagt er in einer Audiodatei. Man mutmaßt, dass der belarussische Präsident, Alexander Lukaschenko, eine wichtige Rolle in den Verhandlungen zwischen Prigoschin und Putin gespielt haben soll – er habe etwa einen Geheim-Deal mit dem Wagner-Chef ausgehandelt.
Unsicherheit in Russland
Klar ist also, dass Wladimir Putin an der Staatsspitze bleibt – wenn auch extrem angeschlagen. Denn der Vorstoß von Prigoschin hat enorme Mängel in der russischen Armee aufgezeigt. Schließlich konnten die Wagner-Söldner hunderte Kilometer ins russische Territorium eindringen, ohne auf Widerstand der Putin-Truppen gestoßen zu haben. Nur der Last-Minute-Deal mit Lukaschenko konnte einen blutigen Bürgerkrieg verhindern. Trotz Einigung gehen in der politischen Elite des Landes aber Angst und Verwirrung um.
Wenn sich zwei streiten...
Wenn zwei streiten, lacht bekannterweise ein Dritter: die Ukraine. 2Der Aufstand dürfte massive Auswirkungen auf den Konflikt in der Ukraine haben", schreibt "Der Spiegel" in einem Artikel. Es sei wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die Ukraine das Chaos bei den russischen Streitkräften nützt und größere Angriffe einleitet. Dass der Wagner-Chef ausgerechnet Rostow und Woronesch besetzt hat, dürfte kein Zufall sein. "Rostow ist das Logistikzentrum für die Front bei Donezk, Woronesch für die Charkiw-Front", twittert Militärexperte Gustav Gresse.
"Kommt Ukraine zugute"
Was also im russischen Rostow und Woronesch geschieht, hat direkte Auswirkungen auf die Logistik und die Versorgung der russischen Truppen in der Ukraine. Sollten sich künftig Kremlstreitkräfte und die anrückenden Wagner-Kämpfer – 25.000 sollen es sein – tatsächlich anhaltende Gefechte liefern, wird das den Ukrainern gemäß "Spiegel" eine Gelegenheit für "bisher kaum vorstellbare militärische Gewinne" bieten. "Die derzeit vorherrschende Instabilität in Russland kommt der Ukraine definitiv zugute", ist auch Politologin und Sicherheitsexpertin Jessica Berlin überzeugt.
Bereits jetzt gibt es unbestätigte Meldungen, wonach es bei Bachmut neue ukrainische Angriffe auf die russischen Besatzer gab und Terrain wettgemacht wurde.
Prigoschin geht ins Exil
Update 21.50 Uhr: Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bestätigte Samstagnacht, dass das wegen Anzettelung eines Aufstands eingeleitete Strafverfahren gegen Prigoschin eingestellt wird. Dieser werde dafür "nach Belarus abreisen". Exil also!
"Was die übrigen Kämpfer [die an der Rebellion teilgenommen haben] betrifft, wird niemand sie verfolgen, wenn man ihre Verdienste an der Front berücksichtigt", sagte Peskow weiter. Kämpfer, die nicht an der Meuterei beteiligt gewesen sind, sollen dem Verteidigungsministerium unterstellt werden.
Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums sind ihm zufolge nicht Gegenstand der Verhandlungen gewesen.